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»Whiskey on the Rocks«: Erwachsene Kinder und taube Falken
In der Serie »Whiskey on the Rocks« strandet ein russisches U-Boot in Schweden. Das ist ziemlich komisch – und dennoch ein ernstes Mahnmal
Wenn unreife Kinder miteinander raufen, sind besser ein paar Volljährige vor Ort – ganz egal, ob im Sandkasten, im Straßenverkehr oder im Weißen Haus. Vor acht Jahren zum Beispiel, als mit Donald Trump ein infantiler Schulhofrowdy US-Präsident wurde, war alle Welt froh, dass Erwachsene an seiner Seite Schlimmeres verhindert haben.
Ähnlich heikel ging es am 27. Oktober 1981 zu, als sich ein sowjetisches U-Boot an die Küste Schwedens verirrte und den amerikanischen Systemfeind fast zu einer Kurzschlusshandlung im neutralen Staat provozierte.
Präsident war schließlich ein gewisser Ronald Reagan, Hollywoodstar mit Cowboyhut und kurzer Lunte, der dem unzurechnungsfähigen Alkoholiker Leonid Breschnew zwar geistig, nicht aber moralisch, geschweige denn menschlich überlegen war und etwas sehr Gefährliches mit seinem Amtskollegen im Kreml teilte: Ihr direktes Umfeld bestand nahezu vollumfänglich aus Jasagern ohne Rückgrat, Courage oder eigene Meinung.
Bis auf Gaby und Daria. Die Sekretärinnen der testosteron-dummen Weltmachtführer sitzen in der Disney+- Serie »Whiskey on the Rocks« zwar 8000 Flugkilometer weit auseinander und dienen offiziell dem jeweils Böseren. Privat allerdings sind sie nicht nur Vertraute, sondern die einzig Vernunftbegabten in den Schaltzentralen jener kalten Kriegstage. Als sich ihre Vorgesetzten am roten Telefon mal wieder übel beschimpfen, übersetzen sie das Gezeter in diplomatische Floskeln. »Für den Weltfrieden, halleluja«, sagt Gaby in Jonas Jonassons Persiflage »Whiskey on the Rocks«, der den Vorfall an der schwedischen Südküste mit ähnlicher Lust am bizarren Humor erzählt wie in seinem Bestseller »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand«.
Unter Björn Steins Regie bleibt die reale Rahmenhandlung vom Herbst 1981 demnach verbrieft. Die Details jedoch sind ziemlich großzügige Interpretationen bekannter Ereignisse. Während U 137 dem jetzigen Kenntnisstand zufolge wegen technischer Probleme (vielleicht aber auch gezielt) vom Ostkurs nordwärts abkam und bei Karlskrona auf Grund lief, macht Stein ein Besäufnis der Besatzung verantwortlich. Russen halt. Schweden hingegen sind hier wortkarge Strandschrate wie Harry und Georg Jansson, die das Schiff als Erste entdecken und über ein paar Umwege dem Regierungschef melden, als er gerade Schafe füttert.
Schon früh macht der Fünfteiler also klar, dass er es lieber mit Stereotypen als mit Fakten hält. Premierminister Fälldin (Rolf Lassgård) firmierte seinerzeit zwar tatsächlich als Pufferzone zwischen den impulsgesteuerten Ronald Reagan (Mark Noble) und Leonid Breschnew (Kestutis Stasys Jakstas). Doch nahezu alles, was sich drei Stunden um sein Bemühen herum ereignet, den dritten Weltkrieg abzuwenden, gehört ins Reich historisch grundierter Fantasie. Die Sekretärinnen inklusive. Aber das macht nichts. Im Gegenteil.
Wie die Stockholmer Taube versucht, mithilfe der smarten UdSSR-Botschafterin Kosygina (Elsa Saisio) Falken in Kreml und Weißem Haus, aber auch das eigene Militär von Vier-Sterne-General Lagerkrantz (Niklas Engdahl) zu besänftigen, ist zwar oft aberwitzig. All die Grimassen überzeichneter Charaktere in exzentrischen 80er-Kulissen und -Kostümen dienen aber erkennbar dem untergeordneten Zweck der Publikumsseelsorge. Denn wie in älteren Kriegssatiren (Stanley Kubricks »Dr. Seltsam« zum Beispiel oder Barry Levinsons »Wag the Dog«), wird die Handlung am Rand der nuklearen Katastrophe dank des skurrilen Humors leichter verdaulich und dennoch zum Mahnmal.
Schließlich haben die aktuellen Alleinherrscher in Moskau oder Washington praktisch keine Erwachsenen mehr im engeren Dunstkreis. Wladimir Putin lässt jedwede Kritik an seiner wachsenden Macht im Gulag 2.0 ersticken, während Donald Trump ausschließlich Speichellecker um sich schart und alle anderen wie sein russischer Amtskollege juristisch verfolgen würde, wenn man ihn denn ließe. Dass dies seit der Inauguration am 20. Januar keineswegs ausgeschlossen scheint, macht »Whiskey on the Rocks« zum heiteren Beitrag einer bierernsten Debatte um Checks and Balances machtbesoffener Autokraten, der nichts und niemand ungeschoren lässt.
Schon gar keine Figuren der Zeitgeschichte. Viel lächerlicher als diese Herrscher riesiger Reiche hat selbst Charlie Chaplin seinen »Großen Diktator« Anton Hynkel 1940 nicht gemacht. Bleibt zu hoffen, dass wir auch in vier Jahren noch darüber lachen können, wenn der lebensmüde Kapitän Peskov (Andrius Bialobzeskis) im Fieberwahn à la »Apokalypse Now« beinahe die Atomsprengköpfe an Bord seines manövrierunfähigen U-Boots hochjagt. Ein paar Erwachsene an Bord hindern ihn daran. Von denen gibt es schließlich mehr als Kinder. Noch.
Verfügbar auf Disney+
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