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CDU will Brandenburger Vergabemindestlohn abschaffen
18 Cent mehr kosten angeblich zu viel
Einen Mindestlohn von 7,50 Euro forderte im Sommer 2009 im Landtagswahlkampf die oppositionelle Linksfraktionschefin Kerstin Kaiser. Es war die Zeit, als in Brandenburg Friseure, Putzkräfte, Wachleute und viele Verkäuferinnen mit einem Stundenlohn von 5 Euro und weniger abgespeist wurden. Eine Untergrenze gab es nicht.
Ende 2009 wurde eine rot-rote Landesregierung gebildet, und 2012 kam endlich der sogenannte Vergabemindestlohn. Er lag anfangs bei 8 Euro. Das bedeutete: Firmen, die in Brandenburg von Land und Kommunen einen Auftrag ergattern wollten, bekamen nur noch unter der Bedingung den Zuschlag, dass sie ihren Beschäftigten wenigstens diese 8 Euro pro Stunde zahlen.
2015 wurde ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt, der bundesweit nicht allein bei öffentlichen Aufträgen vorgeschrieben ist, sondern grundsätzlich. Doch der brandenburgische Vergabemindestlohn lag schon seit 2014 bei 8,50 Euro, wurde auf 9 Euro und dann schrittweise immer weiter erhöht. Diejenigen, die davon profitierten, bekamen also im Laufe der Jahre jeweils etwas mehr, als sie mit dem gesetzlichen Mindestlohn bekommen hätten.
Das letzte Mal erhöhte Brandenburg den Vergabemindestlohn zum Mai 2021 von 10,85 Euro auf 13 Euro. Die bundesweite Lohnuntergrenze liegt seit dem 1. Januar 2025 bei 12,82 Euro. Die Linke, der Deutsche Gewerkschaftsbund und andere fordern die Anhebung auf 15 Euro.
Nichts weniger als die Abschaffung des Vergabemindestlohns verlangt nun jedoch die CDU. Sie legt ein Gesetz zur Aufhebung des Brandenburger Vergabegesetzes vor. An diesem Mittwoch steht das auf der Tagesordnung des Landtags.
»Die brandenburgische Wirtschaft befindet sich in einer anhaltenden Stagnation«, begründet die CDU-Fraktion ihr Ansinnen. »Das Vergabegesetz des Landes Brandenburg schafft über die ohnehin schon bestehenden bürokratischen Hürden durch Europa- und Bundesrecht hinaus einen weiteren, nicht mehr hinnehmbaren bürokratischen Aufwand für Unternehmen, die sich an Ausschreibungen der öffentlichen Hand beteiligen wollen.«
»Das Vergabegesetz schützt vor Lohndumping und ist ein Garant für faire Beschäftigung.«
Andreas Kutsche BSW-Abgeordneter
Am Dienstag gibt CDU-Fraktionschef Jan Redmann immerhin zu: »Dieses Vergabegesetz hatte mal seinen Sinn.« Doch seit 2015 unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der bundeseinheitliche Mindestlohn eingeführt wurde, sei das Gesetz nicht mehr berechtigt und schlicht überflüssig. Die Regelungen für die Zuschlagserteilung sollten nicht überfrachtet werden mit vergabefremden ökologischen und sozialen Kriterien, findet Jan Redmann.
Der Vorteil von aktuell 18 Cent je Stunde ist für den Politiker kaum der Rede wert. Eine Million Euro Kosten verursache die Bürokratie rund um die Auftragsvergabe in Brandenburg pro Jahr. Redmann bezweifelt, dass durch diese 18 Cent mehr für Arbeiter und Angestellte im Bundesland eine solche Summe von einer Million zusammenkomme.
Die Koalition aus SPD und BSW hat sich den Bürokratieabbau auf die Fahnen geschrieben. Am vergangenen Freitag wurde extra für diesen Zweck ein Sonderausschuss des Landtags eingesetzt. Wenn die Koalition es ernst meine mit der Bürokratiebekämpfung, dann müsse sie an das Vergabegesetz heran, sagt Oppositionspolitiker Redmann. Zum 1. Juni möchte die CDU das Vergabegesetz aufgehoben wissen und die Wirtschaft damit spürbar entlasten – den Landeshaushalt ebenfalls.
Der Landtagsabgeordnete Andreas Kutsche (BSW) ist damit überhaupt nicht einverstanden. »Wir dürfen das Erreichte, das Erkämpfte nicht preisgeben«, sagt er am Dienstag. Der Plan der CDU sei ein »Affront gegen die Beschäftigten«. Die CDU habe sich diese Angelegenheit wohl als Thema im Bundestagswahlkampf auserkoren, mutmaßt Kutsche. Er registriert vergleichbare Vorstöße der CDU in anderen Bundesländern. »Die CDU will hier die Zeit zurückdrehen«, warnt der BSW-Abgeordnete. Er erinnert an den einstigen Brandenburger Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU), der bis 2009 im Amt war und mit den niedrigen Löhnen im Bundesland um Investoren warb.
Andreas Kutsche versichert, das BSW stehe an der Seite der Arbeiter und Angestellten. Der Mindestlohn sollte auch nach seiner Auffassung schleunigst auf 15 Euro erhöht werden. Wer das wolle und die Pläne der CDU ablehne, müsse das Bündnis Sahra Wagenknecht wählen. »Das Vergabegesetz schützt vor Lohndumping und ist ein Garant für faire Beschäftigung«, sagt Kutsche. Seiner Ansicht nach müsste noch mehr gezahlt werden als ein Mindestlohn, nämlich ein Tariflohn.
Doch die Tarifbindung in Brandenburg ist miserabel. Nur 19 Prozent der hiesigen Betriebe zahlen Tarif, lediglich 47 Prozent der Beschäftigten erhalten Tariflöhne. Im Bundesdurchschnitt sind es 51 Prozent der Beschäftigten.
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