- Berlin
- Bundestagswahl
Bei Linken geht das Licht aus
Landesverband Brandenburg nominiert sechs Kandidaten für die Bundestagswahl
Es hat gerade heftig geregnet und nieselt noch. Der Rasen am Biotechnologiepark 4 von Luckenwalde ist aufgeweicht. Im Saal versammelt sich Brandenburgs Linke und stemmt sich dagegen, bei der Bundestagswahl am 23. Februar aus dem nächsten Parlament herausgespült zu werden. Im Landtag ist die Partei seit dem 22. September schon nicht mehr vertreten.
»Die Situation ist alarmierend, dramatisch«, sagt der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke). Da meint er aber nicht den Zustand seiner Partei, sondern Beiträge für die Krankenversicherung und andere Abgaben, mit denen die Bevölkerung ab Januar stärker belastet werde. Görke wird in Luckenwalde zum Spitzenkandidaten der Brandenburger Linken bei der Bundestagswahl bestimmt. Mit 62 zu 45 Stimmen setzt er sich gegen seine Mitbewerberin Isabelle Vandré durch, die bis zuletzt zehn Jahre der Linksfraktion im Landtag angehört hatte.
Indirekt für Vandré wirbt vor der entscheidenden Abstimmung Thomas Singer aus dem Landkreis Potsdam-Mittelmark. Der 73-Jährige äußert, Görke habe früher für einen Landesvorstand gestanden, »der kritiklos alles übernahm, was aus Berlin kam«. Singer meint: »Wir sind hier unter uns. Da können wir offen sprechen.« Aber da irrt er sich. Zwar ist der Landesverband durch sein Ausscheiden aus dem Landtag politisch so bedeutungslos geworden, dass zu seinem letzten Parteitag nach Schönefeld nur noch der Sender RBB und die Tageszeitung »nd« erschienen sind. Doch hier in Luckenwalde sind doch wieder ein paar mehr Journalisten anwesend und hören, was Singer zu sagen hat.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
Zwischendurch geht im Saal das Licht aus und es bleibt nicht die einzige Panne an diesem Abend. Während der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann spricht, gibt es eine Störung an der Tontechnik. Mehrere Sekunden lang ist nichts als ein höllisches Rauschen zu hören. Ob der »Klassenfeind« dahinter steckt? Diese Frage wirft Pellmann ironisch auf und spricht dann einfach lauter, damit ihn seine Zuhörer auch ohne Verstärker verstehen können.
Pellmann gewann 2021 seinen Wahlkreis in Leipzig und sicherte so den nochmaligen Einzug seiner Partei in den Bundestag, obwohl sie mit 4,9 Prozent der Stimmen die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt hatte. Mit drei gewonnenen Wahlkreisen kommt eine Partei an dieser Hürde vorbei. Jetzt ist Pellmann wieder so etwas wie die »Lebensversicherung« der Linken. Er verwendet selbst diesen Begriff. Fünf Wahlkreise möchte die Partei holen, zwei durch Gregor Gysi und Ines Schwerdtner in Berlin, einen durch Bodo Ramelow in Erfurt, einen in Rostock durch Dietmar Bartsch – und den von Pellmann in Leipzig. Auch im Saarland oder in Bayern sei »eine Stimme für die Linke keine verschenkte Stimme«, verspricht Pellmann. Denn mit den fünf Direktmandaten sei die Partei »sicher drin« im Bundestag. Etwas anderes möchte sich der Abgeordnete nicht vorstellen. Er will nicht später in den Geschichtsbüchern lesen müssen, »das Linkeste« im kommenden Bundestag sei der »Oppositionsführer Olaf Scholz« (SPD) gewesen, der jetzt noch Bundeskanzler ist.
Felix Thier, Linke-Kreisvorsitzender hier in Teltow-Fläming, erinnert in Luckenwalde noch einmal an das schlechte Ergebnis der Bundestagswahl 2021. Er erinnert aber auch an den Erfolg von Kornelia Wehlan (Linke) bei der gleichzeitig stattfindenden Landratswahl. Allerdings belegten die damaligen Wahlergebnisse nur, dass die Bürger Kornelia Wehlan als Landrätin behalten wollten, weil sie ihr persönlich vertrauten und sie schätzen. Ihre Partei erhielt bei der Bundestagswahl in Teltow-Fläming auch nicht mehr Stimmen als anderswo in Brandenburg.
»Die Situation ist alarmierend, dramatisch.«
Christian Görke Bundestagsabgeordneter
2021 hatte sich die Partei noch nicht gespalten. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gründete sich erst Anfang 2024. Pellmann hat Wagenknecht früher oft verteidigt und einige Dinge anders beurteilt als heute, wie er am Donnerstagabend zugibt. Doch wenn er jetzt höre, was vom BSW komme, dann zeigt ihm dies, »dass die Trennung notwendig war«, sagt er. Pellmann nennt das BSW ein »Egoprojekt«. Unmittelbar vor der Ende 2023 angekündigten Abspaltung gab es Mutmaßungen, Pellmann würde mit Wagenknecht gehen. Doch das kommt für ihn überhaupt nicht in Frage. 1993 sei er in die PDS eingetreten und nicht bereit, seine politische Heimat zu verlassen, sagt der 47-Jährige. Er ist Vorsitzender der Gruppe der Linken im Bundestag.
Brandenburgs Linke nominiert am Donnerstagabend im abgelegenen Biotechnologiepark drei Männer und drei Frauen für die Landesliste. Auf Christian Görke und Isabelle Vandré auf den ersten beiden Listenplätzen folgen Christin Willnat, Robert Kosin, Annabell Rattmann und Daniel Irrgang, die bisher nur kommunalpolitisch in Erscheinung traten.
Nach der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap für den Senders RBB darf Die Linke bei der Bundestagswahl in Brandenburg aktuell mit vier Prozent der Stimmen rechnen. 2021 hatte sie hier noch 8,5 Prozent erhalten. Angesichts des historischen Tiefs ist nicht damit zu rechnen, dass Brandernburgs Linke wieder zwei Abgeordnete in den Bundestag entsenden kann. Schon ein Mandat wäre viel für den Landesverband. Allein dafür müsste er am 23. Februar deutlich mehr Stimmen bekommen, als er bei der Landtagswahl im September erhalten hatte.
Der AfD werden für die Bundestagswahl in Brandenburg 30 Prozent vorhergesagt, der CDU 21 Prozent, der SPD 19, dem BSW elf Prozent und den Grünen sieben. Das BSW ist aber wie Die Linke nicht sicher im Bundestag. Denn es steht in den Umfragen nach einem fulminanten Start bei den ostdeutschen Landtagswahlen im September jetzt bundesweit auch nur noch bei fünf Prozent.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.