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Trotz voller Halle in Herning: Handball auf dem absteigenden Ast
Bei der WM in Dänemark, Kroatien und Norwegen sind die Hallen voll, doch der Handball stagniert in seiner weltweiten Ausbreitung
Das dänische Städtchen Herning, etwa 51 000 Einwohner, gelegen inmitten der Einöde des jütländischen Festlands, hat nicht viele Sehenswürdigkeiten zu bieten. Bis auf das Museum für zeitgenössische Kunst herrscht Tristesse. Dennoch schaut ganz Dänemark in den kommenden Tagen auf diesen Ort und insbesondere auf die riesige Messehalle im Süden der Stadt. Die Jyske Bank Boxen, ein schmuckloser, kubischer Bau, hatte sich bereits zum Auftakt der 29. Handball-Weltmeisterschaft in eine Partyzone verwandelt.
Insgesamt 12 397 Fans strömten am Dienstagabend zu einem Spiel, dessen Ausgang feststand wie das Amen in der Kirche. Die Zuschauer, sämtlich in das dänische Rot und Weiß gekleidet, feierten schon vor dem Anpfiff ihr Team, das den vierten Titel in Folge anstrebt und seit 28 Matches ungeschlagen ist. Der Gegner Algerien war für den Part des perfekten Opfers zuständig. Am Ende stand es 47:22 für den Ko-Gastgeber des WM-Turniers, das Dänemark gemeinsam mit Kroatien und Norwegen ausrichtet.
Greiser Weltpräsident
Die Bilder der voll besetzten Tribünen von Herning sind ganz im Sinne des Weltverbandes. Das Championat sei bereits ein Erfolg, hatte Hassan Moustafa, der greise ägyptische Präsident der Internationalen Handball Föderation (IHF), schon vor dem Turnier in der Zeitschrift »Handballwoche« gejubelt. Überall auf der Welt gebe es vielversprechende Basisinitiativen, welche die Popularität des Handballs förderten. Länder wie die USA entwickelten sich und profitierten von der auf 32 Teams ausgebauten WM-Endrunde. »Wir sind uns bewusst, dass dies der Weg ist, auf dem Handball zu einem globalen Sport werden kann«, deklamierte der 80-jährige Moustafa.
Herning stellt nun eine Kulisse dar, die sich die Propagandisten des Handballs nicht besser ausmalen können. Das Spektakel auf den Rängen ist das Produkt einer Handballbegeisterung, die weltweit wohl einzigartig ist. Nahezu in jedem Dorf in dieser ländlichen Region wird Handball gespielt, auch bei den Frauen ist er außerordentlich populär. Stars wie Mathias Gidsel, der dänische Welthandballer von 2023, werden hier wie Götter verehrt. Gegen Algerien traf er zehn Mal zum Entzücken seiner Landsleute.
»Im IOC-Ranking der Sportarten ist der Handball auf dem absteigenden Ast.«
Frank Bormann Geschäftsführer der Handball-Bundesliga
Tatsächlich ist dieser Enthusiasmus keineswegs repräsentativ. Schon in Deutschland ist die Aufmerksamkeit für den Handball fernab der großen Turniere, die stets im Januar ausgetragen werden, deutlich geringer, obwohl die Handball-Bundesliga – Claim: »Die beste Liga der Welt« – zuletzt ökonomisch stark gewachsen ist. Auch in Frankreich gibt es eine Liga, die leidlich gut funktioniert. Davon abgesehen sieht es indes finster aus für die Sportart.
In den USA und China unbekannt
Das größte Problem des Handballs liegt weiterhin darin, dass er in den größten Sportmärkten der Welt kaum existiert. Weder in den USA noch in China, Japan oder Indien ist er etabliert, was historische Gründe hat. Als der Handball, 1917 in Berlin erfunden, in den 1920er Jahren als Feldhandball in Deutschland recht schnell viele Anhänger gewann, waren Sportarten wie Fußball, Baseball, Cricket oder Hockey dort längst populär.
Zwar schaffte es zunächst der Feldhandball 1936 ins olympische Programm, weil Berlin Gastgeber war. Aber der Hallenhandball scheiterte nach dem Zweiten Weltkrieg mehrfach an der Aufnahme in die Olympischen Spiele. Erst als Willi Daume, Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und früherer Handball-Torwart, 1965 zwei Testmatches vor der IOC-Session in Madrid organisierte, damit die afrikanischen und asiatischen Kollegen das Spiel wenigstens kennenlernen konnten, schaffte es die Sportart ins Programm.
Weltverbandschef Moustafa, ein 80-jähriger Ägypter, predigt seither das Lied von einer medial erfolgreichen Sportart, und tatsächlich sind die TV-Quoten in Europa auch passabel, wenn die deutschen Handballer bei Olympia um die Medaillen mitspielen. In Wirklichkeit stand der Handball schon 2005 auf der Kippe, als die Reduzierung des olympischen Programms auf der Agenda stand.
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Und da steht er heute immer noch, wie das vergangene Wochenende belegt. Denn als sich die Klubs der Handball-Bundesliga (HBL) in Hamburg zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung trafen, um eine neue Lizenzierungsordnung zu beschließen, da diskutierten die Manager auch über die Zukunft ihrer Sportart. »Wir haben darüber debattiert, wie wir helfen können, dass der Sport in den Märkten, in denen er bisher kaum existiert, in Australien, Indien oder den USA, besser wahrgenommen wird«, berichtete HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann. Das soll insbesondere mit Bewegtbildern passieren, die die HBL liefert.
Die HBL kann nichts ausrichten
Bormann ist 60 und steht der Ligaorganisation seit 2003 vor. Als er antrat, sah er den US-Football als Vermarktungsvorbild. Angesichts der rezessiven medialen Entwicklung seiner Sportart auf der internationalen Ebene weiß er, wie prekär die Lage des olympischen Handballs ist – und nimmt in dieser Hinsicht auch kein Blatt vor den Mund. »Im IOC-Ranking der Sportarten ist der Handball auf dem absteigenden Ast«, sagt er. »Das war am letzten Wochenende bei uns ein großes Thema.« Leider habe die Bundesliga nur beschränkte Möglichkeiten, zu helfen. »Die HBL kann den Welthandball nicht retten.«
Dafür zuständig ist eigentlich die IHF, der in Basel ansässige Weltverband. Dessen Chef Hassan Moustafa präsidiert seit 2000 und hat sich seither den Ruf eines meisterhaften Verhandlers beim Verkauf der TV-Rechte erworben; dem Vernehmen nach liegen auf IHF-Konten mehr als 250 Millionen Schweizer Franken. Aber bei der Entwicklung der Sportart in den global zentralen Märkten ist die IHF bislang grandios gescheitert.
Ein Beispiel dafür sind die USA, die mit Los Angeles im Jahr 2028 das nächste olympische Handballturnier zur Austragung bringen. Vor diesem Hintergrund hat die IHF die US-Boys für die laufende WM 2025 und auch für die WM 2027 mit Wildcards ausgestattet, um Erfahrungen auf höchster Ebene zu sammeln. Tatsächlich siegten die US-Handballer, die vom schwedischen Ex-Profi Robert Hedin gecoacht werden, bei der 2023 erstmals in einem WM-Spiel, es sind leichte Fortschritte zu erkennen.
Institutionell aber gab es massive Rückschläge. So lässt das Forum Club Handball (FCH), die Organisation der europäischen Spitzenclubs, seit Herbst ihre Zusammenarbeit mit dem US-Verband ruhen – das heißt, dass der US-Verband nun keine Möglichkeit mehr hat, talentierte Spieler in europäischen Internaten oder Klubs ausbilden zu lassen. Aus FCH-Kreisen verlautet, der neue Chef des US-Verbandes arbeite mit unlauteren Methoden. Schon zuvor waren abenteuerliche Berichte aus Übersee nach Europa gedrungen. Demnach plante der US-Verband im US-Frauenhandball Trainingscamps mit aufblasbaren Toren.
Aus Sicht der Clubs steht Jean Brihault, der frühere Präsident des europäischen Dachverbandes EHF, als Sonderbotschafter der IHF für den US-Markt auf völlig verlorenem Posten. Auch die von der IHF geförderten Projekte, in globalen Kernmärkten wie China oder Indien den Handball zu popularisieren, sind bisher komplett gescheitert. Bohmann verhehlt seine Kritik am Weltverband nicht. »Man kann sich nicht auf die IHF verlassen«, sagt er. Der Weltverband sei personell und konzeptionell schlecht aufgestellt. Doch nicht nur dem deutschen Spitzenfunktionär ist es ein Rätsel, warum der Weltverband die Erlöse aus den TV-Rechten lieber auf Bankkonten hortet, anstatt sie in Wachstumsmärkte zu investieren.
Ein Richtungswechsel tut not
Die glorreichen TV-Bilder von der WM aus Dänemark, fürchtet nicht nur Bohmann, werden das Problem nur kaschieren. Und auch die kommenden Jahre werden die IHF-Funktionäre womöglich nicht zu einem Richtungswechsel veranlassen. Denn in zwei Jahren findet die WM in Deutschland statt, zum achten Mal bereits – und absurderweise 2029 erneut (wenn auch gemeinschaftlich mit Frankreich organisiert).
Darauf angesprochen, sagte der deutsche Nationalspieler Timo Kastening, es sei fantastisch, eine WM vor eigenem Publikum zu spielen, das geschehe eigentlich nur einmal in der Karriere eines Profis. »Ich liebe es, vor einer vollen Halle zu spielen«, sagt der Rechtsaußen von der MT Melsungen. Aber genauso finde er es großartig, in fremde Kulturen einzutauchen, wie er es einmal bei der Jugend-WM in Brasilien erlebt habe.
Auch der Bundesligaprofi mahnt die verantwortlichen Funktionäre, endlich die Initiative zu ergreifen, um zu verhindern, dass der Handball sich zu einer deutsch-dänischen Monokultur entwickelt. »Ein Ausschluss des Handballs aus dem olympischen Programm«, sagte Kastening in diesen Tagen, »wäre eine Katastrophe.«
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