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Grandhotel Cosmopolis: Willkommensort in Not
Das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg bindet Geflüchtete in einen Kulturbetrieb ein. Doch das Projekt ist in eine finanzielle Schieflage geraten
Im Grandhotel Cosmopolis werden alle zum Ehrengast erklärt. Schon auf der Eingangstreppe ist der rote Teppich ausgerollt. Durch eine Glastür geht es in das liebevoll eingerichtete Café, das in hoffnungsvollem Grün gestrichen ist. Zuversicht, das brauchen die Hoteliers, wie sich das Team des Grandhotels nennt, auch, wenn sich in den nächsten drei Monaten keine finanzielle Kehrtwende anbahnt. Denn dann muss das Augsburger Projekt schließen.
Dabei erlebte das 2012 gegründete Grandhotel schon einiges mit. Es entstand durch die Idee eines Augsburger Künstler*innenkollektivs, das in Absprache mit den Behörden eine alternativ gestaltete Asylunterkunft mit einem Hotelbetrieb sowie einem Café mit Kulturveranstaltungen kombinierte. Die Corona-Pandemie und das nachlassende öffentliche Interesse für das Thema Migration ließen die Einnahmen und den Spendenfluss einbrechen. Die Lage hat sich immer mehr zugespitzt. Bis Ende März wollen die Hoteliers alles versuchen, um die Zukunft des Projekts zu sichern. 80 000 Euro brauchen sie, 17 000 haben sie bislang zusammen.
Teil des Rettungsplans sind Veranstaltungen wie die Vernissage der Ausstellung »Unheard Voices« des Vereins »Schau hin!« im Café. Mit Porträts und Biografien von Augsburger*innen mit Migrationsgeschichte wird der alltägliche Rassismus thematisiert. Ko-Vorständin Nubia Reuter findet bei der Eröffnung auch klare Worte zur aktuellen Lage des Grandhotels: »Wenn wir es nicht schaffen, schnell etwas zu ändern, dann gibt es uns bald nicht mehr.« Die Alarmglocken schrillen.
Sie selbst sei noch gar nicht so lange dabei, erzählt Reuter auf ihrem rosa Lieblingssofa sitzend. Durch den Tipp ihrer Studierenden erfuhr die Unidozentin vom Grandhotel Cosmopolis, wurde schnell zu einer Stammgästin des Cafés, packte mit an und wurde im Herbst in den Vorstand gewählt. Neben ihr sitzt Rae Martin. »Wir machen viele verschiedene Sachen: Konzerte, Lesungen, Workshops, das Café oder die Geflüchtetenunterstützung.« Rae Martin kam vor sechs Jahren aus Frankreich nach Augsburg und engagiert sich seitdem im Projekt. »Wir sind ein Ort, an dem jeder seine eigene Idee realisieren kann. Ohne das Grandhotel hätten auch viele andere Initiativen in Augsburg keine Heimat mehr.« Mit am Tisch sitzt Aude-Lise Epoko. Sie unterstützt das Projekt als Freiwillige. »Das Grandhotel ist ein Treffpunkt für Menschen, die gemeinsam Zeit verbringen möchten und sich einander unterstützen. Genau dieses Konzept macht es für mich so wertvoll.«
Nach der Vernissage sind die Besucher*innen eingeladen, den »Palast« zu erkunden. Dazu geht es sechs Etagen nach oben. Wer nicht den Aufzug nimmt, kann unterschiedliche Geheimecken wie das Katzenfresko über einem Heizkörper in der ersten Etage entdecken, oder die Fotocollage von Atemschutzmasken, die ein Mahnmal für die Corona-Pandemie ist. Im Grunde ist das gesamte Haus ein Kunstwerk, das ganz unterschiedliche Menschen verwirklicht haben.
Oben angekommen erklärt Peter Fliege, der von Anfang an dabei war: »Den Raum, den Ihr hier seht, den haben wir komplett saniert und eingerichtet, wie fast das komplette Haus. Ich und andere Augsburger Künstler haben das Projekt nach dem Null-Cent Prinzip gestartet. Also ohne jegliches Budget.« Dafür gingen sie auf lokale Unternehmen zu und baten um Unterstützung. Sie bekamen beispielsweise Heizkörper, die bei einem Großprojekt übrig waren, oder einen Laminatboden, der in ihren Räumen getestet wurde. »Eigentlich entsteht so immer eine Win-win-Situation, man muss sich nur trauen zu fragen«, meint Peter auf Schwäbisch. »Von selber macht das keiner.«
Peter Fliege möchte möglichst viele Menschen von der Idee des Gemeinschaftsprojektes begeistern, von den Bewohner*innen des Grandhotels bis zum Bauamt, das die Umbaumaßnahmen genehmigen musste. Mittlerweile ist die Führung im Keller angekommen, wo es eine Bühne, einige Tische und eine Großküche gibt. Peter blickt auf das Stabparkett und erinnert sich, wie sie die vielen Einzelteile auf einer Fläche von 100 Quadratmetern gemeinsam verlegt haben.
Alle Beteiligten, auch die geflüchteten Bewohner*innen, haben dazu beigetragen, dem Haus Leben einzuhauchen. Oft arbeiten sie ehrenamtlich im Café oder helfen bei den Renovierungen und haben so trotz noch fehlender Arbeitserlaubnis die Gelegenheit, der Langeweile zu entkommen und erste Berufserfahrungen in Deutschland zu sammeln, was ihnen bei späteren Bewerbungsprozessen hilft. Das Anpacken ist auch eine gute Strategie, um Deutsch zu lernen, findet Peter Fliege: »Abseits der oft theoretisch gehaltenen Sprachkurse haben die Menschen beispielsweise in unserer Upcycling-Werkstatt die Möglichkeit zu kommunizieren und so Selbstbewusstsein und Sprachpraxis zu sammeln.« Auch die Wohnsituation der Geflüchteten mit Zweibettzimmern, die sie selbst gestalten dürfen, ist bei Weitem besser als in herkömmlichen Unterkünften, wo es immer einen Sicherheitsdienst gibt. Das Grandhotel ermöglicht ihnen einen halbwegs geregelten Alltag.
»Das Grandhotel ist ein Treffpunkt für Menschen, die gemeinsam Zeit verbringen möchten und sich einander unterstützen. Genau dieses Konzept macht es für mich so wertvoll.«
Aude-Lise Epoko Freiwillige im Grandhotel
Eigentlich steht das Projekt im Einklang mit den Grundsätzen der Stadt Augsburg, die sich als Stadt des Friedens und der Vielfalt feiert, was auf den Augsburger Religionsfrieden vom 5. August 1555 zurückgeht. Protestantische und katholische Herrscher des Römischen Deutschen Reichs hatten den gemeinsam ausgehandelt. Der Pakt hielt zwar keine hundert Jahre und endete im Dreißigjährigen Krieg, aber die Stadt ist bis heute stolz auf dieses Ereignis und widmete ihm sogar einen Feiertag. »Trotz des Labels als Stadt des Friedens und der Vielfalt, habe ich erst im Grandhotel richtig was davon gemerkt. Das ist ein Ort der Begegnung für alle Menschen«, stellt Nubia Reuter heraus. Sie lädt nach der Führung zum gemeinsamen Essen an einen großen Tisch. Es gibt Spaghetti mit Gemüsesoße. Duc Viet Phan hat gekocht und garniert die Teller mit Basilikum und Nüssen – die Zutaten sind gerettete Lebensmittel.
Auch während des Essens geht es um die prekäre finanzielle Lage. Schon seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 kämpft das Grandhotel Cosmopolis ums Überleben. Dabei war 2019 das Jahr, in dem sich das Grandhotel erstmals dank des Hotel- und Cafébetriebs selbst hatte tragen können. Durch die laufenden Kosten und deutlich geringere Einnahmen während der Pandemie kam das Projekt finanziell aber geschröpft aus dieser Zeit heraus und hat sich nicht wieder erholen können: Sowohl die Hotelzimmer als auch das Café finden seitdem weniger Anklang. Hinzu kommt der Einbruch der Spendengelder, was an der sich wandelnden öffentlichen Meinung gegenüber Migration liegen könnte, vermutet Reuter. Eine Mieterhöhung tat ihr Übriges, sodass das Grandhotel nun 3500 Euro Verlust pro Monat macht. »Wir schleppen uns jetzt schon einige Zeit von Monat zu Monat. Es kostet sehr viel Energie, wenn man immer mit einem Damoklesschwert über dem Kopf arbeiten muss«, sagt Peter Fliege.
Die Hoteliers reagierten auf die finanzielle Krise, indem sie das Konzept fast vollständig verwarfen und die Hotelzimmer jetzt an Nichtregierungsorganisationen, Radiosender und Kulturinitiativen wie eine Capoeira-Gruppe vermieten, um damit einen Teil der Miete decken zu können. Die übrigen Zimmer sollen denjenigen aus der Patsche helfen, die neu nach Augsburg kommen und es schwer haben, auf dem umkämpften Wohnungsmarkt eine Bleibe zu finden. Zudem bat das Grandhotel die Stadt Augsburg um Hilfe. »Ich hatte bereits erste Gespräche und bin ein bisschen zuversichtlich«, erzählt Reuter, obwohl die Hoteliers eigentlich auf eigenen Beinen stehen wollen. Durch die finanzielle Unterstützung der Stadt kann auch eine Abhängigkeit von Parteien entstehen, das ist den Hoteliers bewusst, gerade in einem Land wie Bayern, wo der politische Kurs seit Jahrzehnten stabil in der Hand der CSU liegt. Seine Unterstützung angeboten hatte auch das in Augsburg ansässige Unternehmen Eurocopter, aber das lehnten die Hoteliers ab: »Da gehen wir lieber unter«, sagen sie. Die Firma produziert nämlich Militärhubschrauber.
Zum Abschluss des Abends rappt Duc Viet Phan, der gerade noch in der Küche stand, auf der Bühne über seinen Umzug von Halle nach Augsburg und seine Familiengeschichte. Auch Nubia Reuter gibt mit ihrer Latino-Band ein Konzert. »Selbst wenn ihr keinen dicken Geldbeutel für Spenden habt, helft uns, in dem ihr das Cosmopolis zu eurem Lieblingscafé macht«, appelliert sie im Scheinwerferlicht. Dass das Grandhotel bleiben soll, da sind sich hier alle einig. Gerade in diesen politisch und gesellschaftlich schwierigen Zeiten braucht es soziale Gegenentwürfe und Rückzugsorte. Im Grandhotel sind alle willkommen, als Besucher*innen oder als Teil des Teams. »Es ist Wahnsinn, wie viele Menschen ich hier über die Jahre kennengelernt habe, ein wahres Geschenk. Und es kommen immer neue dazu. Zum Beispiel Ihr«, sagt Peter Fliege einladend. »Auch Ihr seid jetzt Teil des Grandhotels.« Mit diesen Worten schließt er den Abend.
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