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Nuri Sahin auf Bewährung: Siegen oder fliegen

Nach dem 0:2 in Frankfurt entscheidet sich am Dienstag die Zukunft des BVB-Trainers

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.
Trainer auf Abruf: Nuri Sahin am Spielfeldrand in Frankfurt.
Trainer auf Abruf: Nuri Sahin am Spielfeldrand in Frankfurt.

Es ging schon auf Mitternacht zu, als Nuri Sahin einen fatalistischen Tonfall anschlug. Die Frage stand im schwarz getünchten Presseraum der Frankfurter Arena im Raum, was das gerade von Geschäftsführer Lars Ricken formulierte Ultimatum mit dem Trainer von Borussia Dortmund macht. »Mein persönliches Wohlbefinden ist zweitrangig. Ich versuche klar zu bleiben und die Situation umzudrehen«, sagte der 36-Jährige mit ruhiger Stimme. »Ein Endspiel? Ich weiß, wie das Geschäft läuft. Bis zum letzten Tag, an dem ich Trainer von Borussia Dortmund bin, werde ich versuchen, voranzugehen und den Bock umzustoßen.«

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Wenn ein erst im Sommer installierter Hoffnungsträger solche Durchhalteparolen in eigener Sache formuliert, ist Gefahr im Verzug. Die höchste schwarz-gelbe Alarmstufe beinhaltet, dass sich Ricken nach dem Nackenschlag bei Eintracht Frankfurt (0:2) bereits mit anderen Trainerkandidaten beschäftigen soll.

Einer davon dürfte Erik ten Haag sein, der zuletzt einige Dortmunder Auftritte live erlebte. Der bei Manchester United freigestellte Niederländer ist vor allem beim BVB-Berater Matthias Sammer hoch angesehen, der mit ten Haag zusammenarbeitete, als dieser die U23 des FC Bayern betreute. Danach hat der 54-Jährige den FC Utrecht und erfolgreich Ajax Amsterdam trainiert, ehe er wie so viele bei den Red Devils scheiterte, einem schwer zugänglichen Kader endlich Konstanz zu vermitteln.

Bei Borussia Dortmund würde ihn eine ähnliche Herkulesaufgabe erwarten: Im DFB-Pokal ist der Champions-League-Finalist raus, in der Bundesliga in der hinteren Tabellenhälfte verschwunden – wenn jetzt noch das Weiterkommen in der Königsklasse wackelt, greifen die üblichen Mechanismen. Ricken hatte am Freitagabend betroffen festgehalten: »Wir haben drei Spiele nacheinander verloren. Es ist frustrierend. Die Tabellensituation ist desaströs, keine Frage.«

In der zweiten Halbzeit habe sich die Mannschaft – anders als beim Offenbarungseid bei Holstein Kiel (2:4) – immerhin aufgebäumt und gezeigt, »dass sie nicht nur sprachlich hinter dem Trainer steht«, so Ricken. Deshalb werde Sahin nun auch noch beim FC Bologna (Dienstag 21 Uhr/Prime Video) auf der Bank sitzen. Der entscheidende Nachsatz: »Mit der klaren Erwartungshaltung, dass wir Siege und Ergebnisse einfahren.« Der Trainer sei darüber informiert. Für den unerfahrenen Coach lautet die Devise für die nächste Dienstreise: siegen oder fliegen. Wenn das Vertrauen auf ein einziges Spiel zusammenschrumpft, geht das selten gut aus.

Die Verantwortlichen müssten auch unabhängig von dem Showdown auf italienischem Boden wissen, dass die Probleme viel tiefer liegen, lenken aber gerne von eigenen Versäumnissen ab. Insbesondere Sportdirektor Sebastian Kehl, der sich nach einem kurzen Statement in der Sahin-Causa (»Wir werden weitermachen in der Konstellation. Das Vertrauen hat Nuri«) wortreich an angeblich nicht gegebenen Elfmetern abarbeitete. Schiedsrichter Daniel Schlager lag mit seiner großzügigen Spielleitung schon deshalb richtig, weil er auf die theatralischen Schauspieleinlagen von Serhou Guirassy nicht hereinfiel. Vielleicht hätte Jamie Gitten einen Strafstoß bekommen können, aber in Krisenzeiten geschieht ein Unglück selten allein, wie Routinier Pascal Groß zu berichten wusste: »Wenn es scheiße läuft, dann kriegst du solche Dinger auch nicht gepfiffen.«

Verstörend war vor allem die Darbietung im ersten Durchgang, den Sahin als »sehr verkopft« wahrnahm. Dortmund ähnelt einer Großbaustelle wie in der Frankfurter Innenstadt, auf der nichts vorangeht. Im sportlichen Bereich mit Ricken, Kehl und Scouting-Chef Sven Mislintat sind vielleicht die Zuständigkeiten geklärt, aber herausgekommen ist ein viel zu teurer Kader, dem es an Tempo und Überraschungsmomenten fehlt. Hinterher merkte Waldemar Anton noch an, dass er im Gegensatz zu den Kollegen »solche Situationen« aus seiner Zeit bei Hannover 96 und dem VfB Stuttgart kenne. Der Nationalspieler hatte wohl noch die Gesänge der Eintracht-Kurve in den Ohren, die Dortmund als Absteiger verhöhnte.

So schlimm wie in der Abschiedssaison unter Jürgen Klopp, als die Borussia tatsächlich mal als Vorletzter überwinterte, ist die Lage in der Liga zwar nicht, aber aktuell fehlt jede Fantasie, wie dieses Ensemble noch um die Champions-League-Plätze mitspielen soll. Die Eintracht ist elf Punkte weg. Sahin zeigte sich schwer beeindruckt, was der Kollege Dino Toppmöller in anderthalb Jahren hinbekommen hat, obwohl es dazu bekanntlich auch erst eine holprige Anfangssaison brauchte. Einen solchen Vertrauensvorschuss würde sich der junge Coach auch wünschen. »Ich hoffe, dass ich irgendwann auch hier sitze und das Gleiche sagen kann.« Das klang allerdings weder glaubhaft noch überzeugend.

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