»Vereinte Patrioten«: Chefideologin soll freigesprochen werden

Im Prozess gegen die Gruppe, die Lauterbach entführen wollte, plädierte die Verteidigung

  • Joachim F. Tornau
  • Lesedauer: 4 Min.
Elisabeth R. soll dafür gesorgt haben, dass sich die »Vereinten Patrioten« auch mal an den Händen gefasst haben. Und so ein herzlicher Mensch soll jetzt Handschellen tragen?
Elisabeth R. soll dafür gesorgt haben, dass sich die »Vereinten Patrioten« auch mal an den Händen gefasst haben. Und so ein herzlicher Mensch soll jetzt Handschellen tragen?

Wenn man ihren Verteidigern glaubt, dann war Elisabeth R. die Friedlichkeit in Person. Eine »Wissenschaftlerin«, strikt gegen jede Gewalt. Und auf keinen Fall die Chefideologin und Rädelsführerin einer rechtsterroristischen Vereinigung, wie die Bundesanwaltschaft meint. Bei einem der Treffen, bei dem sie und ihre Mitverschwörer*innen den Umsturz in Deutschland geplant haben sollen, habe sie sogar dafür gesorgt, dass sich alle erst einmal an den Händen fassen. Für den Energiefluss. »Handelt so ein gewaltbereiter Mensch?«, fragte Rechtsanwalt Bernd Fiessler. »Wohl kaum.«

Seit mehr als anderthalb Jahren wird vor dem Oberlandesgericht in Koblenz gegen die 77-Jährige und vier weitere mutmaßliche Mitglieder der »Vereinten Patrioten« verhandelt – einer Vereinigung militanter »Reichsbürger« und Corona-Leugner*innen, die die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) planten und mit Sprengstoffanschlägen für einen wochenlangen Stromausfall in Deutschland sorgen wollten. Das Ziel: die vermeintlich nach wie vor gültige Reichsverfassung von 1871 wieder in Kraft zu setzen.

Die Bundesanwaltschaft hat für die promovierte Theologin und einstige Religionslehrerin fast neun Jahre Haft gefordert. Ihre Verteidiger wollen, dass sie freigesprochen wird. Die Verfasserin von fünf verschwörungsideologischen und vor Antisemitismus triefenden Büchern habe lediglich nach rund 300 Männern deutscher Abstammung gesucht, um das Parlament des »reaktivierten« deutschen Reichs besetzen zu können. Ein »verfassungskonformes Vorgehen« nannte das der Anwalt. Warum seine Mandantin, die von jeglichen Gewaltplänen nichts gewusst haben will, einen »kriegsrechtlichen Haftbefehl« für Lauterbach entwarf, erklärte er nicht.

Ebenfalls auf Freispruch plädierten die Verteidiger eines zweiten mutmaßlichen Rädelsführers, des Verkäufers und Comedians Michael H. (45) aus Niedersachsen. Die Pläne der »Vereinten Patrioten« seien völlig unrealistisch und damit ungefährlich gewesen, befand Rechtsanwalt Ralf Dalla Fini. Nur wegen eines verdeckten Ermittlers, den die Polizei in die Gruppe eingeschleust hatte, seien die Angeklagten überhaupt in die Nähe von Schusswaffen gekommen. »Ohne die Waffen war nur heiße Luft«, sagte Dalla Fini. Und behauptete: Die Gewehre und Pistolen seien den Angeklagten rechtsstaatswidrig »untergeschoben« worden. Die Bundesanwaltschaft hatte für Michael H. acht Jahre und drei Monate Haft verlangt.

Rund 100 Verhandlungstage dauert der Prozess bereits, das hat Spuren hinterlassen. Bis auf Elisabeth R. haben alle Angeklagten irgendwann zumindest Teilgeständnisse abgelegt. Und auch bei manchen Verteidigern wurde die anfängliche Angriffslust von der schier endlosen Flut belastender Chats, Telefongespräche und Zeugenaussagen über Bord gespült.

»Vor der Beweisaufnahme war ich der Meinung, dass man hier noch nicht von der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und der Gründung einer terroristischen Vereinigung sprechen kann«, sagte Philipp Grassl. »Ich habe meine Meinung geändert.« Der Rechtsanwalt vertritt den Brandenburger Bilanzbuchhalter, Ex-NVA-Offizier und rechten Wutbürger Sven B. (56), einen weiteren mutmaßlichen Rädelsführer. Und es schien, als richte er sein Plädoyer weniger an das Gericht als an seinen Mandanten. Denn der hat zwar umfassend gestanden. Aber ohne jedes Schuldbewusstsein.

Grassl legte detailliert dar, warum sich die Angeklagten strafbar gemacht hätten – trotz ihres Dilettantismus und der offensichtlichen Unfähigkeit, auch nur einen ihrer Pläne in die Tat umzusetzen. »Wir haben es hier mit einer terroristischen Vereinigung zu tun, aber es war eine relativ ungefährliche.« Der Anwalt erklärte, dass sich die Angeklagten nicht, wie es Corona-Leugner*innen gerne tun und wie es auch Sven B. getan hat, auf das grundgesetzlich garantierte Widerstandsrecht berufen könnten. Und er betonte: Das Strafrecht gelte auch für »Reichsbürger und Preußen«.

Die Bundesanwaltschaft hat für Sven B. wegen der »Aufklärungshilfe«, die er mit seinem frühen Geständnis leistete, vergleichsweise milde sechs Jahre Gefängnis verlangt. Seine Verteidiger verzichteten nun auf eine konkrete Strafmaßforderung. Ihr Mandant will – wie Elisabeth R. – aber noch selbst plädieren. Zu Prozessbeginn hatten beide ideologische Monologe gehalten, tagelang.

Auch die Verteidiger des letzten mutmaßlichen Rädelsführers traten defensiv auf. Thomas O., ein Frührentner aus Rheinland-Pfalz, hatte sich insbesondere bei der Planung des Stromausfalls hervorgetan und sich um Schusswaffen bemüht. Der 57-Jährige gestand erst spät, dafür aber voller Zerknirschung. Als »Häufchen Elend« bezeichneten ihn seine Anwälte und plädierten auf eine Strafe »leicht unterhalb« der sieben Jahre, die die Bundesanwaltschaft gefordert hatte.

Thomas K. (53), ein Bahnmitarbeiter aus Niederbayern, der eher am Rande beteiligt gewesen war und für den die Ankläger dreieinhalb Jahre Haft verlangt hatten, soll nach dem Willen seiner Verteidiger mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Die Urteilsverkündung ist für Mitte Januar geplant.

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