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Böllerverbotszonen in Berlin: Safe Space für Polizisten

In den Berliner Böllerverbotszonen ist Pyrotechnik nicht erlaubt. Außer Polizeibeamten verbringt dort niemand Silvester.

Polizisten überwachen in der Neuköllner Sonnenallee eine der Verbotszonen für Feuerwerk.
Polizisten überwachen in der Neuköllner Sonnenallee eine der Verbotszonen für Feuerwerk.

Es knallt und zischt, es pfeift und donnert. Schon am frühen Abend der Silvesternacht 2024 wird in Berlin geböllert, was das Zeug hält. Es sind vor allem Familien mit Kindern, die schon vor dem tatsächlichen Jahreswechsel mit Feuerwerk hantieren. In der Yorckstraße in Schöneberg hat eine Familie vorbildlich eine Gießkanne bereitgestellt, falls die angezündeten Feuerwerksbatterien nicht von allein erlöschen.

Sobald man sich dem Schöneberger Steinmetzkiez nähert, kündigen Straßensperren aus Warnbarken und Polizeitransportern an, dass man sich einem besonderen Bereich nähert – einer Böllerverbotszone. Von 18 bis 6 Uhr ist dort das Abbrennen von Pyrotechnik untersagt, lediglich Feuerwerk der Kategorie F1 – also harmlose Wunderkerzen, Knallerbsen oder Tischfeuerwerk – darf man hier einführen.

Knapp 100 Meter hinter der ersten Absperrung beginnt die Zone. Hinter Hamburger Gittern versehen dort einzelne Polizist*innen ihren Dienst. »Sie dürfen hier rein, bloß Feuerwerk dürfen Sie nicht mit reinbringen«, erklärt einer von ihnen. Nach der Versicherung, nichts dabei zu haben, öffnet er einen Eingang und man kann die Zone betreten. Ein junger Mann, der auch durch will, wird abgetastet. Er wolle nur zu seinem Kumpel, sagt er. »Ich hab’ nur Red Bull dabei.«

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Im abgesperrten Bereich ist nichts los. Das allgegenwärtige Geböller ist in der Steinmetzstraße nur aus der Ferne zu hören. In einem windgeschützten Hauseingang spielt ein Lautsprecher erst Grillenzirpen und dann unrhythmisches Klicken, wahrscheinlich um Obdachlose zu vertreiben. Hinter dem Pallaseum, einem Gebäuderiegel, der sich über die Pallasstraße spannt, ist auf einem Spielplatz, keinen Meter neben den Hamburger Gittern, gut ein Dutzend Kinder mit ihren Familien zu Gange und hat Spaß mit Feuerwerk.

Die Böllerverbotszone im Steinmetzkiez war zusammen mit der am Alexanderplatz die erste, die in Berlin eingeführt wurde. Nachdem am Jahreswechsel 2018/2019 an beiden Orten Einsatzkräfte mit Feuerwerk angegriffen worden waren und Jugendliche sich gegenseitig beschossen hatten, griff der Senat durch und richtete dort 2019 die Sonderbereiche ein. Damals war noch groß aufgefahren worden: Lichtmasten, Wasserwerfer und Gruppen von Polizist*innen an allen Ecken, schon weit vor Mitternacht. Die Erfahrung hat wohl gezeigt, dass das etwas übertrieben war. Beamte sind nun nur an den Eingängen positioniert.

Im vergangenen Jahr wurde auch der nördliche Teil der Sonnenallee zu einer Verbotszone erklärt. Dort ist dieses Jahr gegen 22 Uhr einiges mehr los als in Schöneberg. Die Straße ist schon gut 100 Meter vor der Verbotszone abgesperrt. Die U-Bahn am Hermannplatz spuckt immer wieder einen Schwall von Menschen aus, die in Richtung Sonnenalle laufen. Bayrische Polizist*innen machen dort den Einlass. Es ist wie im Club, bloß schlechter organisiert. »Ein Schlange bilden«, ruft ein Polizist. »Jacken auf und Taschen auf. Sie dürfen kein Feuerwerk dabei haben!« Die Kontrollierten nehmen den Vorgang mit Humor. »Das ist ein bisschen verrückt«, sagt einer mit breitem Grinsen, bevor er die Sonnenalle mit dem Handy filmend Richtung Süden weitergeht.

Zu filmen gibt es viel: Ein mit einem Generator betriebener Flutlichtmast leuchtet die Straße aus. Über die gesamte Länge der Sonderzone ist der Gehweg der Sonnenallee abgesperrt, die Straße ist gesäumt von Polizeiwagen. Am südlichen Ende, an der nächsten Absperrung, diskutiert ein Anwohner mit den Polizist*innen scherzend über die Sinnhaftigkeit des Verbots. Als es in der Ferne heftig knallt und sich sein Hund erschrickt, sagt er, dass es vielleicht doch nicht so schlecht sei, dass es eine Absperrung gebe. Er fragt sich laut, warum die Zone genau hier und nicht 100 Meter weiter beginnt. »Hier ist ja auch schon Todeszone.«

Wen die Polizei an einem der Checkpoints kontrolliert, der wird gefilmt. Die bayrischen Polizist*innen sind teilweise mit gelben Bodycams ausgestattet, die grün blinken. Einer von ihnen erklärt auf Nachfrage, dass das Standard sei und die Kameras »wie eine Dashcam« ununterbrochen aufnehmen. »Das wirkt deeskalierend und hat sich bewährt«, sagt er.

Direkt außerhalb der Zone explodiert eine Rakete unter einem vorbeifahrenden Sanitätswagen der Polizei. Kurz darauf fährt eine Wanne vor, ein halbes Dutzend Polizist*innen steigt aus, findet aber niemanden, der sich verantwortlich zeigen könnte. Nachdem sie einen kleinen Brand in einer Baumscheibe löschen, ziehen sie sich zu Fuß in die Böllerverbotszone zurück.

»Was wir hier in den letzten Jahren hatten, ist abgestellt. Es ist hier ja komplett friedlich.«

Florian Nath Polizeisprecher

Während rund um die Sonnenallee mit jeder Minute, die der Jahreswechsel näher rückt, immer mehr Menschen auf die Straße kommen und das Geknalle intensiver wird, leert sich die Böllerverbotszone. Kurz vor Mitternacht ist außer Polizist*innen und einzelnen Jounalist*innen so gut wie niemand mehr da. Polizeisprecher Florian Nath sagt zu »nd«, dass das, was man in der Sonnenallee sehen könne, relativ erfolgreich sei. Schließlich werde nicht geböllert. Im Hinblick auf vergangene Angriffe auf Einsatzkräfte sagt er: »Was wir hier in den letzten Jahren hatten, ist abgestellt. Es ist hier ja komplett friedlich.«

Um 0 Uhr geht es dann richtig los. Unter den wachsamen Augen der Polizeibeamt*innen in der Verbotszone fängt eine Menge rund um den Hermannplatz an, zu böllern, was das Zeug hält. Immer wieder donnert es so laut, dass man Schockwellen am Körper spürt. Auf einmal stürmen rund 40 Polizist*innen aus ihrem Safe Space: Unter den Feiernden ist eine kleine Schlägerei ausgebrochen, die auseinandergetrieben wird. Danach stehen sich Polizist*innen mit Kameras und einzelne Feiernde mit Handys gegenüber. Aber es passiert nichts. Die Feiernden ziehen woanders hin.

In den ersten Stunden des neuen Jahres bleibt es auf den Straßen lebendig. Raketen links und rechts, explodierende Böller, ausbrennende Feuerwerksbatterien auf den Straßen, feiernde Gruppen, und immer wieder Blaulicht: Neben der Polizei bahnen sich Krankenwagen und die Feuerwehr den Weg durch den Verkehr. In einer Zwischenbilanz am Morgen berichtet die Senatsinnenverwaltung von 390 Festnahmen in der Silvesternacht. 30 Polizist*innen wurden verletzt, die Feuerwehr löschte 825 Brände und das Unfallkrankenhaus meldete mindestens fünf Schwerverletzte durch Böller.

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