Fifa-Mitgliedsverbände als Claqueure bei WM-Vergabe 2030 und 2034

Heute legt die Fifa die Ausrichter der WM-Endrunden 2030 und 2034 fest. Fußball-Weltverband steht in der Kritik

2022 wurde der Weltpokal erstmals in einem Golfstaat vergeben: In Katars Hauptstadt Doha reckten die Argentinier die Trophäe in die Höhe.
2022 wurde der Weltpokal erstmals in einem Golfstaat vergeben: In Katars Hauptstadt Doha reckten die Argentinier die Trophäe in die Höhe.

Es ist beschlossene Sache, am heutigen Mittwoch wird wohl nur noch applaudiert werden – per Mausklick: In einer Zoomkonferenz bestimmen die 211 Mitgliedsverbände der Fußball-Weltföderation Fifa ab 15 Uhr mitteleuropäischer Zeit die Ausrichter der WM-Turniere 2030 und 2034, und zwar per Akklamation und en bloc. Mittels einer Software werden die jeweiligen Hauptdelegierten Beifall bekunden und damit ihre Zustimmung signalisieren für beide Bewerbungen: Marokko, Portugal, Spanien 2030 und Saudi-Arabien 2034.

Allem Anschein nach wird es eine einstimmige Beschlussfassung sein. Die schärfste Kritikerin einer WM-Vergabe an das Golfkönigreich, die norwegische Fußballverbandspräsidentin Lise Klaveness, hat unter ihren europäischen Kollegen keine nennenswerten Mitstreiter finden können. Klaveness beklagt, schon bei der Vergabe des Turniers 2022 nach Katar sei es alles andere als perfekt gelaufen: »Aber damals gab es noch echte Prozesse und qualifizierte Leute auf Verwaltungsebene bei der Fifa.« Bei Saudi-Arabien 2034 sei dies nun kaum noch der Fall.

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DFB: Kein Mut zum Nein

Am vergangenen Freitag verkündete auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seine Zustimmung zu dem Doppelvergabe-Plan des Schweizer Fifa-Präsidenten Gianni Infantino. Eine Ablehnung der Bewerbungen liefe auf »reine Symbolpolitik« hinaus, argumentierte DFB-Präsident Bernd Neuendorf. Würde der deutsche Verband sich gegen Saudi-Arabien stellen, »hätten wir uns aus dem Spiel genommen«. Man stünde isoliert da.

Dabei gibt es weiterhin reichlich zu bemängeln am WM-Gastgeber. Minky Worden, Direktorin für globale Initiativen bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, beklagt die »ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen« in Saudi-Arabien, »unzureichenden Hitzeschutz der migrantischen Arbeiter« und zudem »unkontrollierten Lohndiebstahl, das Verbot von Gewerkschaften und ein missbräuchliches Kafala-Arbeitssystem«. Die Fifa ignoriere die Zustände.

13,4 Millionen Arbeitsmigranten

In Saudi-Arabien ist die Lage noch verheerender als bei der Wüsten-WM in Katar 2022. In dem kleinen Emirat Katar sind nur gut zwei Millionen Arbeitsmigranten im Einsatz, während im riesigen Saudi-Arabien laut Human Rights Watch derzeit 13,4 Millionen Menschen aus dem Ausland arbeiten, drei Viertel davon aus armen asiatischen Ländern. Viele von ihnen müssen unter verheerenden Bedingungen harte körperliche Arbeit verrichten.

Und anders als in Katar haben Menschenrechtsorganisationen keinerlei Zugang in das abgeriegelte Königreich. Zudem sei auch in der Bewerbung Saudi-Arabiens nicht einmal ansatzweise zu erkennen, wie man Ausbeutung und Repression im Umfeld der WM verhindern wolle, heißt es bei Amnesty International (AI). Die Menschenrechtsorganisation wies vor der Vergabe am Mittwoch zudem noch einmal auf Risiken hin, denen Fußballfans aus aller Welt in Saudi-Arabien ausgesetzt sein werden. »Wer homosexuell ist, wird kriminalisiert, da gleichgeschlechtliche Handlungen bestraft werden«, sagte AI-Direktor Stephen Cockburn dem »Tagesspiegel«.

Mittelschwere Bedenken

Die Fifa indes verweist auf ihren Evaluierungsbericht, in dem Saudi-Arabien 4,2 von 5 möglichen Punkten erhielt. In der »allgemeinen Risikobewertung« stellte der Weltverband unter dem Punkt Menschenrechte nur ein »mittleres Risiko« fest, ebenso in den Bereichen Turnier-Timing, Transport, Unterkünfte und Stadien. In allen anderen Bereichen zeigten sich die Fifa-Prüfer vom Bid Book überzeugt: Saudi-Arabien habe eine »einmalige, innovative und ambitionierte Vision« für die WM 2034.

In 15 Stadien, verteilt über fünf Städte, soll 2034 um den Weltpokal gespielt werden. Neben der Hauptstadt Riad und der Hafenstadt Dschidda soll auch in Abha, Khobar und Neom gespielt werden. Die Neuansiedlung Neom, die laut Plan 2034 300 000 Bewohner haben soll, ist ein Teil des Regierungsprogramms »Saudi Vision 2030« und damit ein Prestigeprojekt des Kronprinzen Mohammed bin Salman, der die Abhängigkeit seines Königreiches vom Öl beenden will, mit milliardenschweren Investitionen in Tourismus, Entertainment – und auch in den Sport. Play The Game, eine Transparenz-Initiative des Dänischen Instituts für Sportwissenschaft, die die ethischen Standards im Weltsport erhöhen will, errechnete die erstaunliche Anzahl von 910 Fällen saudischen Sportsponsorings weltweit: Sportwashing, wie es die Nachbarn aus den Vereinigten Arabischen Emirate und Katar seit fast zwei Jahrzehnten vormachen.

Ein Schlag ins Gesicht

Mit dem Zuschlag für die Fußball-WM am Mittwoch wird Saudi-Arabien nun den größten Erfolg im Zuge seiner milliardenschweren PR-Offensive im Sport feiern, mit der Superstars wie Cristiano Ronaldo oder Neymar Jr. in die Saudi-Fußballliga gelockt wurden. Für saudische Menschenrechtsaktivisten wie Maryam Aldossari, Dozentin an der Royal Holloway University of London, ist die WM-Vergabe an das Land ein Schlag ins Gesicht: »Während Stadien schimmern und das Rampenlicht glänzt, schmachten Frauen im Gefängnis für so harmlose Handlungen wie Twittern, Wanderarbeiter ertragen systemische Ausbeutung, und abweichende Meinungen werden mit rücksichtsloser Effizienz verfolgt.«

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