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Die Legende vom AfD-Steigbügelhalter
Wolfgang Hübner über die Behauptung, vor allem Mitte-links-Kräfte hätten mit ihrer Politik den Aufstieg der Rechten ermöglicht.
Eine Legende geht um in Deutschland: die Legende von den vermeintlich Linken, die angeblich die AfD stark gemacht haben. Diese Legende wird gebetsmühlenartig abgespult von CDU, CSU und FDP, assistiert durch die Springer-Presse und andere interessierte Medien. Wobei anzumerken ist, dass in dieser Lesart alles als irgendwie links gilt, was nicht zur rechten Flanke des politischen Spektrums gehört. Auch das BSW meint, dass die SPD und vor allem die Grünen, der erklärte Lieblingsfeind von Sahra Wagenknecht, den Aufstieg der AfD maßgeblich begünstigt hätten. Interessant ist, dass es sich bei den Erzählern dieser Legende genau um jene Allianz handelt, die in der letzten Woche mit der AfD in Sachen Migration und Asyl paktierte. Und die auch in anderen Fragen, etwa in der Klimapolitik, nicht weit auseinanderliegt.
Vor allem die Grünen trügen wegen ihrer Migrationspolitik die Verantwortung dafür, dass die politische Rechte immer stärker geworden sei, sagt Sahra Wagenknecht. Die Grünen seien der Steigbügelhalter für die AfD, sekundiert FDP-Chef Christian Lindner. Dessen Parteifreund Jens Teutrine behauptet, die SPD entlarve sich als Erfüllungsgehilfe der AfD. Über die Brandmauer redeten diejenigen, die während der letzten Jahre Öl ins Feuer gegossen hätten, erklärt der CSU-Politiker Alexander Dobrindt.
Wolfgang Hübner ist politischer Korrespondent des »nd«.
Spätestens hier muss man fragen: Wer hat seit 2013, als die AfD als rechte Abspaltung von der CDU gegründet wurde, eigentlich in Deutschland regiert? Vier bzw. fünf Parteien waren seitdem an Bundesregierungen beteiligt: CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP. Wenn schon, dann haben sie alle mit ihrer Politik und der daraus resultierenden Unzufriedenheit der Menschen zum Aufschwung der Rechten beigetragen. Auch die, die sich jetzt als Ankläger aufspielen.
Natürlich ist die AfD nicht im luftleeren Raum so stark geworden. Das hat mit der wirtschaftlichen Entwicklung seit längerer Zeit zu tun, mit den großen Krisenfeldern wie Corona und Ukraine-Krieg, mit der im Osten sensibel registrierten innerdeutschen Ungleichheit. Und auch mit Ängsten angesichts der Zahlen an Migranten und Asylbewerbern. Diese Ängste werden weit über das rationale Maß hinaus gezielt geschürt, das haben Faktenchecks inzwischen bewiesen.
Wer das tut, ist schon ganz nahe dran an Inhalt und Sound der AfD-Politik. Indem namentlich die Union, aber auch andere Parteien glauben, man könne den Rechtsextremisten das Wasser abgraben, wenn man ihre Inhalte übernimmt, erliegen sie dem immer gleichen Irrtum. Wer Nazis kopiert, schwächt sie nicht, sondern macht sie salonfähig. »Für das, was ihr wollt, müsst ihr nicht AfD wählen«, wandte sich die CDU-Politikerin Julia Klöckner kürzlich mit einem Plakat an die AfD-Anhänger. »Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU.«
Diese ganze Begriffsverwirrung ist mehr als ein Wahlkampfexzess. Sie trägt systematisch zur Verharmlosung der AfD bei; Umfragen mit stabilen oder sogar steigenden AfD-Werten gerade nach den letzten Bundestagsdebatten bestätigen das. Vor allem aber wird dabei eine Grundfrage ausgeblendet: Wer wird in dieser Gesellschaft mit welchen Methoden auf wessen Kosten reich und wer leidet darunter? Union, FDP und AfD haben diese Frage noch nie gestellt, die Grünen kaum einmal, die SPD schon lange nicht mehr. Und das BSW hat erst gar nicht damit angefangen.
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