Vierschanzentournee: Massenspektakel und Millionengeschäft

Der Skisprung-Grand-Slam ist einer der wichtigsten Wintersport-Events weltweit – die Gastgeber profitieren

  • Lars Becker, Oberstdorf
  • Lesedauer: 4 Min.
Fliegen und feiern: Massenspektakel Vierschanzentournee
Fliegen und feiern: Massenspektakel Vierschanzentournee

Oberstdorf brummt in diesen Tagen. Dass hier im Schatten des Nebelhorns fast alle Unterkünfte in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ausgebucht sind, hat nicht nur mit den traumhaft schneebedeckten Bergen im deutschen Wintersport-Mekka zu tun. Auch das Auftaktspringen der 73. Vierschanzentournee bringt jede Menge zahlungskräftiges Publikum in den Ort. Schon im September war der am Sonntag stattfindende Wettbewerb mit 25 500 Zuschauern restlos ausverkauft. In der Qualifikation tags zuvor erwarten die Organisatoren, dass der bisher bei 16 300 Fans stehende Weltrekord gebrochen wird.

Diese erstaunliche Zuschauermasse beim Vorspiel für den Tournee-Start ist weltweit einmalig. Bei den meisten anderen Skisprung-Weltcups wird diese Zahl nicht mal annähernd beim echten Wettbewerb erreicht. Das beweist die Zugkraft des Skisprung-Grand-Slams, der sich in seiner Geschichte seit 1953 zum weltweit wichtigsten jährlichen Wintersport-Event neben dem legendären Alpin-Rennen auf der Kitzbühler Streif entwickelt hat.

Laut der unabhängigen internationalen Bewertungsplattform YouGov ist die Vierschanzentournee sogar die beliebteste Sportveranstaltung in Deutschland, die Handball-Bundesliga und die Champions League der Fußballer landen geschlagen dahinter. »Dieses Ergebnis freut uns natürlich sehr, denn es deckt sich ja mit unseren Erfahrungen. Die Stimmung vor Ort ist immer sensationell und die TV-Übertragungsquoten sind wirklich spitze«, sagt der Oberstdorfer Peter Kruijer, der bis zum vergangenen Sommer Präsident der Vierschanzentournee war.

Das spült jede Menge Geld in die Kassen der vier Tournee-Orte Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen. Oberstdorfs Tourismus-Direktor Frank Jost hat in der Coronazeit einmal verraten, dass der bayerischen Marktgemeinde durch die damals geltenden Beschränkungen allein in der Tournee-Woche »20 Millionen Euro Umsatz« in Beherbergungsbetrieben und Gaststätten durch die Lappen gegangen seien. Selbst die Kurabgabe bringt an diesen Tagen 25 000 Euro ein.

Oberstdorf ist mit mehr als 2,5 Millionen Übernachtungen jährlich das deutsche Winterurlaubsziel Nummer eins. Neben den drei großen Skigebieten rund um den Ort und zahlreichen anderen Aktivitäts-Angeboten trägt auch das Auftaktspringen der Vierschanzentournee entscheidend zu diesem Erfolg bei. Die Bedeutung wurde auch in der Tourismus-Strategie »Oberstdorf 2020« unterstrichen: »Mit seiner Angebotsvielfalt im alpinen und nordischen Skisport ist Oberstdorf die führende Wintersportdestination in Deutschland. Das ganzjährige Bergwander-Angebot, die internationalen Sportveranstaltungen sowie die Trainingsmöglichkeiten für Spitzen- und Breitensportler manifestieren die Kompetenz in diesem Bereich.«

Auch im österreichischen Tournee-Finalort Bischofshofen ist das Skispringen das wichtigste Event des Jahres, das viele Besucher in die Hochkönig-Region bringt. Etwas anders sieht es in der Tiroler Metropole Innsbruck und Garmisch-Partenkirchen aus, wo das Skispringen ob der viel internationaleren Gästeklientel keine ganz so große Rolle spielt. Im Dezember 2023 kamen beispielsweise etwa 70 Prozent der Übernachtungen in Garmisch-Partenkirchen aus dem Ausland – hauptsächlich Touristen, die die Zugspitze, mit 2962 Metern Deutschlands höchster Berg, sehen und auf Skiern erleben wollten.

In Oberstdorf kamen im Vorjahr nur sechs Prozent der Gäste aus dem Ausland. Viele deutsche Urlauber verraten, dass sie auch die Fernsehübertragungen von Wintersport-Events in den Ort gelockt haben. Deshalb wurden auch die Nordischen Ski-Weltmeisterschaften 2021 im Allgäu in der schlimmsten Corona-Phase durchgezogen – obwohl kein einziger Zuschauer live dabei sein konnte und so Millioneneinnahmen durch die Lappen gingen.

Ein Garant für beste TV-Quoten ist die Vierschanzentournee: Mehr als fünf Millionen Zuschauer hatten vor einem Jahr beim Auftaktspringen eingeschaltet, beim darauf folgenden legendären Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen waren es sogar mehr als sechs Millionen. Der Werbewert dieser Übertragungen für die Orte summiert sich auf einen zweistelligen Millionenwert, die Fernsehsender riefen für einen 30-Sekunden-Werbespot zuletzt mehr als 30 000 Euro auf. Den Skiverbänden aus Deutschland und Österreich bringt die Vermarktung des Skisprung-Grand-Slams pro Jahr jeweils geschätzte zwei Millionen Euro ein. Dazu kommen bei mehr als 100 000 Zuschauern allein bei den Wettkämpfen in den vier Tournee-Orten weitere Millionen-Einnahmen. Geld, das zumindest teilweise auch in die Nachwuchsarbeit in den örtlichen Skiklubs fließt.

Die Skispringer wie der derzeitige Überflieger Pius Paschke aus München, die all diese Umsätze erst möglich machen, werden übrigens vergleichsweise spärlich entlohnt. Der Gesamtsieger des Top-Events kassiert 100 000 Schweizer Franken, Kleingeld im Millionengeschäft Vierschanzentournee.

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