- Kultur
- Koloniales Erbe
Schluss mit arroganter Attitüde
Wie schreibt man über Indigene und ihre Kultur? Gregory Younging weiß es.
Schon jetzt kann man dieses Buch als ein wirklich unerlässliches Handbuch zum Schreiben über indigene Ethnien bezeichnen. Einleitend zitiert der Autor, Angehöriger der kanadischen Opaskwayak Cree Nation, der in einer UN-Resolution von 2007 entgegen jahrhundertelanger Zwangsassimilierungen ein Recht der First Nations auf ihr »Anderssein« zugestanden wurde. Ein wichtiges völkerrechtliches Dokument, das jedoch seinerzeit gegen den Widerstand von Kanada, den USA, von Australien und Neuseeland verabschiedet werden musste.
Noch bis 1996 sind unzählige Kinder der indigenen Bevölkerung Kanadas in speziellen Internaten »umerzogen« und gequält worden, allzu oft auch sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen. Wo aber ist heute deren Stimme zu vernehmen?
Tatsächlich wurde zwar inzwischen viel über die indigenen Kulturen geschrieben, aber letztlich aus einer vorurteilsbehafteten, oft kolonialistisch geprägten und entwürdigenden Perspektive. Dagegen kamen die Angehörigen dieser Kulturen mit ihren eigenen Sichtweisen kaum zu Wort. Bereits 1972 hielt die euro-kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood zutreffend fest: »Die Indianer und Eskimos wurden selten aus ihrer eigenen Perspektive und um ihretwillen betrachtet: Sie werden für gewöhnlich zu Projektionen von etwas in der weißen kanadischen Psyche gemacht.« Was ebenso für die USA galt. Die Bezeichnung als Indianer und Eskimo allein sind schon Ausdruck kolonialistischer Überheblichkeit.
Gregory Younging zeigt dahingegen in seinem übersichtlichen und mit zahlreichen Fallbeispielen illustrierten Styleguide anhand nordamerikanischer indigener Ethnien, wie sich neokoloniale Annahmen, Formulierungen und Abwertungen vermeiden lassen. Kurz und bündig zusammengefasst werden die Stilprinzipien in 22 Grundsätzen. Dabei vermittelt Younging jeweils überzeugende, konkrete Alternativvorschläge für eine angemessenere Schreibweise. Apropos konkret: Zum authentischen, respektvollen Schreiben über indigene Identitäten gehört es, Verallgemeinerungen wo immer möglich zu vermeiden, denn »die« Indigenen gibt es nicht.
Im Umgang mit indigenen Communitys sind Vertrauen und Verständnis von zentraler Bedeutung, wie der Autor in seinem neunten Grundsatz betont; klischeehafte Darstellungen haben darin keinen Platz und sind kontraproduktiv. Es gilt vielmehr, der Vielfältigkeit der »indigenen Stimmen« und ihres kulturellen Reichtums gerecht zu werden. Dabei ist Younging durchaus tolerant gegenüber noch heute anzutreffenden sprachlichen Verfehlungen. Da die nicht-indigene Mehrheitsgesellschaft durch Jahrhunderte Kolonialismus geprägt ist, gelingt es trotz aller Bemühungen nicht immer, die richtigen Worte zu finden. Es komme darauf an, es zumindest zu versuchen und hinzuzulernen. Younging bietet dafür viele Anregungen und Beispiele. Sein Buch ist bei aller Kritik an (neo-)kolonialistischer Entrechtung und Verelendung ein Projekt der Versöhnung.
Younging vermag es, auch Menschen, die sich noch nicht viel mit dieser Thematik befasst haben, für die Bedeutung kulturell angemessenen Schreibens und Agierens zu sensibilisieren. Das Stichwort »kulturelle Aneignung« ist zwar in mitteleuropäischen, vornehmlich linken Diskursen oft zu hören, vielfach jedoch von wenig Kenntnis geprägt, dafür umso mehr von einem moralisierenden Tonfall. Die Überzeugung, der »richtigen Seite« anzugehören, kann so unbewusst zum Einfallstor für neue – kulturalistische – Ausgrenzungen mutieren. Am Ende führt ein wenig durchdachter guter Wille zu althergebrachtem Paternalismus oder gar zu Rassifizierung und in die Nähe rechter rassistischer Ideologie.
Younging gelingt es in seiner bedachtsamen Art, auf relativ wenigen Buchseiten eine Dichte an Informationen zusammenzutragen, die über die Frage angemessenen Schreibens hinaus auch notwendige, derzeit aber eben häufig schiefe Debatten mit zahlreichen wohlbegründeten Argumenten befruchten kann. Ein kluges Buch, dessen Herangehensweise sich auch auf andere kolonialisierte Ethnien übertragen lässt. Leider hat es sechs Jahre gewährt, bis es auch auf dem deutschen Buchmarkt erschienen ist. Aber immerhin endlich. Und für dieses Verdienst ist dem Verlag und dem Übersetzer Michael Raab herzlich zu danken.
Gregory Younging: Elemente indigenen Stils. Wie schreibt man über Indigene und ihre Kultur? Merlin Verlag, 200 S., geb., 24 €.
Gregory Youngings Buch ist bei aller Kritik an (neo-)kolonialistischer Entrechtung und Verelendung ein Projekt der Versöhnung.
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