Vierschanzentournee: Pius Paschke gegen Österreich

Während die Deutschen versuchen, sich vom Tournee-Rummel abzuschotten, dominiert Team Austria mit seiner Leichtigkeit

  • Lars Becker, Oberstdorf
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf ihm ruhen alle deutschen Hoffnungen: Nach seinem vierten Platz in Oberstdorf hat Pius Paschke bei der Vierschanzentournee schon einen deutlichen Rückstand.
Auf ihm ruhen alle deutschen Hoffnungen: Nach seinem vierten Platz in Oberstdorf hat Pius Paschke bei der Vierschanzentournee schon einen deutlichen Rückstand.

Als die Austria-Hymne in Oberstdorf nach einem spektakulären Dreifachsieg erklang, zog Bundestrainer Stefan Horngacher seine rote Mütze. Der Mann ist schließlich selbst Österreicher. Gemeinsam mit seinen Skispringern hatte er vor dieser 73. Vierschanzentournee eine Taktik ausgetüftelt, wie es endlich mit dem ersten deutschen Gesamtsieg seit 23 Jahren klappen soll. »Schlupflöcher nutzen und ein bisschen abschotten« wollte er seine Flieger vor dem großen Interesse der Öffentlichkeit.

Für seinen als Topfavorit angetretenen Gesamtweltcup-Spitzenreiter Pius Paschke sah das nach dem eher enttäuschenden vierten Platz beim Tournee-Auftaktspringen so aus, dass Skiverbands-Pressechef Ralph Eder die Interviews nach kurzer Zeit brüsk abbrach. Es gab kein Paschke-Bad in der Menge der 25 500 Fans in der ausverkauften Oberstdorfer Arena, die das gesamte deutsche Flieger-Team mit unglaublicher Begeisterung angefeuert hatten. Als sich das österreichische Gewinner-Trio Stefan Kraft, Jan Hörl und Daniel Tschofenig nach der Siegerehrung geduldig der langen Gesprächsrunde mit den Medien stellte, waren die geschlagenen deutschen Skispringer schon auf dem Weg in ihr Teamhotel.

Im Gepäck: Beachtliche 13,8 Punkte (umgerechnet 7,66 Meter) Rückstand für Paschke auf Tournee-Spitzenreiter Kraft. Der achtplatzierte Karl Geiger und der letztjährige Tournee-Zweite Andreas Wellinger auf Platz 20 sind schon aussichtslos in der Gesamtwertung zurückgefallen. »Die Leichtigkeit hat gefehlt«, analysierte Wellinger treffend. Das galt für das gesamte Gastgeber-Team. Dabei standen die Vorzeichen vor dem Skisprung-Grand-Slam so gut wie nie: Wellinger hatte bereits einen Weltcup gewonnen, auch Geiger stand in diesem Winter schon auf dem Podest. Und Paschke hatte vor Oberstdorf in fünf von zehn Weltcup-Saisonspringen triumphiert. Die beste Bilanz, mit der je ein deutscher Skispringer zur Vierschanzentournee angereist war.

Doch der wichtigste Wettbewerb der Skisprungwelt scheint zu einem unüberwindbaren psychologischen Hindernis für die deutschen Flieger zu werden, je länger der letzte Gesamtsieg zurückliegt. Natürlich gab es mit Blick auf die zweite Tournee-Station beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen kämpferische Durchhalteparolen. »Da ist noch gar nichts entschieden. Wir versuchen Pius den Rücken freizuhalten, damit er nicht allein da vorn kämpft«, formulierte Karl Geiger die Strategie. Und Bundestrainer Horngacher meinte, dass »Pius noch besser springen« könne und ihm die restlichen drei Tournee-Schanzen gut lägen: »Es war nicht leicht für ihn in Oberstdorf vor dieser Kulisse, Zuhause, Rambazamba und Erwartungsdruck.«

Genau diese Aussage bringt das deutsche Tourneeproblem auf den Punkt. Die unglaubliche Energie, die Tausende im Stadion mit deutschen Fahnen ausstrahlen, wird als Druck empfunden. Die Chance, im Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu stehen, als Belastung. Eine falsche Einstellung, wie auch Sven Hannawald findet, der im Winter 2001/2002 als letzter Deutscher die Vierschanzentournee gewinnen konnte: »Wir Deutschen sind von der Mentalität generell oft die Ersten, die zweifeln und die Lockerheit verlieren. Da sind die Österreicher oft ein bisschen positiver. Sie haben die nötige Leichtigkeit.«

Die war nach dem überragenden Dreifachsieg auf der in den vergangenen Jahren bei den Österreichern ungeliebten Schanze von Oberstdorf in jedem Moment spürbar. »Wir sind im Team entspannt und halten unsere sieben Zwetschgen zusammen«, meinte der Drittplatzierte Tschofenig. Es mache einfach Spaß in diesem Team zu springen, freute sich Jan Hörl, »weil alle im Team ganz eng beieinander sind«. Eine »supercoole Truppe, wo sich Alt und Jung, Lustig und Ruhig perfekt ergänzen«, fand auch Auftaktsieger Stefan Kraft: »Alle waren auf meiner Hochzeit und wir hatten eine irrsinnige Gaudi miteinander. Jetzt pushen wir uns gegenseitig im Team hoch für unsere große Mission: Nach zehn Jahren endlich wieder die Tournee zu gewinnen. Einer wird durchkommen.«

Auch bei den Österreichern ist der letzte Tourneesieg also ein Jahrzehnt her, davor hatten die Ko-Gastgeber den Skisprung-Grand-Slam allerdings siebenmal in Folge gewonnen. Letzter Sieger war 2014 Stefan Kraft nach einem Auftaktsieg in Oberstdorf, mittlerweile ist der Sportler 31. Den letzten österreichischen Dreifachsieg zum Tourneestart in Oberstdorf gab es vor 13 Jahren, auch damals ging der Gesamtsieg später nach Österreich.

Das Geheimnis für die neue Stärke der Austria-Flieger? Neben dem außergewöhnlichen Teamspirit, der Top-Sprungform und perfektem Material spielt auch Austria-Cheftrainer Andreas Widhölzl eine große Rolle. Der 48-Jährige gewann 2000 selbst die Tournee und stahl damals dem als Favoriten angetretenen Martin Schmitt die Show. »Andi lässt uns alle Freiheiten und uns so sein, wie wir sind«, lobte Kraft. Widhölzl selbst hält – im Unterschied zur Abschottungstatktik bei den Deutschen – Leichtigkeit für die richtige Strategie: »Jetzt kommen die Schanzen, die uns liegen. Wir werden die Jungs dabei unterstützen, dass sie die Begeisterung der Fans aufnehmen und locker positiv bleiben.« Vor dieser Einstellung kann man nur den Hut ziehen.

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