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Robert Habeck: »Meine Hand in Richtung CDU bleibt ausgestreckt«
Trotz Migrationsstreits mit Merz: Habeck hält an schwarz-grüner Koalition fest und fordert Verschärfungen in Sachen Asyl- und Sicherheitspolitk
Nach dem gemeinsamen Votum von CDU, FDP und AfD im Bundestag hätte es für die Grüne zwei Optionen gegeben: Entweder sie hätten beschließen können, dass die CDU mit ihren Migrationsforderungen so weit nach rechts gerückt ist, dass es mit ihr kein Zusammenarbeiten mehr geben kann, oder sie hätte ihre Forderungen in Richtung CDU und FDP anpassen können, um das Konstrukt der bürgerlichen Mitte zu retten – und die potentielle schwarz-Grüne Koalition.
Der neue 10-Punkte Plan, den Robert Habeck am Montag als Antwort auf Friedrich Merz' Migrations- und Sicherheitspapiere vorgelegt hat, deutet darauf hin, dass sich zumindest die Grünen-Parteispitze für Option B entschieden hat. »Wir dürfen nicht hinnehmen, dass in Deutschland über 170 000 Haftbefehle nicht vollstreckt wurden – davon über 14 000 wegen Gewaltdelikten«, betonte Habeck. Daher fordert er eine »Vollstreckungsoffensive« mit einem »Schwerpunkt auf Islamisten und anderen Extremisten«.
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Der Vizekanzler und Wirtschaftsminister schlägt in seinem Papier zehn konkrete Maßnahmen vor, unter anderem mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden wie die biometrische Gesichtserkennung im Internet sowie eine »Vollstreckungsoffensive für Haftbefehle«. Die Grünen wollen zudem die Bundespolizei stärken – mit mehr Personal und einer besseren Ausrüstung.
Weitere Forderungen beziehen sich auf die Migrationspolitik: Asylverfahren müssten »drastisch« beschleunigt, nichtdeutsche Gefährder und Schwerkriminelle »konsequent« abgeschoben werden. Außerdem gehe es darum, Gefährdungspotenziale früher zu erkennen. »Bei der medizinischen Erstuntersuchung von Asylsuchenden muss ab sofort auch auf psychische Erkrankungen geprüft werden«, heißt es in den Forderungen. Das könne letztlich Leben schützen.
Der mutmaßliche Täter von Aschaffenburg war zuvor bereits als psychisch krank aufgefallen und auch bei dem Angreifer des Magdeburger Weihnachtsmarkts wurden psychische Probleme nicht ausgeschlossen. Es sei vor dem Hintergrund auch wichtig, dass Behörden von Bund und Ländern zur Kooperation verpflichtet werden, heißt es in Habecks Plänen weiter, damit Menschen, die bereits mehreren Sicherheitsbehörden aufgefallen seien, nicht »durch das Raster fallen«.
Allerdings versucht Habeck auch zu betonen, wie sich sein Plan von Merz’ Migrationspolitik unterscheidet. »Ich will eine Politik, die Sicherheit bestmöglich gewährleistet, die keine Ressentiments schürt und die Grundrechte wahrt«, erklärte Habeck zu seinen Vorschlägen. »Niemand darf pauschal an den Pranger gestellt werden.« Dabei sei auch entscheidend, dass eine solch breite Sicherheitsoffensive »unter Demokraten verhandelt werden« müsse, fuhr der Grünen-Politiker fort, »nicht mit Rechtsextremisten und nicht unter der Androhung von Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten«.
Habecks Plan sei »die grüne Antwort« auf die Fragen, die zurzeit viele Menschen berechtigterweise umtrieben, sagte Grünen-Chefin Franziska Brantner am Montag in Berlin. Trotz Kritik an Merz’ Inkaufnahme von AfD-Stimmen schließt Habeck Gespräche mit Merz nicht aus. Auch eine Absage an Schwarz-Grün steht nicht in dem Papier. »Meine Hand für Gespräche war und ist ausgestreckt«, so der Grünen-Politiker.
»Wer Fragen der Sicherheitpolitik zu Fragen der Migrationpolitik mache, schürt Hass und Hetze.«
Grüne Jugend Niedersachsen
Kurz vor der Wahl äußern sich Parteimitglieder nur selten mit parteiinterner Kritik. Nach Informationen des »nd« herrscht insbesondere im linken Parteiflügel Unmut über die Habeck-Vorschläge, die sich als Zugeständnis in Richtung des Migrationskurses von Merz lesen lassen.
Offene Kritik an Habecks Papier kam bisher nur vom Landesverband der Grünen Jugend Niedersachsen. In einem Statement des Jugendverbandes heißt es: »Wir stellen uns klar gegen die größte Hetzjagd gegen Millionen von Migrant*innen die seit 1945 geführt wird.« Wer Fragen der Sicherheitpolitik zu Fragen der Migrationpolitik mache, schüre Hass und Hetze, und adressiere weder rechtsextreme Gewalt noch Femizide, so der GJ-Landesverband weiter.
Auch die FDP hat sich nochmals zu dem Streit um die Migrationspolitik gemeldet und startet nach dem AfD-Debakel vergangene Woche den Versuch, die Mitte wieder hinter Verschärfungen in Bereich Migration zu vereinen. Dafür schlägt FDP-Fraktionschef Christian Dürr vor, das vergangene Woche im Bundestag gescheiterte »Zustrombegrenzungsgesetz« erneut zur Abstimmung zu bringen. Dazu sollten diese Inhalte in das Gesetz zur Reform des Europäischen Asylsystems (GEAS) aufgenommen und gemeinsam verabschiedet werden.
»Jetzt ist der Moment, Brücken zu bauen – im Interesse unseres Landes«, schrieb Dürr dazu. Er veröffentlichte einen Brief an die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Union und Grünen, in dem er diese dazu aufruft, »Lösungen aus der Mitte heraus« zu finden. Dürr schlägt vor, die beiden Gesetzesteile dann am letzten Sitzungstag vor der Bundestagswahl zu verabschieden – dies wäre der 11. Februar.
Das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz war am Freitag trotz AfD-Unterstützung im Bundestag gescheitert. Es sah unter anderem einen Stopp des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte und mehr Befugnisse für die Bundespolizei vor. Weil CDU-Chef Friedrich Merz die Zustimmung der AfD dafür in Kauf nahm, steht er massiv in der Kritik, hunderttausende Menschen gingen aus Protest auf die Straße.
Die Grünen lehnen das Gesetz ab, bekennen sich hingegen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Dieses müsse aber »grund- und menschenrechtskonform« umgesetzt werden, so die Partei. Bis Mitte 2026 soll die Überführung in nationales Recht vollzogen werden. Die Bundesregierung will dies aber teilweise vorziehen, im November beschloss das Bundeskabinett dazu bereits zwei Gesetzentwürfe.
»Die selbsternannten demokratischen Parteien überbieten sich aktuell mit immer neuen ›Plänen‹ und ›Paketen‹, um das herbeigeredete Problem der Migration zu bearbeiten« kritisiert die Linke-Abgeordnete Clara Bünger. Während die Union unbeirrt Pushbacks an deutschen Grenzen fordere, wollten die Grünen »nichtdeutsche Gefährder« schonungslos abschieben. Die FDP verlange einen »Migrationspakt der Mitte‹« meine aber eigentlich die Abschaffung des Rechts auf Familiennachzug und die schnelle Umsetzung der Verschärfung des europäischen Asylsystems. »Damit betreiben diese Parteien unverändert genau jene Politik, von der seit Monaten allein die AfD profitiert – auf dem Rücken von Geflüchteten und ohne irgendein reales Problem zu lösen«, so Bünger weiter. Mit Agenturen
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