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Dresdner Carolabrücke löst Domino-Effekt aus
Prüfung von Spannbeton-Bauwerken in Sachsen mündet in einer Sperrung und einem Sofort-Abriss
»Über sieben Brücken musst du gehen« hieß einer der größten Erfolge der DDR-Rockband Karat. Er wurde im Jahr 1978 veröffentlicht. Zu hoffen ist, dass die sieben Brücken nicht in der damals verbreiteten Spannbeton-Bauweise ausgeführt wurden. Ansonsten stünde zu befürchten, dass sich ihre Zahl drastisch verringert. Eine in Sachsen laufende Überprüfung von derartigen Brücken hat dazu geführt, dass binnen weniger Wochen zwei wichtige Querungen außer Betrieb genommen wurden. Die 1977 eröffnete Elbbrücke in Bad Schandau kann vorerst nicht mehr für den Verkehr freigegeben werden. Bei einer Straßenbrücke bei Großenhain sind die Schäden sogar so gravierend, dass wenige Tage nach der Untersuchung am Donnerstag mit dem Abriss begonnen wurde.
Ausgelöst wurde die Überprüfung, von der im Freistaat insgesamt 19 Brücken betroffen sind, durch den Einsturz der Carolabrücke in Dresden. Bei dem aus drei parallelen Brückenzügen bestehenden, 1971 eingeweihten Bauwerk war am 11. September die von Straßenbahnen und Fußgängern genutzte Trasse völlig unvermittelt kollabiert. Der Einsturz des vielbefahrenen Bauwerks erfolgte zum Glück mitten in der Nacht, sodass Menschen nicht zu Schaden kamen. Ein Gutachten hat mittlerweile ergeben, dass ursächlich für den Einsturz die Korrosion von stählernen Spanngliedern war, die den Baukörper stützen sollten, aber in erheblichem Umfang beschädigt sind. Weil dies auch in den beiden verbleibenden Brückenzügen der Fall ist und diese außerdem beim Einsturz in Mitleidenschaft gezogen wurden, steht inzwischen fest, dass die Brücke komplett abgerissen werden muss. Ein Ersatz kostet rund 140 Millionen Euro; sein Bau dauert Jahre. Bis dahin bleibt die Verkehrssituation schwierig.
Standsicher, aber nur ohne Autos
Das gilt in noch viel stärkerem Maße in der Sächsischen Schweiz. Dort müssen Anwohner, Pendler und Handwerker Umleitungen von knapp einer Stunde in Kauf nehmen, seit Anfang November quasi über Nacht die Elbbrücke in Bad Schandau gesperrt wurde. Der Bau, über den die Bundesstraße 172 zwischen Dresden und der Sächsischen Schweiz verläuft, verdankt seine Tragfähigkeit ebenfalls stählernen Spanngliedern. Äußere Anzeichen wie Risse, aus denen rostiges Wasser austrat, sowie eine unerwartet starke Senkung der Fahrbahn hatten befürchten lassen, dass auch diese beschädigt sein könnten. Mittlerweile hat ein Gutachten ergeben, dass die Brücke auf absehbare Zeit nicht wieder für den Verkehr freigegeben werden kann. Immerhin sei sie »standsicher, solange sie nicht belastet wird«, teilte das sächsische Landesamt für Straßenbau und Verkehr (Lasuv) dieser Tage mit. Von Schiffen auf der Elbe kann sie daher wahrscheinlich wieder unterquert werden. Bis Sommer 2025 sollen Untersuchungen und statische Berechnungen zum »Sanierungspotenzial« der Brücke angestellt werden. Gleichzeitig werde der Bau einer Behelfsbrücke vorbereitet, um »schnellstmöglich eine spürbare Entlastung« für die Region zu bewerkstelligen.
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Keinerlei Sanierungspotenzial sahen Gutachter für die Straßenbrücke in Großenhain, auf der die Bundesstraße 101 über die Bahnstrecke Dresden-Berlin geführt wird. Dort rückten am Mittwoch dieser Woche Gutachter an, um die in sogenannten Hüllrohren verlegten Spannglieder zu inspizieren. Das Ergebnis war verheerend. Der Zustand des Bauwerkes sowie vorhandene Risse und entnommene Proben zeigten eine »Gefährdung der Tragfähigkeit« auf; es werde die »unverzügliche Sperrung« erforderlich, erklärte die Landesbehörde und ordnete zudem den umgehenden Abriss an. Bereits einen Tag später rollten die Bagger. Straßenverkehr und Züge müssen über andere Trassen geführt werden. Glücklicherweise gibt es für letztere eine Umleitungsstrecke in unmittelbarer Nähe. Die Fahrzeit der Fernzüge zwischen Dresden und Berlin verlängere sich um maximal 15 Minuten, teilte die Deutsche Bahn AG mit. Der Abriss soll weniger als eine Woche dauern. Die Bahn geht davon aus, dass die Trasse ab Heiligabend wieder befahren werden kann.
Entwarnung bei Agra-Brücke
Nicht ausgeschlossen ist, dass weitere Sperrungen folgen. Unter den 19 Brücken seien fünf, die vordringlich geprüft würden, hatte ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums kürzlich bei einem Termin in Bad Schandau erklärt. Dazu gehören zwei weitere Bauwerke in dem Ort, die über die Bahnstrecke Dresden-Prag verlaufen. Betroffen ist zudem eine Brücke der B 169 bei Grimma sowie die Agra-Brücke in Leipzig, auf der die B 2 verläuft. Diese gilt seit längerem als marode und wird bereits mit zusätzlichen Stützen verstärkt. Diese Woche hieß es allerdings, zumindest eine sofortige Vollsperrung sei nicht nötig.
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