Mord an Norhan A.: Femizid trotz Zufluchtswohnung

Norhan A. wurde 2024 von ihrem Ex-Mann ermordet – auch weil Behörden Warnzeichen ignorierten

Aktivist*innen des Netzwerks gegen Feminizide erinnern am Montag vor dem Berliner Kriminalgericht an Norhan A.
Aktivist*innen des Netzwerks gegen Feminizide erinnern am Montag vor dem Berliner Kriminalgericht an Norhan A.

Ein blutverschmiertes Messer, ein einzelner Ohrring auf dem Asphalt, daneben ein Paar High Heels, ein Nagellack und Parfum: Die Fotos aus der Nacht, als Norhan A. von ihrem Ex-Mann erstochen wurde, sind am Montag im Mordprozess am Kriminalgericht in Moabit zu sehen. Selbst Unbeteiligten fällt der Blick auf die Bilder schwer – diese zeigen die letzten Atemzüge einer Frau, die vor ihrer Zufluchtswohnung vom Vater ihrer vier Kinder ermordet wurde.

Für die im Gerichtssaal anwesenden Brüder, Schwestern und Freund*innen von Norhan A. muss der Anblick der Fotos noch furchtbarer sein. Immer wieder bricht es aus einer*m von ihnen heraus – Tränen oder die Wut gegenüber dem Angeklagten Yasser B., der seiner ehemaligen Partnerin am 28. August 2024 in Zehlendorf das Leben nahm. »Guck, was du gemacht hast«, ruft einer der Brüder von A. dem Angeklagten zu. Auf dem Pullover einer Nebenklägerin ist ein Bild von A. zu sehen. »Yasser B. ist der Mörder meiner Schwester«, ist darauf zu lesen.

Der 50-jährige B. bekennt sich schuldig, in der Augustnacht seine Ex-Frau getötet zu haben. Doch in der Eröffnungsrede seines Verteidigers betont dieser, dass es sich bei dem Mord von Norhan A. nicht um einen Femizid handle. »Nicht jede Tötung einer Frau ist ein Femizid«, sagt der Anwalt. Sein Mandant wolle sich zu einem späteren Zeitpunkt zu den Vorwürfen äußern.

Der Begriff Femizid bezeichnet die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist. Er stammt aus der Soziologie und wurde von Feminist*innen geprägt, die sich systematisch mit der Ermordung von Frauen befassten. Die Grundannahme lautet: Femizide sind die extremste Form geschlechtsbezogener Gewalt in einer patriarchalen Gesellschaft. In der Regel gibt es eine enge Beziehung zwischen Opfer und Täter. Häufig werden diese Taten begangen, wenn Frauen sich emanzipieren: Wenn sie sich aus einer (gewaltvollen) Beziehung lösen oder einen Lebensweg einschlagen, der zu den gesellschaftlichen Vorstellungen oder den Vorstellungen männlicher Angehöriger in Widerspruch steht.

A. hatte sich 2020 von Yasser B. getrennt und 2022 die Scheidung eingereicht. »Heimtückisch« und aus »massiver Eifersucht« sowie wegen »gesteigerten Besitzdenkens« soll B. das Opfer ermordet haben, lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft. B. soll immer wieder gewalttätig gegenüber A. gewesen sein. Bedroht und geschlagen soll er sie haben. Medienberichten zufolge soll A. ihren Ex-Mann mehrfach angezeigt haben. B. soll demnach 31 polizeiliche Einträge wegen häuslicher Gewalt, Nachstellung, Stalking und Verstoßes gegen eine bestehende Gewaltschutzanordnung gehabt haben. Zuletzt hatte sich A. mit ihren Kindern in einer Schutzwohnung – also an einem geheimen Ort – einquartieren müssen. In der Tatnacht hat Yasser B. Norhan A. mehrfach geschlagen und in Brust und Herz gestochen, bevor sie an den Verletzungen am Tatort starb, wie eine Ärztin vor Gericht aussagt.

»Die Berliner Polizei hätte handeln können – und müssen –, um ihr Leben zu retten.«

Netzwerk gegen Feminizide

»In einer Sprachaufaufnahme hat B. seiner Tochter gesagt, dass er ihre Mutter umbringen wird«, erzählt Marina vom Netzwerk gegen Feminizide »nd«. Jene Aufnahme soll der Polizei vorlegen haben. Das Netzwerk gegen Feminizide hat gemeinsam mit den Angehörigen eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude organisiert. Die Aktivist*innen betonen, die Verantwortung für die Gewalt liege nicht allein beim Täter. »Staatliche Institutionen versagen immer wieder darin, Betroffene zu schützen«, heißt es im Aufruf zur Kundgebung. A. soll ihren Ex-Mann bereits Wochen vor ihrem Tod vor der Schutzwohnung angetroffen haben – obwohl er deren Ort eigentlich gar nicht hätte kennen dürfen. Trotz wiederholter Anzeigen und einer Gewaltschutzverfügung wurde sie vor dem Mord nicht ausreichend geschützt.

»Die Berliner Polizei hätte handeln können – und müssen –, um ihr Leben zu retten«, heißt es im Aufruf der Aktivist*innen. Jetzt sollten die Behörden aufarbeiten, wie es trotz der Warnzeichen zu dem Mord an Norhan A. kommen konnte. Außerdem fordern sie mehr Frauenhausplätze und spezialisierte Hilfsangebote für Betroffene. Sie wollen mehr Prävention im Kinder- und Jugendalter sowie für gewalttätige Männer. Die Aktivist*innen fordern, dass geschlechtsspezifische Motive juristisch erkannt und geahndet werden – »als das was sie sind: patriarchale Macht- und Besitzansprüche«.

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