- Kommentare
- Reallöhne
Von der Brise in die Flaute
Felix Sassmannshausen über die Tarifkämpfe 2024
Die hohen Inflationszahlen der letzten Jahre haben den Gewerkschaften für kurze Zeit kräftig Wind in die Segel gepustet: Die Tarifkämpfe wurden offensiver und beteiligungsorientierter geführt, viele neue Mitglieder konnten gewonnen werden. Letzte Böen der Brise ließen sich noch in diesem Jahr beobachten. Zwar begünstigt der Fachkräftemangel nach wie vor die gewerkschaftliche Verhandlungsposition in einigen Bereichen, doch dominieren in Anbetracht einer sich verschlechternden gesamtwirtschaftlichen Lage inzwischen defensive Auseinandersetzungen. Neben den zähen Verhandlungen im Einzelhandel und dem mauen Kompromiss in der Metall- und Elektroindustrie steht in der Automobilindustrie, allen voran bei VW, statt Tariferhöhung eher Job-Erhalt im Vordergrund. Rechnet man die Teuerungsrate der letzten Jahre ein, wird in allen Branchen unterm Strich letztlich ein herber Reallohnverlust zu Buche stehen.
Das hat auch damit zu tun, dass es die Unternehmensverbände vermochten, den Gewerkschaften schnell den Wind aus den Segeln zu nehmen. Neben der Einführung von Inflationsausgleichsprämien, die Beschäftigten kurzfristig nutzten, aber mittelfristig wie Steuervergünstigungen fürs Kapital wirken, gelang ihnen das in der Öffentlichkeit vor allem durch alarmistische Warnungen vor einer angeblichen Lohn-Preis-Spirale (die sich dann größtenteils doch als Profit-Preis-Spirale entpuppte). Es folgte der rasche Wechsel in den Krisenmodus. Die Gewerkschaften haben es hingegen nicht geschafft, mit Blick auf den Klassencharakter von Inflation und Krise die Segel richtig zu setzen. Und nun droht aus der kräftigen Brise vorerst eine Flaute zu werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.