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Abtreibung in Berlin: Unsicherheit bei Beratungsstellen
Schwangerschaftskonfliktberatungen müssen mit Kürzungen und Bürokratie kämpfen
Für Afsaneh Afreze hat sich dieser Tag ins Gedächtnis gebrannt: Vor einigen Wochen begleitete die Schwangerschaftskonfliktberaterin eine ihrer Klientinnen zu einer Frauenärztin. »Wir kannten uns noch nicht lange, aber sie vertraute mir genügend, um mich an ihrer Seite haben zu wollen«, sagt Afreze am Montag vor dem Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses. Der Empfang durch die Ärztin war kühl: »Genervt« habe die Gynäkologin gewirkt, erinnert sich Afreze. Als die Frau der Ärztin mit leiser Stimme mitteilte, dass sie erneut schwanger sei, wurde die Medizinerin laut. Das sei schon die fünfte Schwangerschaft der Frau, dabei habe sie ihr doch schon lange gesagt, dass eine weitere Schwangerschaft für die Frau lebensbedrohlich sei, brüllte sie die Schwangere an. Behandeln könne sie sie unter diesen Bedingungen nicht weiter.
Die ganze Rückfahrt über weinte die Schwangere neben Afreze. Auch die Beraterin ließ der Arzttermin nicht unberührt. »In mir brodelte es vor Wut«, sagt sie. »Aber ich wusste nicht, auf wen ich sauer war.« Auf ihre Klientin, die ihre eigene Gesundheit aufs Spiel gesetzt hat? Auf die Ärztin, deren empathielose Reaktion die Situation nur noch schlimmer gemacht hat? »Oder aber auf mich selbst. Wäre ich früher in ihrem Leben gewesen, hätte ich diesen schmerzvollen Tag vielleicht verhindern können«, sagt Afreze heute.
Afreze arbeitet in einer der 20 Berliner Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen. Bekannt sind sie vor allem für den sogenannten Beratungsschein, der in Deutschland zwangsweise vorgelegt werden muss, damit eine Abtreibung vorgenommen werden kann. Die Schwangerschaftskonfliktberatungen stellen diesen Schein nach der gesetzlich vorgeschrieben Beratung aus. Sie beraten aber auch zu Adoptionen, klären über staatliche Leistungen für Schwangere und Mütter auf und unterstützen Frauen bei der Familienplanung.
Doch die Beratungsstellen haben ein Problem: Sie können die Nachfrage nicht bedienen. Eine Beratungskraft für 40 000 Einwohner sieht die Gesetzeslage vor, in Berlin wurde dieser Wert lange nicht erreicht. In Treptow-Köpenick gab es bis vor kurzem sogar gar keine Schwangerschaftskonfliktberatung. Zuletzt waren die Mittel erhöht worden. Vier neue Beratungsstellen wurden eingerichtet, eine bestehende Beratungsstelle öffnete eine neue Zweigstelle. Doch die Freude währte nur kurz: Im Rahmen der Diskussion um den Nachtragshaushalt wurden die Mittel für 2025 wieder um eine Million Euro gekürzt – ein Achtel des Gesamtbudgets.
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Es sei noch zu früh, um sicher zu sagen, ob die Anstrengungen, das Versorgungsdefizit zu beheben, ausreichen werden, sagt Astrid Lück vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. »Der Etat ist immer noch zwei Millionen Euro höher als zuvor«, sagt sie. »Das klingt erstmal hoch, aber die Erhöhung war notwendig.« Weil die Beratungsstellen nun aber nicht wüssten, mit wie viel Geld sie am Ende arbeiten können, könnten aktuell keine neuen Stellen besetzt werden.
Gesundheitsstaatssekretärin Ellen Haußdörfer (SPD) macht Hoffnung, dass die Kürzung noch nicht in Stein gemeißelt ist. Es handle sich um eine »qualifizierte Sperre« – die Mittel können also durch den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses doch noch freigegeben werden. »Wenn wir zur Hälfte des Jahres feststellen, dass die Mittel nicht reichen, gehe ich davon aus, dass wir den Hauptausschuss anrufen werden«, sagt sie.
Ein kompliziertes Antragsverfahren vergrößert die finanziellen Unsicherheiten noch weiter. »Planmäßig erstellt das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales drei Bescheide, die Beratungsstellen müssen zwei- bis dreimal überarbeitete Anträge und Stellenpläne einreichen«, sagt Astrid Lück. »Das ist insgesamt ein sehr aufwendiges Verfahren.« Insgesamt 34 Einzelpositionen müssten die Antragssteller erläutern, um die Zuwendung zu erhalten. Es sei die Regel, dass die Beratungsstellen mit vorläufigen Zuwendungsbescheiden arbeiten und erst im Verlauf des Jahres eine fixe Zusage erhalten.
Das Hin und Her schade der Arbeit der Beratungsstellen, sagt auch Afsaneh Afreze. Zehn Monate habe das Antragsverfahren bei einem geplanten Projekt gedauert. »Viele Mitarbeiter, die schon für Stellen zugesagt haben, sind in der Zwischenzeit wieder abgesprungen«, berichtet sie.
Astrid Lück glaubt, dass die Verfahren deutlich verkürzt werden könnten. Aktuell müssten die Beratungsstellen etwa noch genau angeben, welche Büroausstattung sie benötigen. Dies könne einfach in einer einzelnen Pauschale zusammengefasst werden. »Das wäre eine unfassbare Erleichterung«, sagt Lück.
»Wir müssen uns Abkürzungen überlegen«, sagt auch Gesundheitsstaatssekretärin Ellen Haußdörfer. »Wir können noch Effizienzen heben.« In der Senatsverwaltung werde aktuell ein Gesetzentwurf beraten, der die Verfahren verkürzen soll. 2025 soll er ins Parlament eingebracht werden.
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