Berlin: Gewalt gegen queere Menschen kommt vom Mann

Aktuelles Berliner Monitoring zu Queerfeindlichkeit zeigt männliche Täter und kaum Anzeigen bei der Polizei

Queerfeindliche Vorfälle häufen sich im öffentlichen Raum – und gehen fast ausschließlich von Männern aus.
Queerfeindliche Vorfälle häufen sich im öffentlichen Raum – und gehen fast ausschließlich von Männern aus.

»Freiheit muss bedeuten, unter dem Himmel Berlins sicher das eigene Leben gestalten zu können«, sagt Alfonso Pantisano. Dabei bezieht sich Pantisano als Queerbeauftragter des Senats auf das selbstbestimmte Ausleben der eigenen Sexualität und der sexuellen Identität in der Hauptstadt. Pantinsano spricht anlässlich der Vorstellung des dritten und neuesten Berliner Monitoring-Berichts zu queerfeindlicher Gewalt mit Schwerpunkt auf »Bi+Feindlichkeit«, also Gewalt gegen Menschen, die sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlen.

Berlin ist das einzige Bundesland, das eine staatlich finanzierte Berichterstattung hat, um Gewalt zu messen, die sich gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Intergeschlechtliche richtet – also gegen queere Menschen, die unter der Bezeichnung LSBTI unter anderem zusammengefasst werden. Finanziert ist das seit 2020 existierende Monitoring von der Sozialsenatsverwaltung. Durchgeführt wird es über einen Zeitraum von zwei Jahren mit Camino, der Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich. Der Bericht erscheint im Rahmen der Umsetzung des Berliner LSBTIQ+ Aktionsplans 2023.

Zur Auswertung des Berichts hat das Berliner Monitoring zum einen die Polizeistatistik zu politisch motivierter Kriminalität und Verfahrensdaten der Staatsanwaltschaft genutzt sowie Statistiken zivilgesellschaftlicher Meldestellen ausgewertet. Zum Themenschwerpunkt Bisexualität hat Camino selbst bisexuelle Menschen befragt. Ziel des Monitorings ist laut Camino nicht nur die Verbesserung der Datenlage, sondern auch die Sensibilisierung der Gesellschaft sowie die Weiterentwicklung von Beratungsangeboten.

2023 neuer Höchststand

Sowohl Camino als auch zahlreiche Meldestellen verweisen immer wieder auf die hohen Dunkelziffern beim Thema Queerfeindlichkeit. Laut der erfassten Daten der Berliner Polizei hat die Gewalt gegen queere Menschen 2023 mit 588 Vorfällen einen Höchststand erreicht – dazu gehören mit 45,4 Prozent Beleidigungen und mit 21 Prozent Körperverletzungen. Die Hälfte der erfassten queerfeindlichen Straftaten spielten sich 2023 im öffentlichen Raum ab, 11 Prozent im öffentlichen Nahverkehr. Die polizeilich ermittelten Tatverdächtigen sind fast ausnahmslos männlich, insbesondere bei Gewaltdelikten (2023: 92,4 Prozent).

Albrecht Lüter von Camino betont, dass sich Hasskriminalität und Queerfeindlichkeit in unterschiedlichsten Gruppen zeigen. Generell gelte: Wo mehr queeres Leben stattfinde wie in den Ortsteilen Schöneberg, Mitte oder Neukölln, gebe es auch mehr Gewalt. Lüter verweist außerdem darauf, dass sich ein Anstieg der Gewalt eventuell so erklären ließe, dass in krisenhaften Zeiten Hass auf Minderheiten zunehme.

Bisexualität unsichtbar und abgetan

Laut Moritz Konradi von Camino gaben viele der Befragten an, das Gefühl zu haben, unsichtbar zu sein, und starke Zweifel zu haben, ob sie zur queeren Community dazugehörten. Promiskuitivität und Untreue seien häufige Unterstellungen, mit denen sich bisexuelle Menschen laut der Umfrage von Camino konfrontiert sehen.

Kaum Anzeigen bei der Polizei

Queerfeindlichkeit – Berlin: Gewalt gegen queere Menschen kommt vom Mann

Von 64 von Camino 2024 befragten Bisexuellen hätten nur 9,6 Prozent Anzeige bei der Polizei erstattet, nur 6,3 Prozent davon hätten auf die queerfeindliche Motivation hingewiesen. Lüter sagt gegenüber »nd«, dass sich ähnliche Werte auch im Monitoring vor zwei Jahren zum Schwerpunkt Transfeindlichkeit gezeigt hätten: Betroffene wenden sich kaum an die Polizei. »Differenzierter« habe Camino die amtlichen Daten, zum Beispiel aus der Polizeistatistik, ausgewertet. So zähle diese beispielsweise einen Fall, in dem sich Homophobie und Transfeindlichkeit zeigen, zweimal, also jeweils in der entsprechenden Statistik zum Thema.

Anlässlich der Veröffentlichung des Berliner Monitorings fordert die queerpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Laura Neugebauer, den Senat zum Handeln auf. »Statt die wichtige präventive Arbeit an Schulen und im Jugendbereich zu kürzen, zu schwächen und immer wieder zu hinterfragen, muss die Aufklärungs- und Bildungsarbeit endlich vorbehaltlos unterstützt und ausgebaut werden.« Zudem brauche es »Maßnahmen der Vertrauensbildung«, damit nicht nur 10 Prozent der Vorfälle bei der Polizei angezeigt werden. »Die queere Community muss sich vorbehaltlos an die Polizei wenden können«, sagt Neugebauer.

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