Befristete Stellen an Unis: Der Kampf geht weiter

Die Entfristungsregel für Postdocs an den Unis ist tot. Was kommt jetzt?

Viele Wissenschaftler hangeln sich von Befristung zu Befristung.
Viele Wissenschaftler hangeln sich von Befristung zu Befristung.

Es war ein Schock für viele wissenschaftliche Mitarbeiter an Berliner Universitäten: Im Oktober verkündete Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD), dass der Senat plane, die Entfristungsregel für Postdoktoranden im Berliner Hochschulgesetz zu streichen. Die 2021 beschlossene Regel sah vor, dass promovierte Wissenschaftler grundsätzlich eine Anschlusszusage erhalten sollten – sie sollten also unbefristet an den Unis angestellt werden. Üblich ist es bislang, dass sie auf vier oder sechs Jahre befristete Arbeitsverträge erhalten. In Kraft getreten ist die Regelung allerdings nie, die Übergangsfrist wurde mehrere Male vom Abgeordnetenhaus verschoben.

»Ein unbefristeter Vertrag ist doch das Normalarbeitsverhältnis in Deutschland«, sagt die Literaturwissenschaftlerin Constanze Baum. Warum das nicht auch für Wissenschaftler gelte, gehe ihr nicht in den Kopf. An der Humboldt-Universität ist sie mit anderen wissenschaftlichen Mitarbeitern am Montag mit Vertretern von Gewerkschaften, Politik und Hochschulen zusammengekommen, um über die Zukunft von Entfristungen an den Unis zu diskutieren. Eingeladen hatte die Landesvertretung Akademischer Mittelbau.

»Uni lebt von Wertschätzung«, sagt Baum. Doch die verweigerten die Hochschulen dem wissenschaftlichem Nachwuchs. Im Regelfall hätten Postdocs das 30. Lebensjahr schon länger überschritten, viele müssten sich auch noch mit über 40 von einem befristeten Job zum nächsten hangeln. »Dabei braucht man gerade in dieser Zeit Planungssicherheit«, sagt Baum.

Dass die Entfristungsregel doch noch kommt, ist unwahrscheinlich: Im Bundestag liegt aktuell der Entwurf für das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zur Abstimmung, das die Arbeitsverhältnisse von Wissenschaftlern bundesweit regelt. Eine Öffnungsklausel, die einzelnen Bundesländern erlauben würde, von den Regeln abzuweichen, enthält sie nicht. Juristen äußerten daher Bedenken, dass die Berliner Regelung in die Kompetenzen des Bundes eingreifen könnte und damit verfassungswidrig wäre. So begründete auch Wissenschaftssenatorin Czyborra die Abkehr von der Entfristungsregel, die sie einst selbst mitentworfen hatte.

Wie können aber trotz der entfallenden gesetzlichen Verpflichtung mehr unbefristete Arbeitsverhältnisse an den Unis geschaffen werden? »Wir müssen den Druck aufrechterhalten«, sagt Baum. Sie hofft, dass sich noch eine Selbstverpflichtung der Hochschulen durchsetzen lässt. Der Akademische Senat der Humboldt-Universität hatte im vergangenen Jahr in Reaktion auf die Entfristungsregel ein eigenes Konzept verabschiedet. Das sieht vor, dass unbefristet angestellte wissenschaftliche Mitarbeiter sich entweder auf Forschung (»Researcher«) oder Lehre (»Lecturer«) fokussieren können.

Seit dem Ende der Entfristungsklausel liegt dieses Konzept jedoch auf Eis. Dabei könne das Konzept auch ohne das Gesetz an der HU eingeführt werden, ist Baum überzeugt. Sie fordert, dass sich die HU zusätzlich selbst verpflichtet, bis 2035 mindestens 50 neue unbefristete Stellen zu schaffen. Ganz ohne gesetzliche Neuregelungen geht es allerdings nicht: Der Senat müsste die Lehrverpflichtungsverordnung ändern, damit das HU-Modell umgesetzt werden kann.

Im Kleinen wurde ein solches Konzept schon an einem Bereich der HU umgesetzt: Nach langer interner Diskussion verpflichtete sich das Philosophie-Institut zum sogenannten Department-Modell. »Wir haben uns gefragt, was wir selbst tun können«, berichtet Philosophie-Professor Tobias Rosefeldt. An der gesetzlichen Entfristungsklausel habe er selbst Kritik gehabt. »Aber es war gut, dass es plötzlich Druck von außen gab«, sagt er.

»Am Anfang stand die Erkenntnis, dass wir uns vom Lehrstuhl-System verabschieden müssen«, sagt Rosefeldt. Diese Eigenheit des deutschen Wissenschaftssystems sieht vor, dass wissenschaftliche Mitarbeiter einem Professor untergeordnet sind – der gerne flexibel Mitarbeiter austauschen können will. Daher habe man sich entschieden, befristete Stellen an den Lehrstühlen in unbefristete Stellen umzuwandeln, die direkt dem Institut unterstellt sind. Wo sie eingesetzt werden, entscheidet der Institutsrat.

Die Universitätsleitung steht solchen Lösungen allerdings weiterhin skeptisch gegenüber. »Spitzenforschung wird von Professoren vorangetrieben«, sagt Christoph Schneider, Vizepräsident für Forschung an der HU. »Für uns ist es ein Nachteil im Wettbewerb um die besten Köpfe, wenn Personalressourcen nicht einer Professur zugeordnet werden können.« Er warnt, dass die Dauerstellen den Hochschulen Flexibilität nehmen könnten: Auf ihnen sitzende Wissenschaftler blockierten Aufstiegsmöglichkeiten für jüngere Nachwuchskräfte.

»Ein unbefristeter Vertrag ist doch das Normalarbeitsverhältnis.«

Constanze Baum Literaturwissenschaftlerin

Auch finanziell rechne sich die Entfristung für die Hochschulen nicht. »Das finanzielle Commitment ist einfach zu groß«, so Schneider. Die Dauerstellen stellten unwägbaren Risiken für die Unis dar. Er könne sich zwar vorstellen, dass mehr unbefristete Stellen geschaffen werden, aber stelle sich gegen eine universitätsweite Lösung. »Was für die Philosophie gut ist, muss nicht auch für die Rechtswissenschaften passen«, sagt er, muss aber auch zugeben: »Wie wir einen Aufwuchs an unbefristeten Stellen schaffen, dafür fehlt mir die Fantasie.«

Sollten sich die Unis nicht selbst verpflichten, mehr Dauerstellen zu schaffen, gebe es noch andere »Schlupflöcher«, sagt Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Zwar verbiete das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, dass Befristungen tariflich geregelt werden können. »Aber wir können eine Dauerstellenquote in den Tarifverträgen festschreiben«, so Keller. Das betreffe nicht individuelle Arbeitsverträge, sondern die Personalstruktur. »Es geht um die Attraktivität von Arbeitsplätzen«, sagt Keller. Ohne gute Arbeitsbedingungen werde es sonst für die Hochschulen schwierig, alle Stellen zu besetzen.

Eine solche Quote könnte auch an anderer Stelle festgeschrieben werden. »Vorgaben zur Personalstruktur könnten auch in den Hochschulverträgen vereinbart werden«, sagt Julia Dück, Gewerkschaftssekretärin bei Verdi. Damit umgehe man eine etwaige Verfassungswidrigkeit. Die Hochschulverträge wurden allerdings im laufenden Jahr für vier Jahre abgeschlossen – vor 2028 könnte eine solche Regelung also nicht kommen.

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