Bayer Leverkusens Fußballkunstwerk mit Ablaufdatum

Der Doublesieger zaubert wieder in der Fußball-Bundesliga – aber wie lange noch?

  • Daniel Theweleit, Leverkusen
  • Lesedauer: 4 Min.
Bayer Leverkusen wird im Sommer mit Abwehrchef Jonathan Tah (r.) mindestens eine Säule der Meistermannschaft verlieren.
Bayer Leverkusen wird im Sommer mit Abwehrchef Jonathan Tah (r.) mindestens eine Säule der Meistermannschaft verlieren.

Ein bisschen Neid schwang mit, als Nuri Şahin über Bayer 04 Leverkusen, den ersten Pflichtspielgegner seines BVB, im neuen Jahr sprach. Der 36 Jahre alte Trainer von Borussia Dortmund beschrieb die Werkself auf der Pressekonferenz vor dem Duell an diesem Freitagabend als »Mannschaft, die außergewöhnlich gut ist, die eine außergewöhnliche Mentalität hat« und sagte: »Die haben das geschafft, wohin wir kommen wollen und werden.« Dass Letzteres gelingt, ist eher unwahrscheinlich, denn beim Meister vom Rhein ist eine Jahrhundertkonstellation entstanden, die sich nicht kopieren lässt.

Jüngstes Beispiel ist Nationalspieler Jonathan Tah, eine tragende Säule des so erfolgreichen Bayer-Konstrukts. Der Leverkusener Abwehrchef hat angekündigt, im Sommer den Klub zu wechseln, seit Monaten wird spekuliert. »Stand jetzt ist nichts entschieden. Ich bin voll und ganz darauf fokussiert, mit Leverkusen erfolgreich zu sein. Meine Entscheidung werde ich demnächst treffen – und wenn ich das getan habe, das auch kommunizieren«, lautete der neueste Kommentar des 28-Jährigen zu den Gerüchten aus dieser Woche über Wechseloptionen zum FC Barcelona oder Inter Mailand.

Während in Dortmund rund um die Abgänge von Erling Haaland, Jude Bellingham oder auch Mats Hummels viel Unruhe in der Kabine entstand und mancher spielte, als wäre er gedanklich längst anderswo, ist Tah ein Vorbild für den Rest des Teams. Geradezu beispielhaft verkörpert der wahrscheinlich beste Innenverteidiger der bisherigen Bundesligasaison den enormen Hunger, der diese Mannschaft seit einiger Zeit wieder antreibt. Nachdem einige kleine Nachlässigkeiten im ersten Saisondrittel zu Punktverlusten führten, habe das Team »wieder diesen Biss gefunden, diese Energie, diesen Siegeswillen«, erklärte Sportgeschäftsführer Simon Rolfes vor dem Restart der Bundesliga nach der kurzen Winterpause.

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Trotzdem muss der Leverkusener Sportchef inzwischen für das Ende eines Fußballkunstwerks planen, dessen Bedeutung sich möglicherweise erst in einigen Jahren in seiner ganzen Ausprägung zeigen wird. Denn ganz egal, wie spannend und erfolgreich sich das kommende Halbjahr entwickelt, die Mannschaft, die mit dem Gewinn des Doubles das »Vizekusen«-Trauma als ewiger Zweiter überwand, und die nun seit mehr als einem Jahr mit den besten Fußball der Welt spielt, wird nur noch wenige Monate weiterexistieren.

Mit dem Abschied Tahs wird das Trio der Unersetzlichen gesprengt, dem auch noch Florian Wirtz und Granit Xhaka angehören. Ob Wirtz bleibt, ist ebenfalls ungewiss, sollte es den Rheinländern nicht gelingen, den Vertrag ihres wertvollsten Spielers zu verlängern, soll er verkauft werden. Das hat Klubchef Fernando Carro bereits angekündigt. Offen ist außerdem, ob Trainer Xabi Alonso abermals dem Lockruf der Giganten aus England, Spanien oder Süddeutschland widerstehen wird. Insofern bieten die kommenden Monate so etwas wie eine letzte Chance für diese außergewöhnliche Mannschaft für weitere Großtaten.

In Leverkusen sind sich alle bewusst über diese außergewöhnliche Konstellation einer perfekt harmonierenden Mannschaft, die angeführt wird vom vielleicht größten Trainertalent Alonso und dem kommenden Weltstar Wirtz. Der 21-Jährige wirkt in dieser Saison noch reifer als im Vorjahr. Auch Mittelfeldchef Xhaka will unbedingt mehr. Plötzlich ist sogar Patrik Schick in Topform, neun Tore hat der Stürmer im Verlauf seiner jüngsten fünf Bundesligapartien geschossen.

Auch dank des Tschechen schrumpfte der tabellarische Rückstand auf den FC Bayern in den Wochen vor Weihnachten von neun auf vier Punkte. Und am 15. Februar muss der Rekordmeister noch zum Auswärtsspiel nach Leverkusen. Der Wettkampf um die Meisterschaft ist wieder offen. Vielleicht ist sogar ein Coup in der Champions League möglich. Entsprechend zufrieden zeigte sich Xhaka über den Jahresabschluss seines Teams: »Die letzten drei, dreieinhalb Monate waren sehr stark von uns. Wir haben wieder Mentalität gezeigt, viele Läufe gemacht, auch ohne den Ball.«

Zu große Reden will trotzdem niemand schwingen bei der Werkself. »Wir tun gut daran, einfach unsere Aufgaben zu erledigen, so wie wir es am Ende des Jahres Spiel für Spiel gemacht haben«, erklärte Nationalspieler Robert Andrich zwei Tage vor dem Duell des Tabellenzweiten aus Leverkusen im Westfalenstadion, um dann doch anzudeuten, was viele im Klub wirklich denken: »Schauen wir mal, ob wir die zweite Kraft sind – oder die erste.«

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