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Agrarbranche unter Druck
Grüne Woche in Berlin startet mit abgespecktem Erlebnisbauernhof
Der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche ist eine Katastrophe für die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie. An diesem Punkt sind sich alle einig, noch nicht beziffern lässt sich die Größenordnung des Schadens. Aktuell stehen die Lastwagen mit Fleischexporten nach Großbritannien in Calais, Milchbetriebe kippen literweise Milch weg, Tiere können nicht zum Schlachthof gefahren werden. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, befürchtet, die Restriktionen könnten für das nächste halbe Jahr aufrecht erhalten werden. Der Verband der Fleischwirtschaft rechnet mit Einbußen im dreistelligen Millionenbetrag.
Dennoch öffnet die internationale Agrarmesse Grüne Woche am Freitag für Besucher ihre Pforten, auch wenn Kühe, Schafe und Ziegen diesmal nicht zu sehen sein werden. 1500 Aussteller*innen aus 60 Ländern zeigen kulinarische Highlights, Innovationen und Trends. Zudem bietet der Branchentreff rund 300 Konferenzen für den agrarpolitischen Dialog, und am Wochenende kommen auf Einladung des Bundeslandwirtschaftsministeriums die Ressortkolleg*innen aus 70 Ländern zum Global Forum for Food and Agriculture auf das Berliner Messegelände unter dem Funkturm.
So sehr die Grüne Woche Publikumsmagnet ist – bis zu 300 000 Besuchende werden erwartet –, so sehr ist sie auch Jahresauftakt für die agrarpolitische Debatte. In diesem Jahr steht diese besonders im Zeichen der anstehenden vorgezogenen Bundestagswahl. »Wir brauchen einen Politikwechsel«, fordert Rukwied, der auf die Bauernproteste im vergangenen Jahr zurückblickt, die aus seiner Sicht einen ersten Riss in die Ampel-Koalition gebracht haben, »von dem sie sich nicht wieder erholt hat«. Noch-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) musste damals Beschlüsse zurücknehmen. Die Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge war nach ersten Protesten schnell vom Tisch, beim Agrardiesel hofft der DBV noch auf Verbesserungen, die Pläne wurden zunächst verzögert.
Für die neue Bundesregierung hat der Bauernverband gleich eine ganze Reihe von Forderungen aufgestellt: Bürokratieabbau, mehr Wertschöpfung, vereinfachte Genehmigungen, konsequenter Ausbau der nachwachsenden Rohstoffe und Verzicht auf grundlegende Veränderungen in der EU-Agrarpolitik. Der Ampel stellt Rukwied kein gutes Zeugnis aus, es sei nach diversen Ankündigungen schlicht »nicht viel passiert«.
»Der Gesetzgeber richtet den Rechtsrahmen stets an der Industrie aus.«
Tina Andres
Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft
Weniger Regularien fordert auch die Bundesvereinigung Deutsche Ernährungswirtschaft (BVE), ebenfalls Veranstalterin der Grünen Woche. Deren Wachstumszahlen sind nicht gut, gleichzeitig wachse die Bürokratie, kritisiert BVE-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff zum Messeauftakt. Sein Beispiel: Trotz schlechter Bilanzen müssten Unternehmen Personal einstellen für die vorgeschriebenen Nachhaltigkeitsberichte.
Gerade bei der Nachhaltigkeit zu sparen, diesen Vorschlag geht die Biobranche wohl nicht mit. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) sieht durchaus Wachstumschancen, nach einem Rückgang direkt nach der Coronakrise stabilisiere sich die Branche wieder, berichtet BÖLW-Vorsitzende Tina Andres. Sie kritisiert die Wettbewerbsverzerrungen zwischen ihrer und der industriellen Ernährungsbranche. So habe die Zukunftskommission Landwirtschaft die Folgeschäden der industriellen Landwirtschaft für Artenvielfalt, Gewässer, Boden und Luft auf 90 Milliarden Euro beziffert. Da auf ökologisch wirtschaftenden Höfen diese Folgeschäden vermieden würden, brauche es eine ökologische Steuerreform: höhere Steuern auf chemisch-synthetische Pestizide und Mineraldünger sowie eine Befreiung von der Mehrwertsteuer bei ökologisch erzeugten Lebensmitteln.
Die Ökobranche sorgt laut Andres inzwischen für rund 380 000 Arbeitsplätze, das sei eine Verdoppelung gegenüber der letzten Zählung von 2009. Der Jahresumsatz liegt demnach bei rund 16 Milliarden Euro. Da die Betriebe überwiegend aus dem Mittelstand kommen, fordert der BÖLW eine hierauf ausgerichtete Wirtschaftspolitik. »Der Gesetzgeber richtet den Rechtsrahmen stets an der Industrie aus. Viele Vorschriften müssen herunterskaliert werden auf kleine und mittlere Betriebe, um ihnen Luft zum Atmen zu geben«, erläuterte Andres. Bürokratieabbau wird also auch hier gefordert.
In der Landwirtschaft sei nach wie vor ein leichter Umstiegswille vorhanden, sagt auch DBV-Präsident Rukwied. Das von der Regierung für 2030 gesetzte Ziel von 30 Prozent Bio-Flächen ist jedoch noch immer in weiter Ferne. Der Anteil stieg zwar, aber nur leicht auf 11,4 Prozent der gesamten Agrarfläche Ende 2023.
Die gesamten Jahresergebnisse der landwirtschaftlichen Betriebe im vergangenen Jahr seien deutlich zurückgegangen nach zwei sehr guten Jahren, heißt es in der gesamten Branche. So sanken allein die Getreidepreise bundesweit um zirka 25 Prozent. Auch die Milcherzeuger*innen mussten seit Beginn des Wirtschaftsjahres wieder deutlich rückläufige Milchpreise akzeptieren. Im Ende Juni abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2023/24 sackten die Ergebnisse der Betriebe dem Deutschen Bauernverband zufolge im Schnitt um rund 30 Prozent auf 77 500 Euro ab.
Hinzu kommt nun der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche, eine Gefahr, die alle Höfe und Lebensmittelbetriebe trifft. Gerade auf die Exporte werden massive Auswirkungen erwartet – Umsatzausfälle, mit denen die Betriebe bisher alleingelassen werden. Das sind keine guten Aussichten zum Jahresbeginn.
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