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Die Fleißigen gegen die Faulen

»Nützlichkeits-Rassismus« scheint zum gemeinsamen Projekt von bürgerlicher Mitte und extremen Rechten zu werden

Friedrich Merz will als Kanzler das Bürgergeld wieder abschaffen und die Sanktionen gegen Arme verschärfen.
Friedrich Merz will als Kanzler das Bürgergeld wieder abschaffen und die Sanktionen gegen Arme verschärfen.

Wenn man wissen will, wohin sich das Projekt der globalen Rechten in den nächsten Jahren entwickeln dürfte, lohnt ein Blick in die USA. Dort hat sich ein schriller Streit in Donald Trumps Maga-Bewegung (Make America Great Again) entzündet. Der rechtsextreme Publizist Steve Bannon attackierte Tech-Mogul Elon Musk als »wirklich bösen Menschen«, den man unbedingt aus dem Weißen Haus fernhalten müsse. Anlass des Konflikts ist das H-1B-Visum, mit dem hoch qualifizierte Fachkräfte in die USA einreisen können. Bannon, dessen Vermögen laut »Forbes«-Magazin immerhin auf beachtliche 10 bis 48 Millionen US-Dollar geschätzt wird, bezeichnet das Visum als Verrat an den US-Beschäftigten; die Konzern-Chefs um Elon Musk hingegen wollen es um jeden Preis bewahren. Vor diesem Hintergrund wetterte Bannon: »Die Tech-Feudalherren nutzen die Visa zu ihrem Vorteil, und die Leute sind wütend.«

Allerdings spricht wenig dafür, dass sich Bannon mit seinem Anliegen durchsetzen wird. Auch wenn häufig das Gegenteil behauptet wird – die extreme Rechte hat noch nie irgendwo gegen die Interessen der einheimischen Großkonzerne regiert. Und das Anliegen der Tech-Unternehmer um Elon Musk und Peter Thiel wiederum ist eindeutig: Wer Gewinn machen will, benötigt die entsprechenden Arbeitskräfte, und wenn diese im Ausland aufgezogen werden, fallen für das Einwandererland weniger Kosten an. Zudem haben Grenzschließungen keineswegs immer die Funktion, Migration zu verhindern. Oft sind sie einfach nur dazu da, eine entrechtete Niedriglohnklasse zu schaffen.

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Vieles spricht deshalb dafür, dass das Projekt der neuen globalen Rechten von einem Nützlichkeits-Rassismus getragen werden wird, bei dem eher aufgrund ökonomischer Verwertbarkeit als entlang der Hautfarbe aussortiert wird. Selbstverständlich sind Trump und Musk auch »Suprematisten«, die von der »weißen« Überlegenheit überzeugt sind. Doch ihre Mobilisierung gilt der global zunehmenden Armut, die nach innen mit der Polizei, nach außen mit Grenzanlagen in Schach gehalten werden soll.

Tragischerweise ist die extreme Rechte mit diesem Vorhaben bestens anschlussfähig an die Mitte. In Deutschland gibt es heute kaum noch eine Partei, die sich der Unterscheidung zwischen wirtschaftlich nützlichen und vermeintlich »überflüssigen« Menschen widersetzt. Besonders deutlich ist das bei der Union, die mit Friedrich Merz aller Voraussicht nach den nächsten Kanzler stellen wird. Im Wahlprogramm von CDU/CSU ist von »einer Agenda der Fleißigen« die Rede, denen jene gegenüber gestellt werden, die leistungslose Einkommen beziehen.

Gemeint damit sind selbstverständlich nicht Vermögenseigentümer, die Dividenden und Mieteinkünften kassieren. Stattdessen zielt der Begriff der »Fleißigen« auf die Spaltung der unteren Hälfte der Gesellschaft ab: auf der einen Seite die »leistungswilligen« Beschäftigte, auf der andere jene, für die der Arbeitsmarkt keine Verwendung hat.

In Orwell’scher Manier macht die Union nicht die eigene Stimmungsmache gegen Bezieher von Sozialleistungen, sondern das Bürgergeld für die Spaltung der Gesellschaft verantwortlich.

Vermittelt wird diese Spaltungslinie über die Kampagne, die die Union schon seit längerem mit Arbeitgeberverbänden und Springerpresse gegen das Bürgergeld fährt. Im Wahlprogramm heißt es dazu: Es »senkt die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen. Es fördert nur und fordert nicht mehr, es (…) spaltet unser Land. Wir sind für eine neue Grundsicherung, die (…) den Zusammenhalt stärkt.« Obwohl es die Union selbst ist, die Neid und Misstrauen schürt, behauptet sie in geradezu Orwell’scher Manier, dass die Abschaffung des Bürgergelds den gesellschaftlichen Frieden wiederherstellen werde. Es ist leicht vorherzusagen, worauf dieser »Zusammenhalt« beruhen wird: auf der Verachtung gegenüber denjenigen, die – wie es bei der Union heißt – »auf Kosten der Gemeinschaft leben«.

Kanzlerkandidat Merz setzt in diesem Zusammenhang auf die mobilisierende Kraft der Angst. So legte er bei der Vorstellung des Wahlprogramms Mitte Dezember nahe, seine Partei werde mit der Grundsicherung eine Wohnkostenpauschale einführen, damit teure Innenstadtmieten nicht länger von der öffentlichen Hand übernommen werden müssten. Die Forderung so steht zwar gar nicht im Programm, aber Merz wollte die Botschaft offenbar dennoch schon einmal ins Land schicken: Empfänger*innen von Sozialleistungen müssen sich noch schneller als bisher auf Zwangsumzüge einstellen. Zudem verspricht die Union die Einführung eines harten Sanktionsregimes: Wer angebotene Arbeit nicht annimmt, soll mit dem Verlust von Leistungsansprüchen bestraft werden.

Der Union ist offenkundig bewusst, dass diese Politik den Druck im sozialen Kessel und damit auch die Gewalt in der Gesellschaft erhöhen wird. Um das einzufangen, setzt die Partei von Friedrich Merz auf bewährte Instrumente. Im Rahmen der altbekannten »Null-Toleranz-Strategie« soll es noch mehr Personal und Kompetenzen für Polizei, Strafjustiz und Sicherheitsbehörden geben. Interessant ist bestenfalls, wie die Union ihren Aufrüstungskurs nach innen legitimiert – nämlich mit dem Schutz von Frauen, Kindern und Alten. So steht unmittelbar hinter der Forderung nach dem Einsatz von Gesichtserkennung und KI durch Sicherheitsbehörden der Vorschlag, konsequenter gegen »Enkeltricks« vorzugehen. Ganz nach dem Motto: Bei der Union sorgt man sich um die Omi.

Zu den »Nutzlosen«, die in Schach gehalten werden müssen, zählen natürlich in erster Linie jene, die als Migrant*innen nach Europa kommen wollen. Wie das gesamte bürgerliche Lager setzt die Union hier ganz auf Abschottung. Bemerkenswert ist auch an dieser Stelle die Begründung: Schuld am Massensterben im Mittelmeer sind keineswegs die dramatische globale Ungleichheit oder das EU-Grenzregime, sondern »Schlepper und Schleuser«. Weil auf den Migrationsrouten so viele sterben, heißt es weiter: »Unser Asylrecht ist heute tatsächlich ein Recht des Stärkeren.« Die letzte Schlussfolgerung soll man offenbar selbst ziehen: Weshalb das Asylrecht abgeschafft werden sollte.

Bei allen Unterschieden zwischen traditioneller und der neuen extremen Rechten – im Nützlichkeits-Rassismus und im Kampf gegen die globalen Armen gibt es große Überschneidungen. Niemand darf sich wundern, wenn die Sozialpolitik eines Kanzlers Merz der von US-Präsident Trump in den wesentlichen Punkten ähneln wird.

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