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Die Heimstätten der Wohlständigen

Sex ist schön, die Liebe auch, aber manchmal lässt man sich besser scheiden: »Die Frau ohne Schatten« an der Deutschen Oper Berlin

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Sieht man immer öfter: Das Bühnenbild als eine bewohnte Möbelausstellung
Sieht man immer öfter: Das Bühnenbild als eine bewohnte Möbelausstellung

Das übliche »Buh«, »Bäh« und »Pfui« der prinzipiellen Feinde des Regietheaters in der Oper hatte Regisseur Tobias Kratzer an diesem Abend nicht verdient. Zählen seine Inszenierungen doch für gewöhnlich zu den nachvollziehbaren, einfach zu konsumierenden. Kratzer steht für verdauliche Qualität: Selbst Bayreuth bescherte er 2019 mit seinem »Tannhäuser« die einzig nennenswerte Inszenierung überhaupt in den letzten zehn Jahren. Dem 45-jährigen Niederbayern blüht nun die Intendanz an der Staatsoper Hamburg, die er im August dieses Jahres antrittt.

Ein anerkennendes Gähnen aber wäre angemessen gewesen, nach netto dreieinviertel Stunden bürgerlicher Seifenoper, die Kratzer aus Richard Strauss’ »Die Frau ohne Schatten« herausdestilliert hatte. Der Vorhang ging auf und da standen sie schon wieder, die unvermeidbaren Dämonen des realistischen Bühnenbilds: Designerküchen und Edelcouches, Kaffeemaschinen und Garderoben. Wer die Trübsal der Heimstätten der Wohlständigen zum tausendsten Mal sehen will, der war entweder noch nie in der Oper oder arbeitet im Außendienst. Gefühlt jede zweite deutsche Inszenierung beruft sich dieser Tage auf die domestische Durchschnittlichkeit einer bewohnten Möbelausstellung.

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Als Kontrast braucht es dann die Welt der arbeitenden Bevölkerung – die muss mit Alditüten, Waschsalons und unbändiger Lebensfreude bei widrigen Umständen markiert werden. Dazwischen gibt es nichts – die Oper nimmt bittere Realitäten der sich konzentrierenden Wohlstandsverteilung vorneweg. Bald wird es so sein. Bis zur wirklichen Verelendung inszenieren die Staatskulturschaffenden solche Gegensätze noch als witzige Naturgesetze der Bundesrepublik. Kratzers Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier hat glücklicherweise immer ein Händchen für den authentischen Straßenlook – Trainingsanzüge und Arbeitsschürzen.

In dieser neuen »Frau ohne Schatten« an der Deutschen Oper Berlin am Premierenabend vergangenen Sonntag singt Clay Hilley den Kaiser: Der steile Karrierepfad des 43-jährigen US-amerikanischen Heldentenors führte ihn letztes Jahr als Tristan nach Bayreuth, nachdem er 2023 von einem Tag auf den anderen spontan für Stephen Gould als Siegfried in der »Götterdämmerung« eingesprungen war. Sopranistin Daniela Köhler singt seine Kaiserin mit ihrer Amme Marina Prudenskaya. Auf der menschlichen Stirn des mystischen Kosmos tummeln sich ebenso regelmäßige Bayreuth-Protagonisten mit dem hawaiianischen Bariton Jordan Shanahan als Färber und Catherine Foster als seine Gattin. Dazu der Bass Patrick Guetti als mittelnder Geisterbote. Sir Donald Runnicles, Generalmusikdirektor des Hauses, dirigiert persönlich.

Richard Strauss’ längste Oper entstand im Ersten Weltkrieg während seiner Täigkeit als Hofkapellmeister in Berlin. Das Gerätsel, was nun eigentlich gemeint und erzählt sei in diesem überbordenden Dreiakter, begann bereits bei der Uraufführung 1919 an der Wiener Staatsoper zur regen Unzufriedenheit des Publikums. Ein kryptisches Spiel, auf das sich Regisseur Kratzer gar nicht erst einlässt. Begehr und Fruchtbarkeit sind nun einmal sehr weltliche Dinge und im 21. Jahrhundert reine Angelegenheit von Psychotherapie und Gynäkologie. Deswegen schlägt die Amme ihrer Königin eine künstliche Befruchtung vor. Ähnlich läuft es in der Färberei, die hier eine Wäscherei ist.

Parallel zum viel zu spätromantisch schwurbelnden Libretto produziert die Inszenierung liebevolle Profanitäten und liberale Weisheiten: Sex ist schön, die Liebe auch, aber manchmal lässt man sich besser scheiden. Dass Kratzer doch zu Ende noch einmal sehr versöhnlich mit dem konservativen Teil der Kartenkäufer kuschelt, wollen die Wutrentner auf den ermäßigten Plätzen gar nicht erst verstehen. Das Stück endet mit Kindergarten und Elternglück. Aber in der Welt der Prinzipien, geht es eben mehr um den Wunsch als die Kinder.

Im sportlichen Sinne hagelte es Ovationen für Runnicles, mittleren Beifall für Hilley und solidarisches Klatschen für die Kinder, Chöre und alle anderen Solisten. Eine Nacht in der Oper ist eben auch nur ein Tag auf der Rennbahn.

Nächste Vorstellungen: 30.1., 2.2., 5.2., 8.2., 11.2.

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