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Eintracht-Präsidentin Kumpis fordert mehr Diversität im Fußball

Nicole Kumpis, Präsidentin von Eintracht Braunschweig, über die 2. Bundesliga, die Fans und die WM-Vergabe an Saudi-Arabien

  • Interview: Frank Hellmann
  • Lesedauer: 9 Min.
Einigkeit im Gästeblock: Fans von Eintracht Braunschweig beim Derby in Hannover
Einigkeit im Gästeblock: Fans von Eintracht Braunschweig beim Derby in Hannover

Waren die Feiertage dazu geeignet, dass auch die Präsidentin von Eintracht Braunschweig mal nicht an Fußball denkt?

Ins Bett gehe ich immer mit Gedanken an Blau-Gelb, ich bin seit der Kindheit Fan der Eintracht. Wir befinden uns in einer sportlich herausfordernden Situation, sodass die kurze Winterpause wirklich nicht die gemütlichste Zeit ist. Ich leide da als Anhängerin und als Präsidentin. Wo sich Tradition und Leidenschaft verbinden, kann es manchmal auch unruhig werden.

Sie stehen seit März 2022 einem Bundesliga-Gründungsmitglied vor, das in einer Liga beheimatet ist, die noch nie so attraktiv schien.

Wir haben wirklich tolle Vereine mit langer Bundesliga-Zugehörigkeit und riesigen Stadien in dieser Liga und fühlen uns da als Eintracht Braunschweig auch sehr wohl. Es gibt viele, die mir sagen, dass sie diese Liga momentan attraktiver finden als die Bundesliga.

Sollte diese Attraktivität bei der Verteilung der Fernsehgelder stärker gewichtet werden?

Die erste Liga ist nach wie vor das Premiumprodukt. Nichtsdestotrotz können wir nicht kleinreden, was bestimmte Vereine geschafft haben. Vermeintliche Underdogs haben es sehr gut gemacht, sich nach der Corona-Pandemie zukunftsfähig aufzustellen, die vor allem zuschauerstarke Vereine heftiger getroffen hat. Gleichwohl muss bei der Verteilung über diesen Aspekt nachgedacht werden, wenn sich das Faninteresse auch bei den Fernsehsendern massiv widerspiegelt. Man sollte grundsätzlich darüber nachdenken, den Anteil für die 2. Bundesliga zu erhöhen.

Interview

Nicole Kumpis, 50, ist seit März 2022 Präsidentin von Eintracht Braun­schweig und die einzige Frau auf diesem Posten im deutschen Profi­fußball. Durch ihren Vater kam sie zur Eintracht und stand bereits als Kind in der Südkurve. Haupt­beruflich ist die Diplom-Sozial­päda­go­gin für das Deutsche Rote Kreuz Braun­schweig und Salz­gitter tätig.

Viele reden über den großen Unterschied zwischen 2. Bundesliga und Bundesliga. Aber ist das Gefälle zur 3. Liga nicht viel größer?

Wir haben selbst die Erfahrung gemacht, dass es eine wahnsinnige Kluft von Liga zwei zu Liga drei gibt. Der letzte Abstieg 2021 hat bei uns zu riesigen Einschnitten durch die unterschiedlichen Fernsehgelder geführt. Es gibt zwar einen Solidaritätsfonds, aber kaum ein Profi lässt sich auf einen Zweitligavertrag ein, der den Abstiegsfall berücksichtigt. Daher sind die Kaderumbrüche so groß.

Wäre der Abstieg in Braunschweig existenzbedrohend?

Wir waren ja schon häufiger in der 3. Liga und würden auch dort wieder Fuß fassen, jedoch nur unter erheblichen Einschränkungen. Und die Frage wäre, ob dieser Standort es zeitnah überhaupt wieder zurück in die 2. Bundesliga schaffen würde. Daher tun wir wirklich das Maximale für den Klassenerhalt. Wir sind voller Euphorie in die Saison gestartet, aber auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Die Rückrunde muss wesentlich erfolgreicher verlaufen.

Erschwerend kommt sicher hinzu, dass die VW-Krise die ganze Region erschüttert. Wie sehr ist Ihr Klub betroffen?

Das Thema ist natürlich omnipräsent mit den Standorten in Wolfsburg, Braunschweig und Salzgitter. Die Mitarbeitenden in den VW-Werken sind teilweise auch unsere Fans, deren Zukunfts- oder Existenzängste machen vor den Toren der Eintracht nicht halt. Wir schauen auch sorgenvoll auf die Situation. Sowohl Volkswagen als auch die Volkswagen Financial Services sind wichtige sowie langjährige Sponsoren und Partner der Eintracht.

Der Fußball wurde oft als letztes Lagerfeuer der Gesellschaft bezeichnet. Aktuell hat die Spaltung durch Themen wie Krieg, Terror oder Migration extrem zugenommen. Tragen die Lizenzvereine eine besondere Verantwortung?

Dieser Aspekt ist in den letzten Jahren von den Klubs wie auch den Verbänden deutlich forciert worden. Auch wir haben seit 2015 eine Stiftung mit vielen Projekten und ein klares Leitbild. Ich glaube, dass der Fußball ein sehr großes Sprachrohr sein kann, weil er Herausforderungen ansprechen und Themen multiplizieren kann, aber er kann diese Probleme nicht lösen und nicht den Kitt für die Gesellschaft liefern. Das muss von Politik, Kommunen, Ländern und Bund kommen.

War die Heim-EM in diesem Sommer ein zu kurzes Strohfeuer für den Zusammenhalt?

Die EM war eine gute Werbung für den deutschen Fußball, was der eine oder andere Verein bei steigenden Anmeldezahlen gemerkt hat. Auch wurden viele Nachhaltigkeitsziele erreicht, vielleicht kann das die nachfolgende EM (2028 in Großbritannien, Anm. d. Red.) noch steigern …

Aber die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko wird diesbezüglich keine Maßstäbe setzen. 2030 geht’s sogar in sechs Länder auf drei Kontinenten, 2034 folgt dann Saudi-Arabien. Was sagen Sie zur Haltung des DFB und der DFL, dieser Vergabe zuzustimmen?

Der DFB hat eine Entscheidung zur Interessenwahrung getroffen. Aus moralischen Gründen hätte ich etwas anderes favorisiert und mich einer Vergabe nicht angeschlossen. Wir hätten unserem Leitbild entsprechend wegen verschiedener Bedenken nicht zugestimmt, konnten aber an diesem Entscheidungsprozess nicht teilhaben.

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Sie hätten Ihre Kritik doch an Hans-Joachim Watzke direkt adressieren können.

Es gibt DFL-Mitgliederversammlungen, auf denen man zu allen Themen kritische Töne äußern kann. Das passiert durchaus, mündlich, schriftlich oder über die Medien, aber in diesem Fall sind die Äußerungen unserer Bedenken offensichtlich nicht nachhaltig in die Entscheidungsfindung des DFB eingeflossen.

Angenommen, Sie würden mit Eintracht Braunschweig ein Angebot erhalten, für eine Million Euro zwei Freundschaftsspiele in Riad zu bestreiten. Würden Sie annehmen?

Nein. Da haben wir eine klare Haltung.

Saudi-Arabien wird für Menschenrechtsverletzungen und für den Umgang mit Frauenrechten kritisiert. Der deutsche Profifußball hat in Sachen Diversität aber auch noch erheblichen Nachholbedarf. Der erste Jahresbericht der Initiative »Fußball kann mehr« (FKM) brachte zutage, dass die große Mehrzahl der Lizenzvereine keine Frau im Topmanagement hat.

Mir würde es gut gefallen, wenn wir nicht nur über Geschlechter-Diversität reden. Der Fußball würde gut daran tun, sich so divers aufzustellen, dass wir alle Dimensionen der Gesellschaft berücksichtigen, die inklusiv, integrativ und altersdivers sind. Der FKM-Jahresbericht stellt uns unter anderem mit zwei Frauen im Präsidium in Braunschweig ein gutes Zeugnis aus, aber wir sind auch längst noch nicht da, wo wir sein wollen. Der FC St. Pauli macht es gut, nun übernimmt eine Frau bei Borussia Dortmund den Vorsitz des Aufsichtsrats. Das sind erste Schritte, doch auf der ersten Ebene sind wir Frauen sehr wenige. Ich bin die einzige Präsidentin. Generell sind divers zusammengestellte Teams wesentlich leistungsfähiger.

Sind Sie stolz auf die Bestätigung in Ihrem Amt?

Als 2022 erstmals in der Geschichte der Eintracht zwei Fünfer-Teams im Wahlkampf antraten, war es in Braunschweig eigentlich kein besonderes Thema, dass Mann und Frau für das Spitzenamt kandieren, wohl aber überregional. Ich bin 2024 nicht nur wiedergewählt worden, sondern habe auch bei den Entlastungen so gute Ergebnisse erzielt, dass die Mitglieder mit meiner Arbeit offenbar zufrieden sind. Um den Verein zukunftsfähig aufzustellen, mussten wir einige verkrustete Strukturen aufbrechen und arbeiten aktuell daran, nach und nach neue Ideen und Prozesse zu implementieren.

Worum ging es?

Wir bieten in 13 Abteilungen Breiten- und/oder Leistungssport an, doch die Infrastruktur für den Sport bereitet nicht nur uns Sorgen: Hallenzeiten sind knapp, Sportplätze oft in keinem guten Zustand. Das Mitgliederwachstum wird daher immer mehr zu einer Herausforderung. Wir sind jetzt bei 7800 Mitgliedern und haben für 2026 das Ziel von 10 000 ausgegeben; wir können aber nicht sporttreibende Mitglieder aufnehmen, ohne einen Gegenwert zu bieten. Deswegen sind eigene Infrastrukturprojekte Schwerpunkt unserer Arbeit für die nächsten Jahre.

Sie betonen immer wieder, dass in der Vereinsführung eine Kultur des Vertrauens, der Offenheit und Ehrlichkeit herrschen muss. Präsidenten sprechen gerne mal ein Machtwort

Das gibt es bei mir so nicht (lacht), aber selbstverständlich gebe ich Richtungen vor und trage für getroffene Entscheidungen die Gesamtverantwortung. Wir machen das in demokratischen Prozessen, wofür wir uns mit allen Anspruchsgruppen organisationsübergreifend bei der Eintracht zusammengesetzt haben. Der eingetragene Verein, die Stiftung und die Kapitalgesellschaft, also alle Gremien, Mitglieder, Mitarbeitenden und Sponsoren waren ein ganzes Jahr daran beteiligt, die Strategie für die nächsten Jahre zu erarbeiten. Dafür gab es Dialogformate, Befragungen und Klausurtagungen, damit wirklich jedes Mitglied sich einbringen konnte. Bei uns werden Entscheidungen nicht einfach von oben nach unten durchgegeben. Das kommt hier wirklich sehr gut an und funktioniert nachhaltig, weil sich alle in den Ergebnissen wiederfinden.

Kostet aber sicher Zeit und Kraft?

Ja, das ist ein anstrengender Weg, denn wir sind bei Weitem nicht immer einer Meinung. Wir gehen auch nicht immer alle über eine Brücke – manchmal bleibt auch einer stehen. Dann müssen wir eine Alternative finden, den Fluss zu überqueren. Hört sich metaphorisch an, ist aber genau das. Uns allen geht es letztlich darum, die Eintracht gemeinsam voranzubringen. Deswegen muss man sich immer wieder an einen Tisch setzen. Sprachlosigkeit wäre hier das größte Problem.

Die aktive Fanszene ist ja auch Bestandteil dieser Dialogkultur. Speziell wenn die Derbys gegen Hannover 96 anstehen, scheint aber gutes Zureden bei einem Teil nicht mehr zu helfen.

Trotz der Fassungslosigkeit, die durch einige Aktionen in der jüngeren Derbygeschichte verursacht wurde, sollten wir nicht aufhören, differenziert zu analysieren. Durch unsere Dialogformate mit Vertretern verschiedener Fanorganisationen und Institutionen erreichen wir mittelbar viele unserer Fans. Aber es gibt auch weiterhin Gruppen, mit denen es bisher nicht möglich ist, in einen Austausch zu kommen. Wir werden nie alle Menschen abholen können. Diese Minderheiten sind es, die ein Derby als Bühne missbrauchen, indem sie Schlägereien anzetteln oder Pyrotechnik als Waffe gegen andere Stadionbesucher einsetzen. Das ist absolut inakzeptabel. Gewalt ist kein Bestandteil von Fankultur, auch nicht bei einem Derby.

Inwieweit hilft Ihr Beruf als Sozialpädagogin beim Job als Präsidentin?

Für Eintracht Braunschweig arbeite ich nur ehrenamtlich. Im Hauptberuf bin ich weiterhin beim Deutschen Roten Kreuz in Braunschweig und Salzgitter. Natürlich fließen bei der Eintracht die Erfahrungen aus meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit ein, zumal ich die Menschen gerne für einen Weg der Teilhabe begeistere. Aber ich bin hier nicht als Pädagogin, sondern als Präsidentin gefragt.

Wie verteilt sich der Aufwand in einer normalen Arbeitswoche?

Bei mir sind es 40, 50 Stunden im Hauptjob, und es kommen ungefähr 30, 40 Stunden für die Eintracht in der Woche dazu. Tagsüber bin ich für das DRK unterwegs und ab dem späten Nachmittag bis in den späten Abend sowie in der Regel am Wochenende für den Verein tätig. Ich habe meine eigenen Strategien entwickelt, das alles zu schaffen. Und bevor die Frage kommt: Ich habe das rückblickend noch nicht einen Moment bereut. Ich habe jede Minute für die Eintracht gerne investiert und werde das weiterhin tun.

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