Berlin-Neukölln: Der »Hererostein« soll weg

Das den deutschen Kolonialismus verherrlichende Denkmal steht noch immer auf dem Friedhof Columbiadamm

  • Laura Meng
  • Lesedauer: 4 Min.
Der »Hererostein« gedenkt gefallenen Soldaten deutscher Kolonialtruppen, die den Völkermord an den Herero und Nama begangen haben
Der »Hererostein« gedenkt gefallenen Soldaten deutscher Kolonialtruppen, die den Völkermord an den Herero und Nama begangen haben

Dass der Gedenkstein auf dem Friedhof am Columbiadamm in Neukölln für Kontroversen sorgt, davon zeugen auch die roten Farbreste, die am Fuße des Steins nicht richtig entfernt wurden. Der »Hererostein«, wie er irritierenderweise genannt wird, gedenkt nämlich nicht der Opfer des Völkermordes, den Deutschland dort während der Kolonialzeit begangen hat, sondern der Freiwilligen der deutschen Schutztruppen. Deswegen wird er immer wieder beschmiert. Nun soll der Stein entfernt werden.

Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Berlin (ISD) setzt sich für die Entfernung des Steins und eine angemessene Erinnerungskultur an den Genozid an den Herero und Nama ein. »Das Problem ist, dass der Stein immer noch da ist«, fasst er zu Beginn des Gespräches mit »nd« zusammen.

Zwischen 1904 und 1908 beging Deutschland den Völkermord an den Herero und Nama in der 1884 gegründeten Kolonie Deutsch-Südwestafrika – heute Namibia. Etwa 100 000 Menschen wurden in dieser Zeit von den deutschen Truppen ermordet. Doch erst im Jahr 2021 wurden diese Taten auch von Deutschland als Genozid anerkannt.

Der »Hererostein« wurde 1907 vom Offizierskorps des Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiments Nummer 2 aufgestellt. Er erinnert an den »Heldentod« – so steht es auf dem Stein – von sieben Freiwilligen der deutschen Schutztruppe. Neben dem Emblem des Regiments wurden nachträglich auch das des Deutschen Afrika-Korps e.V. – dem Verein der deutschen Afrika-Veteranen im II. Weltkrieg – und das des Traditionsverbands ehemaliger Schutz- und Überseetruppen in den Farben der Reichsflagge eingraviert.

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Spätestens seit der Anerkennung des Völkermords sollte die Ehrung sogenannter Kriegshelden dieser Zeit überholt sein. Della betont aber, dass diese Haltung keine Selbstverständlichkeit ist: »Leider gibt es immer noch Debatten, die eine Einordnung von Kolonialismus als ein Unrechtssystem offen lassen. Das führt dazu, dass man oft unsicher im Umgang mit solchen Denkmälern ist.«

Um auch der Opfer des Völkermords an den Herero und Nama zu gedenken, wurde das Denkmal im Jahr 2009 um eine in den Boden eingelassene Marmorplatte mit den Umrissen des heutigen Namibias ergänzt. In der Mitte steht ein Zitat von Wilhelm von Humboldt: »Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.« Der umstrittene Stein ist derzeit das einzige Denkmal in Berlin, das an den Völkermord an den Herero und Nama erinnert.

Berlins einziges Denkmal in Erinnerung an den Völkermord an den Herero und Nama
Berlins einziges Denkmal in Erinnerung an den Völkermord an den Herero und Nama

Der »Hererostein« ist hingegen nicht der einzige Berliner Ort, mit positivem Bezug zum deutschen Kolonialismus. »Das koloniale Erbe Berlins macht sich an vielen Dingen fest wie Straßennamen, Denkmälern, den Museumssammlungen und natürlich solchen Orten wie diesem unsäglichen Gedenkstein«, erklärt Della. Langsam aber kommt auf Druck von antikolonialen Initiativen Bewegung in die alltägliche Erinnerung. Der ehemalige Nachtigalplatz in Wedding, benannt nach dem Gründer der deutschen Kolonien in West-Afrika wurde 2022 umbenannt. Jetzt heißt er Manga-Bell-Platz, nach Rudolf Manga Bell, einem Widerstandskämpfer gegen den deutschen Kolonialismus.

Aktuell organisiert das Bezirksmuseum Neukölln im Auftrag der Bezirksverordnetenversammlung einen die Zivilgesellschaft einbindenden Prozess, der das Ziel hat, den Stein zu entfernen. Zusätzlich soll aber auch ein Konzept für den Umgang mit der daraus resultierenden Leerstelle entwickelt werden.

Während des Prozesses gab es auch die Idee, den Stein einfach umzudrehen und seine Rückseite zur Vorderseite zu machen. »Diese Idee war nicht im Sinne der Akteur*innen, die diesen Prozess schon lange führen«, erklärt Della. Zudem würden an dem Denkmal oft Kränze zur Ehrung der Freiwilligen niedergelegt werden. Werde der Stein nur umgedreht, gingen die Ehrungen weiter, ist Della überzeugt.

»Das Gedenken an die Täter und die Opfer an einem Ort, das kann nicht funktionieren.«

Tahir Della Initiative Schwarze Menschen in Berlin

Der Stein wird nun wohl in die Zitadelle Spandau verlegt werden, wo auch andere kontroverse und von der Zeit überholte Denkmäler aufbewahrt werden. »Für uns gibt es zwei Schritte in diesem Prozess: Erstens muss der Stein entfernt werden, um das Gedenken an die Soldaten zu beenden, die den Völkermord an den Gesellschaften der Ovaherero und Nama organisiert haben«, erläutert Della. Ovaherero ist die Selbstbezeichnung des geläufig als Herero bezeichneten Bevölkerungsteils Namibias. Zweitens, sagt Della, brauche es eine Antwort auf die Frage, wie stattdessen ein angemessenes Gedenken an den Völkermord in Namibia aussehen kann.» Darüber hinaus brauche es einen Umgang mit den Folgen der Kolonisierung. Der Aktivist betont hier die Bedeutung von Reparationszahlungen, die die Nachfahren der Opfer des Völkermordes fordern. «Anders als Hilfsgüter, die auch immer mit Bedingungen verbunden sind, dienen Reparationszahlungen dem Versuch der Wiedergutmachung – sofern so was wiedergutzumachen ist.»

Della hofft, dass der Prozess rund um den Stein auch zu einem reflektierteren Umgang mit den Taten Deutschlands während der Kolonialzeit führt: «Das Gedenken an die Täter und die Opfer an einem Ort, das kann nicht funktionieren.»

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