IOC-Vorsitz: Fünf Städte für die fünf Ringe

Wenn das IOC im März seinen neuen Vorsitz wählt, tritt der Japaner Morinari Watanabe mit einigen radikalen Ideen an

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 5 Min.
Hängen die Olympischen Ringe zukünftig gleichzeitig an fünf Austragungsorten?
Hängen die Olympischen Ringe zukünftig gleichzeitig an fünf Austragungsorten?

Morinari Watanabe hat ein großes Versprechen: »Als Kompass wünsche ich mir, dass die Olympischen Spiele wieder von allen und überall geliebt werden. Darauf möchte ich zusteuern.« Dies sagte Watanabe im September vergangenen Jahres, als der Japaner verkündete, dass er der nächste Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) werden will.

Für die größte Sportveranstaltung der Welt habe der Chef des Weltturnverbands außerdem eine Vision, die in den Sphären des IOC geradezu demokratisch wirkt: »Statt eines Events, wo alles von oben entschieden wird, möchte ich die Graswurzelprozesse stärken. Ich will Prägung von unten.« Was Watanabe konkret meint: Ein IOC wie ein Parlament, mit einem Unterhaus aus 206 Nationalen Olympischen Komitees und einem Oberhaus aus 120 IOC-Mitgliedern.

Mit Watanabe als neuem Präsidenten sollen Entscheidungen transparenter und fairer werden. Bei der Tagung des IOC vom 18. bis 21. März in Athen wird darüber entschieden, wer den Posten des mächtigsten Sportfunktionärs der Welt zukünftig innehaben wird. Die Konzepte der sieben Kandidat*innen, die sich beworben haben, kursieren bereits, werden final am 30. Januar in Lausanne vorgestellt. Der Deutsche Thomas Bach, seit 2013 IOC-Präsident, tritt nicht erneut an.

Sieben Kandidat*innen für die Bach-Nachfolge

Dabei scheint Bach davon auszugehen, dass nach seinem Abtreten einiges anders wird. Dies deutete er Ende vergangenen Jahres mit Blick auf die Zukunft der Spiele an. »Wir müssen jetzt lernen. Wenn wir bis zu den nächsten Spielen warten, und es dann nicht so gut läuft, ist es zu spät«, erklärte der 71-Jährige. »Wir müssen also jetzt, wo wir den Erfolg der letzten Spiele von Paris noch genießen, arbeiten, um uns weiterzuentwickeln.« Damit steckt das IOC also im Wahlkampf.

Dabei weisen die sieben Programme der Kandidaten viele Parallelen auf: Sie versprechen mehr Geschlechtergleichheit, mehr Einfluss der Athlet*innen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wie genau das alles erreicht werden soll, bleibt oft unklar. Kandidat Sebastian Coe, derzeit Chef des Weltleichtathletikverbands, will Olympioniken künftig besser auf die Karriere nach dem Leistungssport vorbereiten.

Faisal Bin al-Hussein, Prinz von Jordanien, wirbt mit einer Neuorganisation des Wettkampfkalenders, um Herausforderungen des Klimawandels besser zu begegnen. Johan Eliasch, Chef des Internationalen Skiverbands, will die Winterspiele zwischen permanenten Orten rotieren lassen und in deren Größe Regenwaldfläche sichern. Auch David Lappartient, Vorsitzender des Internationalen Radsportverbands, verspricht, Olympia würde mit ihm den Planeten nicht mehr schädigen, sondern schützen.

Spiele an fünf Orten und ein IOC-Parlament

Kirsty Coventry, Ex-Schwimmerin aus Simbabwe, will die Nutzung von künstlicher Intelligenz im Sport ins Zentrum rücken. Und Juan Antonio Samaranch Junior, Sohn des gleichnamigen einstigen IOC-Präsidenten, würde Athlet*innen mehr Selbstvermarktung gestatten. Die originellsten Vorschläge aber kommen eben von Morinari Watanabe – denn nicht nur seine Idee eines olympischen Parlaments wird mittlerweile weltweit diskutiert.

»Die Olympischen Spiele in fünf Städten auf fünf verschiedenen Kontinenten gleichzeitig? Dies ist die brilliante Idee des Japaners Morinari Watanabe!«, hieß es vergangene Woche etwa in einer Diskussionsrunde des brasilianischen Senders Jovem Pan. »Sein Programm ist wohl das radikalste unter den sieben Kandidaturen. Denn die Sportarten würden sich auf verschiedene Orte aufteilen und damit auch das Zentrum der Spiele insgesamt.«

Würde Olympia simultan auf fünf Kontinenten ausgetragen, wäre vieles anders als bisher: Bestimmte Sportarten könnten an klimatisch passenden Orten stattfinden. Durch die Nutzung verschiedener Zeitzonen könnte rund um die Uhr Sport live übertragen werden. Einschaltquoten dürften dadurch deutlich steigen. Mehrere Kritikpunkte an der bisherigen Art, Olympia zu organisieren, könnten damit adressiert werden.

Olympia könnte bezahlbarer werden

So sieht es zumindest Jules Boykoff, Politikprofessor an der US-amerikanischen Pacific University und bekannter Olympiakritiker: »Trotz der großen Probleme rund um Olympia – von hohen öffentlichen Ausgaben über Militarisierung bis zu Greenwashing – sind die Spiele in der Öffentlichkeit bisher beliebt gewesen.« Aber in den Gastgeberstädten sei das weniger der Fall. »Faktisch würden die meisten Städte, die Olympia veranstaltet haben, nicht erneut Gastgeberin sein wollen.«

Mit Watanabes Konzept könnte sich dies ändern. Nicht nur, weil mit einem IOC-Parlament die Entscheidungen durchsichtiger werden müssten. Mit mehreren Gastgeberstädten gleichzeitig würden auch die Kosten pro Austragungsort sinken – und die Olympiaausrichtung würde für mehr Länder bezahlbar werden. Ein anderer Kritikpunkt von Boykoff würde dagegen kaum tangiert: »Olympische Spiele balancieren seit Langem zwischen Kosmopolitanismus und Chauvinismus.«

Bei der Art, wie die größte Sportveranstaltung der Welt bisher organisiert werde, befördere sie nämlich Nationalismus. »Wenn es bei den Spielen um Internationalismus ginge statt Hypernationalismus, könnten zum Beispiel bei der Eröffnungsfeier alle Kugelstoßerinnen oder alle Fußballer zusammen einlaufen«, so Boykoff. »Stattdessen laufen die Athleten nach Ländern geordnet, womit politischer Nationalismus gefördert wird.«

Watanabe ist nur Außenseiter

Dies liege nicht nur an Nationenvergleichen wie dem Medaillenspiegel, sondern auch an den oft nationalistisch anmutenden Werbekampagnen der Austragungsstädte. Und diese könnten sich sogar verstärken, wenn plötzlich fünf Städte gleichzeitig um globale Aufmerksamkeit wetteifern. Dabei hat Morinari Watanabe bisher betont, seine Ideen sehe er nicht in Stein gemeißelt. Er wolle auch mit Nationalen Olympischen Komitees in Kontakt treten, um eine Neuorganisation der Spiele im Dialog zu erreichen.

Der 65-Jährige – der nie Spitzensportler war, dafür aber ein Sportmanager des Multikonzerns Aeon – gilt bei der Wahl für das IOC-Präsidentenamt mit seinen revolutionären Ideen allerdings als Außenseiter. Favoriten sind der Brite Coe, die Simbabwerin Coventry und der Franzose Lappartient. Indem Watanabes Ideen aber bereits diskutiert werden, könnte er auch jetzt schon Einfluss auf das Olympia der Zukunft genommen haben.

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