Eine andere Autowirtschaft ist möglich

nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«: Sozialökologische Wege aus der Krise der Fahrzeugindustrie

  • Thomas Goes
  • Lesedauer: 8 Min.
Das jahrzehntelange Modell der deutschen Autoindustrie ist weder ökologisch sinnvoll noch eine zukunftsträchtige Erfolgsstrategie.
Das jahrzehntelange Modell der deutschen Autoindustrie ist weder ökologisch sinnvoll noch eine zukunftsträchtige Erfolgsstrategie.

Große Erleichterung empfand man bei der IG Metall, als kurz vor Weihnachten im Ringen mit dem VW-Konzern ein gangbarer Kompromiss erreicht wurde. Werksschließungen wurden abgewehrt. Beschäftigte verzichten kurzfristig auf Lohnerhöhungen, das Geld fließt in einen Zukunftsfonds, aus dem Personalübergänge bezahlt werden. Entlassungen wurden so abgewendet, bis 2030 werden aber sozialverträglich dennoch 35 000 Stellen in Deutschland abgebaut. Man könnte sagen: Die Belegschaft ist dank der IG Metall noch mal mit einem blauen Auge davongekommen. Aber der »beispiellose Tarifkampf«, von dem die Gewerkschaft sprach, verweist auf grundlegendere Probleme des Konzerns und der deutschen Automobilindustrie.

Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass es auch auf mittlere Sicht krisenhaft bleibt. Das kann der Linken nicht egal sein. Unsere Aufgabe ist es, strategisch eine sozialökologische Wirtschafts- und Industriepolitik vorzuschlagen, die den Kampf gegen die Erderhitzung in Angriff nehmen, Beschäftigungsperspektiven sichern und gleichzeitig die Instabilität nährende Exportabhängigkeit zurückbauen würde. Allein mit »Mehr Elektro« wird es jedenfalls nicht gehen – und Solidaritätserklärungen gegen Angriffe auf Lohn und Jobs werden in Zukunft nicht reichen.

Deutsche Erfolgsrezepte

Seit Mitte/Ende der 70er Jahre hatte die Automobilindustrie regelmäßig die Krise, immer war sie verbunden mit anhaltender Monopolisierung und Verdrängungskämpfen auf den Märkten. Deutsche Autokapitalisten schlugen, wie man mit Marx sagen kann, auf dem Weltmarkt andere tot. Die großen deutschen Drei – Mercedes, VW, BMW – brachten sich durch enorme technische Rationalisierungsprogramme, durch Management- und Organisationsformen, die flexiblere und beteiligende Ausbeutung ermöglichen sollten, in Stellung. 2023 war VW der umsatzstärkste Autokonzern weltweit, Mercedes und BMW landeten auf den Plätzen 6 und 7. Seit Anfang der 90er Jahre begannen sie »zu teure« Aufgaben auszulagern. Das setzte die Belegschaften einer enormen Kostenkonkurrenz aus – genauso wie die Internationalisierung der Produktion und die Inszenierung des Standortwettbewerbs. Das Damoklesschwert der Verlagerung wurde gut sichtbar aufgehängt.

Der Autor

Dr. Thomas Goes, Jahrgang 1980, ist Mitglied im Landesvorstand der Linken in Niedersachsen. Er ist Soziologe und lebt in Göttingen.

Ab Ende der 90er wurden zunehmend prekäre Randbelegschaften aufgebaut, immer öfter Leiharbeiter eingestellt und Befristungen genutzt. Und schließlich setzten die deutschen Unternehmen auf eine besondere Produktpolitik: Es wurden teure Mittel- und Oberklasseautos mit hoher Qualität gebaut, weil Kleinwagen nicht genug Profit abwarfen. Auch VW ging zunehmend diesen Weg. Die Car-Wars der späten 80er und 90er Jahre, damals angesichts der Erfolge von Japans Topkonzern Toyota, setzten die Frage der Wettbewerbsfähigkeit permanent auf die Tagesordnung. Das alles führte an vielen Automobilstandorten zu »Wettbewerbsbündnissen«. Die IG Metall und die meisten Betriebsräte arbeiteten dort mit – und bewahrten teilweise als »Rationalisierer in Eigenregie« einen respektablen Wohlstand für die Kernbelegschaften.

Der Tauschpakt lautete: kein Sozialdumping, kein massiver Stellenabbau und keine Zerstörung der Mitbestimmung, sondern durch Mitbestimmung, gute Arbeit und innovative Produktion im Wettbewerb bestehen. Die Konzerne setzten ihren Siegeszug auf dieser Grundlage (zu der eben auch Prekarisierung, Lohnzurückhaltung und Arbeitsverdichtung gehörten) nach der großen Krise 2008/09 fort. Nicht zuletzt zog dieser Aufschwung den Rest der deutschen Industrie mit. Denn auch der zweite wichtige Industriesektor in Deutschland, der Werkzeug- und Maschinenbau, der Produktionsmittel herstellt, profitierte davon. Die Schattenseite ist der weitere Aufbau von (unökologischen) Überkapazitäten auf den Märkten, außerdem der mittlerweile eingeschlagene Weg in den Wirtschaftskrieg, wie er zwischen den USA und China bereits geführt wird. Es mag sein, dass ein Kapitalist den anderen totschlägt – aber das werden sich »deren« Staaten nicht gefallen lassen.

Mehrfachkrise der Autoindustrie

Die Krise der deutschen Automobilindustrie ist sicherlich auch auf Fehler der Konzernleitungen zurückzuführen. Aber damit allein lassen sich die Probleme nicht erklären. Denn in der Weltautomobilindustrie selbst gibt es große Veränderungen und Spannungen, für die deutsche Autoindustrie kann man von einer Mehrfachkrise sprechen.

»Vorwärts oder vorbei?«: Debattenserie über die Krise in der Linkspartei
25.08.2018, Sachsen, Hoyerswerda: Wimpel der Partei Die Linke mi...

Die Linkspartei steckt tief in der Krise, braucht neues Führungspersonal und dringend einen neuen Aufbruch. Aber wie und wohin? »nd« startet eine Debattenserie über Probleme und Perspektiven: »Die Linke – vorwärts oder vorbei?« Alle Texte der Serie finden Sie hier.

Erstens hat sich das Zentrum der Weltautomobilindustrie schon länger von Westeuropa und Nordamerika in Richtung China verlagert. Die deutsche Autoindustrie stellt längst deutlich mehr Autos im Ausland her als in Deutschland. China hat Konzerne hervorgebracht, die den deutschen bei E-Autos die Position der Technologieführer abgenommen haben. In der Batterieentwicklung und -fertigung liegen diese Konzerne mittlerweile vorn. Das ist ein enormes Problem, weil gerade die Batterien gewinnträchtig sind. Kurz: Die chinesische Konkurrenz ist im Moment billiger – und besser. Keine Kleinigkeit für die deutschen Konzerne, die hohe Preise aufgrund ihrer Qualitätsvorsprünge verlangen konnten.

Zweitens ist der Umstieg auf die Herstellung des E-Autos für viele Unternehmen bedrohlich, die in der Zulieferkette tätig sind. Bestimmte Angebote werden einfach nicht mehr benötigt und längst nicht alle Unternehmen sind finanziell potent und wirtschaftlich stabil genug, in ein neues Geschäftsfeld zu wechseln. Kommen noch laufende Personaleinsparungen durch die technologische Rationalisierung hinzu: Mit weniger Leuten mehr herstellen, das ist nicht neu für die deutschen Autobelegschaften. Trotz vieler Produktivitätssteigerungen in den vergangenen Jahrzehnten konnte aber großer Beschäftigungsabbau verhindert werden, weil der Absatz gesteigert wurde. Das ist heute anders. Schlimmer noch: Setzen sich die chinesischen Konzerne durch, werden die Rationalisierungsverlierer noch zahlreicher. Und worin sich viele Prognosen einig sind: Aufgrund von Digitalisierung und E-Auto-Produktion werden in Zukunft weniger Blaumänner an deutschen Standorten gebraucht, stattdessen mehr Ingenieure, Techniker, Softwareentwickler. Das führt zu einer weiteren Entproletarisierung der Autobelegschaften. Bereits heute bestehen sie zu rund einem Fünftel aus Technikern und Ingenieuren.

Drittens sind die deutschen Unternehmen enorm abhängig vom Weltmarkt. Exporte aus Deutschland gehen auch in die EU, aber eben auch zu wichtigen Teilen nach China und in die USA. Fördern diese ihre eigene Industrie durch Subventionen oder auch durch Zulassungsbeschränkungen, kann das dem deutschen Wirtschaftsmodell das Genick brechen. Entsprechend fordern konzernnahe Wissenschaftler auch, die deutsche Regierung müsse den Freihandel durchsetzen – der Bund der deutschen Industrie fordert außerdem die strategische Rohstoffsicherung, denn immerhin kontrolliert China wichtige Ressourcen, die für die Produktion der Zukunft gebraucht werden. Die Gefahr, China könne durch Preispolitik die deutsche Konkurrenz kaputtmachen, wird beschworen. Wahrscheinlich nicht zu Unrecht.

Viertens schließlich birgt die Branche ein ökologisches Dilemma. Um die bedrohliche Erderhitzung zu bekämpfen, müsste die Weltautomobilflotte in den nächsten 15 Jahren eigentlich deutlich abgebaut werden, trotz Elektro – wir brauchen weniger Pkws, dafür andere Fahrzeuge, um Mobilität sicherzustellen. Rückbau ist aber nicht die Logik der Autoindustrie, sondern permanenter Aufbau von Pkw-Stückzahlen.

Sozialökologische Industriepolitik

Eine linke Antwort auf diese Krisen und Herausforderungen muss Sicherheit zum Ziel haben: soziale, wirtschaftliche, ökologische und außenpolitische Sicherheit. Das bedeutet: unmittelbar die Existenzgrundlage der Arbeiter*innen zu erhalten, die in der Industrie beschäftigt sind – und die Weltmarktabhängigkeit zu verringern sowie aus der Verdrängungsschlacht auf den Weltmärkten auszusteigen. Ja, auch in Zukunft sollten Automobile exportiert werden, weil Menschen von A nach B kommen müssen – aber deutlich weniger. Aus ökologischen Gründen, aber auch, weil die Stärkung der Binnenwirtschaft die Unsicherheiten und Grundprobleme (permanenter Druck zur Kostensenkung und Produktivitätssteigerung) des Exportmodells eindämmen würden.

Bereits heute liegen – wie im Fall des VW-Konzerns – Produktionskapazitäten brach. Es ist sinnvoll, die Produktionskapazitäten um- und auch zurückzubauen, um gleichzeitig neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Dafür braucht es staatliche Lenkung. Eine Doppelstrategie ist sinnvoll. Einerseits sind mehr Investitionen nötig – wie es etwa die IG Metall fordert –, um die Anschaffung von E-Autos überhaupt sinnvoll zu machen. Der Ausbau von Ladestationen gehört dazu. Ökologisch ist es aber nicht sinnvoll, dass so viele E-Autos verkauft werden, wie es heute Verbrenner gibt.

Deshalb sind andere Mobilitätsformen nötig. Der Staat muss zum Beispiel direkt die Nachfrage nach nützlichen E-Bullis und Kleinbussen fördern, die im öffentlichen Nahverkehr des ländlichen Raumes eingesetzt werden könnten. Hier könnten Beschäftigte der Autokonzerne weiterhin arbeiten – vorausgesetzt, der Staat investiert in die dringend nötige Verkehrswende. Das käme auch den von Armut betroffenen Menschen auf dem Land zugute, die sich oft kein Auto leisten können. Wenn der politische Wille da ist, könnte mit Anstrengung, aber durchaus schnell in der Fläche ein Shuttle-on-Demand-Service wie in den Niederlanden aufgebaut werden.

Die Automobilkonzerne müssten darüber hinaus im Rahmen einer auszubauenden Mobilitätsindustrie weiterentwickelt werden. Das wäre eine Win-Win-Situation. Der Verkehrssektor trägt mit rund einem Viertel aller CO2-Schadstoffe sehr stark zur Erderhitzung bei, durch den Ausbau des Nahverkehrs könnten zugleich sozial und ökologisch sichere Jobs geschaffen werden. Die Nachfrage für die Bahn-, Bus- und Bulliproduktion müsste dementsprechend durch den Staat gestärkt werden, damit mehr Personal beschäftigt werden kann. Beschäftigte, die heute in der Pkw-Herstellung tätig sind, können dorthin wechseln. Das setzt – wie Studien der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigen – eine Wirtschaftspolitik voraus, die soziale und ökologische Ziele verfolgt und deshalb auch Investitionsplanung in die Wege leitet.

Das klingt für manche möglicherweise unrealistisch. Und angesichts der politischen Kräfteverhältnisse im Land mag es das auch sein. Ein Weiter-so mit dem Exportmodell, das in den verschärften Wirtschaftskrieg führt, ist zwar realistisch – wäre aber aus sozialen, friedenspolitischen und ökologischen Gründen katastrophal.

Zuletzt erschien in der nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«: »Listig dickere Bretter bohren« von Walther Becker und Ulli Wesser (»nd.DerTag« 26.11.24).

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