Tropenmedizin infrage gestellt

Bernhard Nocht bleibt als Namensgeber des international bedeutenden Instituts in Hamburg umstritten

Bernhard Nocht, Pionier der »Tropenmedizin«, politisch umstritten.
Bernhard Nocht, Pionier der »Tropenmedizin«, politisch umstritten.

Malariaparasiten machen krank, wenn sie sich in den roten Blutkörperchen des Menschen vermehren. Vor allem bei Kleinkindern nimmt die Infektion immer noch häufig einen tödlichen Verlauf. »Der weitaus größte Anteil aller weltweit erfassten Malariainfektionen stammt aus Afrika südlich der Sahara«, schreibt das Deutsche Ärzteblatt – also aus den sogenannten Tropen. Ein Pionier der deutschen und der internationalen Tropenmedizin war Bernhard Nocht. Der langjährige Hafenarzt wurde im Jahr 1900 Gründungsdirektor des »Hamburger Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten«. Heute führt das renommierte Institut Nochts Namen. Und Malaria ist immer noch ein gewichtiges Forschungsthema der renommierten Institution in der Bernhard-Nocht-Straße.

Doch ist der erfolgreiche Mediziner als Namensgeber heute noch tragbar? Denn Nocht war nicht allein Arzt und Wissenschaftler, der den Kampf gegen Malaria und andere Infektionskrankheiten aufnahm, sondern auch ein Kind seiner Zeit. Um über diese Fragen »quellengestützt und differenziert«, wie es in einer Pressemitteilung heißt, diskutieren und urteilen zu können, hatte das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) die Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte beauftragt, ein Gutachten zur Person seines ersten Direktors zu erstellen.

Auslöser für die Frage nach möglichem Nocht’schen Rassismus sind Äußerungen anlässlich einer seiner Forschungsreisen. Nocht sei vorrangig an den ökonomischen und politischen Interessen des Deutschen Reiches und seiner Kolonialpolitik orientiert gewesen, schreibt der Autor der 51-seitigen Studie, der Historiker Thomas Großbölting. Nocht kritisierte 1912 in dem »Bericht über seine Reise nach Deutschostafrika«, dass das Malariamittel Chinin an europäische Kolonialbeamte ebenso wie an die einheimische Bevölkerung ausgegeben worden sei. Außerdem habe man in dem naiven Glauben an die von Robert Koch entwickelte Malariabekämpfung mit Chinin auf die »möglichste Trennung der Europäerwohnungen von denen der Farbigen überall nicht genügend geachtet«.

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Hofiert von der Nazi-Führung, wurde das Tropeninstitut 1942 nach Bernhard Nocht benannt. Dieser war damals 85 Jahre alt. Politisch war der 1857 im preußischen Niederschlesien Geborene im Kaiserreich sozialisiert worden und hatte seine Militärzeit bei der Marine verbracht. In vielen Belangen sei Nocht stark national bis nationalistisch eingestellt gewesen, heißt es in der Studie, und er blieb dies bis an sein Lebensende. Soweit bekannt, äußerte er sich nach 1933 nicht antisemitisch und plädierte nicht für politische Gewalt im Inneren. »Sein Rassismus bewegte sich weiterhin in den Bahnen des Kolonialrassismus der Vorkriegsjahre, aber radikalisierte sich nicht wie bei stärker darwinistisch, ›rassenhygienisch‹ oder territorial-expansiv ausgerichteten Rassentheoretikern im Nationalsozialismus.«

Bernhard Nocht war Militär, sicherlich kein Widerstandskämpfer, eröffnete der heutige BNITM-Chef Jürgen May eine ausgebuchte Podiumsdiskussion in der letzten Woche. War Nocht vielleicht Mitläufer, politischer Ignorant oder doch ein glühender Kolonialist? Ein gewichtiger Vorwurf sei die Separation von Europäern und Einheimischen in den Kolonien: »Waren seine Aussagen dazu ein interner Disput unter Fachleuten, eine öffentliche Empfehlung oder eine implementierte Maßnahme?« Welches Gewicht müsse man dem geben?

May stellte spannende Fragen, die weit über den »Fall« Nocht hinausweisen. »Würde man den Namen heute geben? Aber: ist es das Gleiche, den Namen nicht zu geben oder ihn wegzunehmen? Wäre eine Umbenennung eine Ent-Ehrung? Und wäre sie berechtigt? Ist BN in seinem Tun ein Vorbild? Muss er das als Namensgeber überhaupt sein?«

Zu fragen ist zugleich, ob der Name Nochts für Mediziner und Hamburger eine Chance bietet, sich dauerhaft mit der kurzen deutschen Kolonialära auseinanderzusetzen – wie mit dem Nobelpreisträger Robert Koch. Koch nahm, wie viele Kollegen in der britischen und französischen Tropenmedizin, in Kolonien Menschenversuche vor, ohne Einwilligung der einheimischen Probanden. Das tat Bernhard Nocht nicht.

Dem gesellschaftlich umstrittenen Trend, historische Namen von Straßen, Plätzen und Institutionen zu tilgen, setzte Benjamin Kuntz vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin – der Medizinhistoriker leitet das dortige Museum – einen Kontrapunkt entgegen. »Authentische Orte«, also etwa die Wirkungsstätte Bernhard Nochts, sollten ihren Namen behalten. Um ein Stein des Anstoßes zu bleiben. Was auch eine Chance sein könnte, die medizinischen Leistungen Nochts zu würdigen. Über das weitere Vorgehen wird der BNITM-Vorstand Anfang Februar beraten.

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