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Tötung von William Chedjou: Tatmotiv Rassismus?

Der Kameruner wurde 2024 in Berlin erstochen – psychiatrischer Bericht zum Täter wirft Fragen auf

»Gerechtigkeit im Namen von William Chedjou!« fordern nicht nur die Angehörigen des Getöteten, sondern auch Initiativen gegen anti-Schwarzen Rassismus.
»Gerechtigkeit im Namen von William Chedjou!« fordern nicht nur die Angehörigen des Getöteten, sondern auch Initiativen gegen anti-Schwarzen Rassismus.

Er habe »überreagiert«, warum auch immer, sagt ein Psychiater vor dem Landgericht Tiergarten am Mittwoch. Der Psychiater berichtet über den Angeklagten Tolga E., der wegen Totschlags vor Gericht steht. E. erstach am 11. Juli 2024 den Kameruner William Chedjou, der am helllichten Tag im Berliner Ortsteil Gesundbrunnen auf offener Straße verblutete. Was medial zunächst als ein »Streit um einen Parkplatz« stilisiert wurde, führte in der kamerunischen Community sowie unter antirassistischen Initiativen zu einem Aufschrei. So lege die Tötung nahe, dass anti-Schwarzer Rassismus Tatmotiv sei.

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E. gestand bereits kurz nach der Tat, Chedjou mit seinem Messer in den Bauch gestochen zu haben. Zuvor sei ein Streit zwischen einer Gruppe Schwarzer Menschen und einer Gruppe von Menschen mit türkischen Wurzeln eskaliert, wie es ein Zeuge am Mittwoch vor Gericht beschreibt. Dabei sei es laut mehreren Zeugenaussagen um einen Parkplatz in der Böttgerstraße gegangen. Wer vor der Tötung verbal oder körperlich gewaltvoll aufgetreten sein könnte, bleibt aufgrund sich widersprechender Aussagen unklar.

Der Angeklagte E. wird von dem Psychiater als ein in einer »gut integrierten« und »weltoffenen Familie« aufgewachsener 30-Jähriger beschrieben. Der Staatsanwalt fasst es in seinem Plädoyer in Bezug auf den psychiatrischen Bericht als »westliche Erziehung« zusammen. E. konsumiere laut Psychiater keine Drogen, trinke keinen Alkohol und ist nicht vorbestraft. Er sei psychisch unauffällig – sowohl zum Zeitpunkt der Tat als auch in seiner Haftzeit. Er beschreibt E. als einen ruhigen »Kopf-Menschen«, der »für Berliner Verhältnisse« behütet aufgewachsen sei. Die Herkunft desTäters wie des Opfers ist im Prozess mehrfach Thema.

Der Angeklagte sagt in einem von seinem Verteidiger verlesenen Statement vor Gericht aus, dass er das Messer, mit dem er Chedjou erstach, bereits seit 2022 habe. »In dem Kiez, in dem ich aufgewachsen bin, hatten viele Jugendliche so ein Messer«, heißt es demnach. E. gibt außerdem zu, das Messer bereits in seine Tasche gesteckt zu haben, bevor er sein Auto verließ und auf Chedjou und weitere Menschen traf.

»Wer Leben so leicht nimmt, muss es abwerten.«

Sprecherin der Gruppe Young Struggle

E. wirkt auf der Anklagebank hinter dem schusssicheren Panzerglas unbeteiligt – im Gegensatz zu den ihm gegenübersitzenden zwei Frauen der Nebenklage, eine davon Chedjous Mutter. Mehrfach muss der Prozess unterbrochen werden, weil sie in Tränen ausbricht. Für die Nebenklägerinnen gibt es jeweils Übersetzer*innen ins Französische. Der am Mittwoch aussagende Zeuge, der die Tötung aus seinem Auto heraus beobachtete, konnte nicht identifizieren, ob Chedjou und seine Freunde Französisch sprachen, auch nicht, ob der Angeklagte Deutsch sprach. »Wenn Afrikaner laut reden«, sei es für ihn unverständlich, sagt er.

Die Angehörigen von William Chedjou fühlen sich unverstanden, wie in Szenen vor dem Gerichtssaal deutlich wird. »Sie sollen uns verteidigen und nicht den Mörder«, ruft einer der Angehörigen dem verteidigenden Anwalt auf Englisch zu. »Er hat uns das Leben genommen und wir sollen 15 000 Euro nehmen?«, ruft derselbe Mann. 15 000 Euro soll der Angeklagte laut Richter den Angehörigen als Schmerzensgeld überwiesen haben.

Für die Aktivist*innen von der Jugendorganisation Young Struggle ist klar, dass es sich bei der Tötung an Chedjou um anti-Schwarzem Rassismus handelt. »Wer Leben so leicht nimmt, muss es abwerten«, sagt eine Aktivistin gegenüber »nd«. Die Gruppe ruft für den Abend mit dem »Collectif William Chedjou« zur Versammlung an der Böttgerstraße 16, wo Chedjou getötet wurde. Laut Aufruf wollen sie demonstrieren, »um den skandalösen und rassistischen Prozess gegen den Mörder von William Chedjou anzuprangern«, wie sie mitteilen. So zeige die Justiz seit Prozessbeginn »Verachtung, Rassismus und Behinderung der Wahrheit«.

Die Staatsanwaltschaft plädiert auf sechs Jahre und acht Monate Freiheitsstrafe und sieht keinen Anlass für verminderte Schuldfähigkeit. »Eins möchte ich jedoch sagen: Dass es hier Anhaltspunkte für ein rassistisches Motiv gab«, führt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer am Mittwoch aus. Ein Urteil im Prozess wird für den 17. Februar erwartet.

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