- Berlin
- Buch »Am 1. April 1933 verließ ich Rathenow«
Leben und Leiden des Rabbiners von Rathenow
Buch über Gegner und Verfolgte des Naziregimes vorgestellt
»Am 1. April 1933 verließ ich Rathenow.« So heißt ein Buch von Irene A. Diekmann und Bettina L. Götze, das am Mittwoch in der Landeszentrale für politische Bildung vorgestellt wurde. Es handelt von »Gegnern und Verfolgten des Nationalsozialismus in Brandenburg«, so auch der Untertitel, und es gibt Opfern und Tätern der Verfolgung der Juden Name und Adresse.
Es galt, ein »Vermächtnis zu erfüllen«, sagte Zentralenleiterin Martina Weyrauch. Vorgestellt wird der Lebens- und Leidensweg des Rathenower Rabbiners Max Abraham, des Optikers Egon Kornblum, der sozialdemokratischen Politiker Gerhart Seger, Paul Szillat und anderer. Unabhängig voneinander veröffentlichten Abraham und Seger nach ihrer Flucht im tschechoslowakischen Exil Erfahrungsberichte aus dem frühen Konzentrationslager Oranienburg, nicht zu verwechseln mit dem erst später eingerichteten KZ Sachsenhausen.
Bereits am Dienstagabend eröffnete im Landtag eine Ausstellung über den »Verlorenen Transport« jüdischer KZ-Häftlinge, der im April 1945 in Ströbitz strandete und dort befreit wurde. In wenigen Tagen wird das Brandenburg-Museum in Potsdam einen Ausstellungsteil »Juden in Brandenburg« vorstellen. Die Zahl der Ausstellungen und Publikationen zu solchen Themen ist groß.
Bevor sich die Landeszentrale für politische Bildung entschied, das Buch von Diekmann und Götze zu fördern, stellte sich Martina Weyrauch die Frage: »Ist das im Landesinteresse?« Irene A. Diekmann, die einst am Lehrstuhl für Allgemeine Geschichte der Pädagogischen Hochschule »Karl Liebknecht« in Potsdam als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war, gelang der Übergang in die Universität Potsdam, und sie erreichte immerhin die Postion einer stellvertretenden Direktorin des Moses-Mendelssohn-Zentrums.
Bettina L. Götze promovierte ebenfalls an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, war danach Leiterin des Kreismuseums Rathenow und ab 2004 bis zur Rente des Optik-Industrie-Museums.
Das ausführliche Bekenntnis der Autorinnen, mit einem leseanreizenden Schreibstil wirklich Mühe gehabt zu haben, würde niemand äußern, der aus den alten Bundesländern stammt, bemerkte Martina Weyrauch. Der Geschichtsprofessor Martin Sabrow hatte den beiden Rentnerinnen auf den Weg gegeben, »anders« zu schreiben. Schwer und vor allem teuer war es, Bildrechte zu erwerben. Diekmann sagte: »Jeder hat kassiert« – und: »Man braucht einen langen Atem.«
Das Buch wirft einen Blick über das Jahr 1945 hinaus. Obwohl in der Bundesrepublik ein Entschädigungsgesetz gegolten habe, war es dem Rabbiner Abraham gegen unverfrorene Behördenwillkür nicht gelungen, eine Entschädigung zu erhalten. Mit einem »bitterbösen Brief« an das zuständige Amt habe er den Vorgang abgeschlossen.
In der DDR hatte es keine vergleichbare gesetzliche Entschädigung gegeben. Großes jüdisches Eigentum an Produktionsmitteln wurde Volkseigentum wie jedes andere derartige Privateigentum auch. Immerhin erinnerte Bettina Götze daran, dass die Anerkennung als »Verfolgte« oder »Opfer« des Naziregimes in der DDR bei Renten, beruflicher Tätigkeit und bei der Wohnraumversorgung abgesichert habe.
Der Sozialdemokrat Paul Szillat wurde von der sowjetischen Militäradministration als Bürgermeister von Rathenow eingesetzt. Er hatte 1946 beim Vereinigungsparteitag von KPD und SPD zur SED im Präsidium gesessen. Später trug er den Kurs zur »Partei neuen Typs« nicht länger mit, worauf er der Schiebung beschuldigt und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen, floh er mit seiner Frau nach Westberlin.
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