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Kampf gegen Verdrängung: Auch Kaiser wollen Genossen sein
Wie Berlins Senat bezahlbares Wohnen am Oranienplatz in Kreuzberg gefährdet
Der 1. Februar 2025 – dieser Termin war im Kalender der Bewohner*innen des Kuchenkaiser-Hauses am Kreuzberger Oranienplatz rot angestrichen, diesem bangten sie entgegen. Sollte bis zum 1. Februar kein verbindliches Kaufangebot vorliegen, so war die letzte Ansage der Eigentümergemeinschaft, werde sie das Haus anderweitig verkaufen. Damit wären die Hoffnungen der Bewohner*innen endgültig begraben, den Verkauf an renditehungrige Investoren zu verhindern.
Das Doppelhaus mit seinen 26 Wohnungen, das Eingänge sowohl vom Leuschnerdamm 43 als auch von der Naunynstraße 46 hat, beherbergte im Erdgeschoss mehr als 100 Jahre lang das traditionsreiche Café Kuchenkaiser. Das Café ist inzwischen heruntergewirtschaftet, die Fenster sind seit Monaten verklebt. Über dem Café wohnen »Junge, Alte, Singles, Familien, viele leben hier seit Jahrzehnten«, beschreibt ein Bewohner die Hausgemeinschaft. »Richtig Reiche« gebe es nicht, es sei ein Stück altes Kreuzberg, »eine bunte Mischung aus Künstlern, Angestellten und Selbstständigen«. Einer von ihnen, der Folksänger Kay Vega, hat dem Haus mit dem Song »Naunyn 46« gar ein musikalisches Denkmal gesetzt: »Die Leute hier im Haus / sind mehr kreativ als fleißig, / hier lebt noch das alte SO36.«
»Die Leute hier im Haus
Kay Vega Folksänger
sind mehr kreativ als fleißig,
hier lebt noch das alte SO36.«
Lange Zeit war das Wohnen hier recht beschaulich. Drumherum gingen die Mieten durch die Decke, aber beim Kuchenkaiser blieben sie bezahlbar. Erbe und Eigentümer des Hauses war Ulrich Fluss, ein Kreuzberger Original, der mit seiner allgegenwärtigen Kamera die Veränderungen im Kiez festhielt. Fluss wohnte selbst im Haus und wurde von den Mieter*innen liebevoll »unser Miethai Uli« genannt. Kay Vega widmete ihm die Zeilen: »Uli, der Miethai erzählt Geschichten, an runden Geburtstagen fängt er an zu dichten.« Fluss starb 2023 überraschend, er hinterließ das Haus einem Freundeskreis.
Wie weiter? Auf der ersten Mieter*innenversammlung im Juni 2023 beschlossen die Bewohner*innen, das Haus vor dem Zugriff renditeorientierter Investoren zu retten und es in eine Genossenschaft zu überführen. Mit der Selbstbau e.G. fand man eine kompetente Genossenschaft, die bereits das Tuntenhaus und andere Projekte gerettet hatte. Selbstbau-Projektentwickler David Robotham erinnert sich gegenüber »nd«: »Die Erbengemeinschaft des Objektes Naunynstraße 46/Leuschnerdamm 43 hat Anfang 2024 das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und die Mieter*innen kontaktiert, um eine gemeinwohlorientierte Käuferin zu suchen. Die Selbstbau e.G. hat auf Wunsch der Bewohner*innen Verhandlungen aufgenommen.«
Die große Expertise und langjährige Erfahrung in der Übernahme von Häusern beeindruckte wohl auch die Eigentümer. Man einigte sich auf einen Kaufpreis, den sowohl Selbstbau als auch die Bewohner*innen als »sehr fair« bezeichnen. Diese sagten zehn Prozent der Kaufsumme zu, wohl wissend, dass »enorme Belastungen auf uns zukommen«, wie ein Mieter »nd« erzählt. »Wir sind an der Schmerzgrenze, wir werden uns bei Freunden und Verwandten verschulden oder müssen bei der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau, Anm. d. Red.) Kredite aufnehmen, die es da für den Kauf von Genossenschaftsanteilen gibt. Aber es herrscht eine große Einigkeit, dass sich die Anstrengung lohnt.«
Das BjG ist ein Lobbyverband von rund 40 kleinen und mittleren Genossenschaften. Mit einem Offenen Brief hatte das Bündnis in der letzten Woche gegen die langsame Bearbeitung von Förderanträgen protestiert. »Misstrauen gegen die Leistungsfähigkeit der Berliner Genossenschaften, keine behördliche Routine in der Abwicklung der Förderverträge sowie das Fehlen eines vertrauensvollen Miteinanders« würden, so das BjG, »unweigerlich dazu führen, dass in Zukunft der genossenschaftliche Wohnungsbau in der Bundeshauptstadt zum Erliegen kommt«. Einem der in dem Brief erwähnten Fälle ist »nd« nachgegangen: dem Doppelhaus Leuschnerdamm 43/Naunynstraße 46, besser bekannt als Kuchenkaiser-Haus. pie
Damit die Belastungen für die Mieter*innen erträglich bleiben, ist die Selbstbau e.G. auf Zuschüsse aus dem Genossenschaftsförderprogramm der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen angewiesen, mit dem auch der Ankauf von Häusern unterstützt wird. Im März 2024 wurden die Antragsunterlagen eingereicht. Doch es passierte – nichts. David Robotham: »Leider blieb der Förderantrag unbearbeitet, sowohl von der zuständigen Senatsverwaltung als auch von der IBB. Begründet wurde dies zunächst mit Zweifeln an der Bonität unserer seit 1990 bestehenden Genossenschaft mit 31 Wohnprojekten und rund 600 Wohnungen. Dabei liegen Unterlagen unserer Wirtschaftsprüfer vor, die uns eine gute Bonität und ein solides Bewirtschaftungsergebnis bescheinigen.«
Warum blieb der Antrag monatelang liegen? Die Pressestelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen teilte »nd« am 24. Januar 2025 in einer kargen Stellungnahme mit: »Ein Antrag auf Ankaufsförderung für Genossenschaften wurde gestellt und ist aktuell bei der Investitionsbank Berlin (IBB) in Prüfung. Die IBB prüft dabei die Wirtschaftlichkeit des Objekts sowie die Bonität der antragstellenden Genossenschaft.« Zur Frage, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei, könne man »keine Aussage treffen«. Fehlende oder unvollständige Unterlagen oder komplexe Vorhaben könnten zu Verzögerungen führen.
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Solche Verzögerungen sind in Berlin die Regel und treffen besonders kleinere und innovative Genossenschaften. Schon 2021 hatte das »Bündnis junger Genossenschaften«, dem auch die Selbstbau e.G. angehört, in einem Positionspapier Verfahrensbeschleunigung und »Transparenz und Dialog auf Augenhöhe als durchgehende Planungsprinzipien« angemahnt. Passiert ist seitdem nichts. Die IBB prüft. Und lässt sich Zeit.
Zeit, die kaufwillige Genoss*innen oft nicht haben. Denn auch Verkäufer, die ihre Immobilie zu »fairen Preisen« an gemeinwohlorientierte Träger geben wollen, warten nicht ewig. So setzte nach mehrmaliger Fristverlängerung auch die Eigentümergemeinschaft des Kuchenkaiser-Hauses im Dezember 2024 ein Ultimatum: Käme bis Ende Januar 2025 keine Förderzusage der Senatsverwaltung, würde das Haus anderweitig verkauft.
Am 31. Januar kam dann doch das ersehnte Schreiben, zwar keine Zusage, aber die Ankündigung einer Zusage. Reicht das? David Robotham spricht vorsichtig von einem »positiven Signal«, voraussichtlich reiche das den Eigentümern zunächst. Letztlich sei aber alles bis zum Abschluss des notariellen Kaufvertrages immer noch gefährdet. Das dürfte in einigen Wochen der Fall sein. Die Chancen aber stehen gut, dass im März die Kuchenkaiser-Bewohner*innen aufatmen können und ihr Haus vor Spekulation und Verdrängung gesichert ist – trotz einer Senatsverwaltung, die auch dieses Projekt fast zum Scheitern gebracht hätte.
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