Polizei in Berlin: Jede Woche ein Elektroschock

Berliner Polizeistatistik zeigt 49 Tasereinsätze zwischen Mai und Dezember 2024

Seit Mai 2024 sind in Berlin 254 Taser im Einsatz (SEK nicht mitgezählt).
Seit Mai 2024 sind in Berlin 254 Taser im Einsatz (SEK nicht mitgezählt).

»Taser können Leben retten«, teilte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) 2022 mit. Damals waren die »Distanz-Elektroimpulsgeräte« (Taser) erst in drei Berliner Polizeidienststellen im Probelauf eingesetzt. Außerhalb des Spezialeinsatzkommandos waren zum Zeitpunkt von Sprangers Aussage rund 60 Dienstkräfte der Polizei mithilfe von 23 Tasern für den Einsatz geschult.

Ende 2024 sind bereits 1300 geschulte Beamte und 254 Elektroschockpistolen flächendeckend im Einsatz. Das ergibt eine Antwort der Senatsverwaltung für Inneres auf eine Anfrage des innenpolitischen Sprechers der Grünen im Abgeordnetenhaus Vasili Franco. Anlass für seine Anfrage war die einjährige Reform des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Asog). Der schwarz-rote Senat reformierte Ende 2023 das Gesetz und stattete die Polizei somit mit mehr Tasern aus und befugte sie für einen flächendeckenden Einsatz von Bodycams sowie zur Ausweitung des Präventivgewahrsams.

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Die Antwort des Innensenats zeigt: Wo mehr Taser vorhanden sind, werden auch mehr Taser eingesetzt. Wo mehr Taser eingesetzt werden, gibt es auch mehr Verletzte. Seit Mai 2024 hat die Berliner Polizei 49-mal mit dem Taser auf Menschen geschossen, 71-mal hat sie den Einsatz angedroht. 32 Menschen wurden dabei verletzt – entweder durch »leichte Verbrennungen an den Kontaktpunkten« oder durch »Muskelschmerzen«. Ob sie medizinisch versorgt werden mussten, erfasst die Polizei laut Antwort der Verwaltung nicht. 2023 habe die Polizei die Taser hingegen nur zweimal ausgelöst und einmal den Einsatz angedroht, sagte Franco dem »Tagesspiegel«. Die Anschaffung, Reparatur und der Betrieb von Tasern kostete 2024 über 800 000 Euro.

Bis zu 50 000 Volt fließen durch die Drähte, die mit hohem Gasdruck zwei Elektroden aus dem Taser schießen. Treffen die Elektroden einen Menschen, bohren sie sich wenige Millimeter unter seine Haut und die 50 000 Volt fließen durch den Körper und lösen Muskelverkrampfungen hervor. Gegen Kinder, Schwangere oder Herzkranke dürfen Taser nicht eingesetzt werden. Ob jemand herzkrank oder schwanger ist, lässt sich für die Beamten jedoch nicht unbedingt erkennen. Ob sie den Taser 2024 gegen Personen unter 14 Jahren, Schwangere, alkoholisierte oder unter Drogen stehende Personen, Personen in psychischen Ausnahmesituationen oder Menschen mit Herzerkrankungen einsetzten, hat die Polizei statistisch nicht erfasst.

Die Zeitschrift für »Bürgerrechte und Polizei/Cilip« zählt seit 2018 bereits zehn Menschen, die an den Folgen eines Taser-Einsatzes in Deutschland starben. Die meisten Vorfälle ereigneten sich demnach in Wohnhäusern und häufig bei Personen in psychischen Ausnahmezuständen oder unter dem Einfluss von Drogen. Die Behörden bestreiten einen Zusammenhang zwischen den Todesfällen und den Taser-Einsätzen. Die Ermittlungen zum Tod von Ibrahima Barry, der 2024 in Mülheim nach einem Polizeieinsatz in seiner Flüchtlingsunterkunft starb, laufen noch.

Kritik an Tasern und der Verschärfung der Asog-Novelle gibt es zahlreich. Der innenpolitische Sprecher der Linken im Abgeordnetenhaus Niklas Schrader verwies auf Studien, die belegen, dass Taser Schusswaffen nicht ersetzen, sondern ergänzen. Die Reform des Polizeigesetzes ermöglicht es den Beamten, den Taser nicht nur anstelle einer Schusswaffe, sondern auch anstelle eines Schlagstocks einzusetzen.

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