Sexueller Missbrauch: Ein linker »Kinderfreund« in der Antifa

Nach Pädophilie-Vorwürfen aus den 90er Jahren warnen Betroffene vor einem ehemaligen Mitglied der Berliner Antifa-Szene

  • Fabian Kreuzberg
  • Lesedauer: 6 Min.
Männliche Kinder und Jugendliche, mit denen er sich umgab, soll Aro »Pipo« K. jahrelang systematisch missbraucht haben.
Männliche Kinder und Jugendliche, mit denen er sich umgab, soll Aro »Pipo« K. jahrelang systematisch missbraucht haben.

Über 30 Initiativen, zivilgesellschaftliche Akteure und Kleingewerbetreibende im Berliner Stadtteil Moabit haben in der letzten Woche Post bekommen. Sie alle eint eine geschäftliche oder politische Beziehung zu Andreas Robert K., der unter dem Pseudonym Aro K. im Kiez gut vernetzt ist. Die Autoren des Briefes bezeichnen sich selbst als »eine Gruppe von mehr als dreißig Männern, die als Kinder und Jugendliche Betroffene sexualisierter Gewalt durch Andreas Robert K. geworden sind«.

Die Taten, die K. vorgeworfen werden, reichen weit zurück, vermutlich sind sie strafrechtlich mittlerweile verjährt. Gleichwohl sind sie ungeheuerlich: K. soll »Dutzende männliche Kinder und Jugendliche sexuell und emotional missbraucht« haben. Er habe die Taten von Mitte der 80er Jahre in Westberlin bis Mitte der 90er Jahre im Ostberliner Stadtteil Mitte sowie dem Kreuzberger Mehringhof begangen. In dieser Zeit war K. unter seinem Spitznamen »Pipo« als Aktivist in der Antifa-Szene bekannt.

Die Edelweißpiraten, oft abgekürzt als »Epis«, hatte K. im Jahr 1991 gegründet, nachdem es in seiner vorherigen Gruppe, der Antifa Jugendfront, »eine interne Auseinandersetzung mit K. um seine Führungsposition und sein abwertendes Verhalten gegenüber Mädchen gab«, wie es auf einem Internet-Blog heißt. Auf etliche, als Originale deklarierte Dokumente gestützt, zeichnet der Blog K.s Biografie nach: von einem linksradikalen Mann, der von einem »kommunenartigen WG-Leben« von sich und anderen »Kinderfreunden« zusammen mit Jugendlichen träume, über sein Wirken als Erwachsener bei den Jugendgruppen Antifa Jugendfront, Edelweißpiraten und Unkraut – bis hin zu seinem Versuch, 1996 als Freizeitleiter an einer Ferienfahrt des Katholischen Hilfswerks teilzunehmen.

Ende Januar ging Aro K. nun selbst an die Öffentlichkeit: »Ich hatte um 1990 mehrmals Beziehungen zu Jungs, die so zwischen 14 und 16 Jahre alt waren. Darunter waren auch sexuelle Freundschaften«, schreibt er auf seiner Homepage. Der damals knapp 30-Jährige verwahrt sich in seiner Stellungnahme gegen »Vorwürfe wie Vergewaltigung oder Sex mit Kindern«.

Hier widerspricht Jens Tiede1, eines der Opfer: »Im Frühjahr 1993, da war ich entweder noch 11 oder gerade 12 geworden.« Alle Personen unter 14 Jahren gelten rechtlich als Kinder. Tiede sagt, »der von K. verwendete Begriff der ›sexuellen Freundschaften‹ fühlt sich für mich an wie ein Schlag in die Magengrube. Wir hatten keine Freundschaft jedweder Art. Ich war ein Kind und er ein Erwachsener, der mich sexuell missbraucht hat.«

Ab November 1993 werden in der autonomen Szenezeitschrift »Interim« K.s sexuelle Beziehungen zu Jugendlichen thematisiert. Die Zeitschrift war eine der wichtigsten Diskussionsplattformen der außerparlamentarischen Linken im Berlin der 90er Jahre. K. wird nicht namentlich genannt, sondern als »M« oder »XY« anonymisiert; Mitglieder der eng verwobenen Szene dürften trotzdem gewusst haben, um wen es sich handelt. Schützenhilfe bekommt K. zunächst noch von den Jugendlichen selbst, mit denen er sich umgibt. Sie fühlten sich von der erwachsenen »PC-Polizei«, also Kämpfern der Politischen Korrektheit, bevormundet, wie sie in einem öffentlichen Brief mitteilen. K.s Argument und das seiner Verteidiger bestand darin, trotz des Altersunterschieds auf Freiwilligkeit und die Mündigkeit der betroffenen Jugendlichen hinzuweisen.

»Wir hatten keine Freundschaft jedweder Art. Ich war ein Kind und er ein Erwachsener, der mich sexuell missbraucht hat.«

Jens Tiede Betroffener

Ein Großteil der Szene bleibt passiv und stumm, ordnet das Thema offenbar dem privaten Bereich zu. 1996 kommt es dann zum Bruch eines Teils der jugendlichen Edelweißpiraten mit »Pipo«: Sie werfen ihn aus der gemeinsamen WG. In einem mehrseitigen internen Schreiben nennen einige der Jugendlichen K.s Verhalten erstmals »sexuellen Missbrauch«.

1997 wird K.s Identität mit Foto, Namen und Anschrift in der »Interim« unter der Überschrift »Achtung. Dieser Mann hat mehrere Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht« veröffentlicht. Die Alterspanne wird mit 9 bis 16 Jahren angegeben und ein jahrelanges Missbrauchssystem über emotionale und ökonomische Erpressung dargestellt. Im Schreiben findet sich der Hinweis, dass durch den Ausschluss aus der linken Szene »nicht das Problem gelöst ist, dass er Päderast ist«. Die einschlägigen Regelungen des Strafrechts fanden in der Debatte in der »Interim« jedoch keine Erwähnung.

Die Juristin Franziska Drohsel erklärt die damalige Rechtslage. Sie kennt die Vorwürfe aus der Presse und arbeitet als Rechtsreferentin für die Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKFS). »Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist seit 1973 strafbar«, sagt Drohsel. Die Polizei hätte eigentlich von Amts wegen ermitteln müssen. Möglicherweise komme auch der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs an Jugendlichen in Betracht. Diesen gebe es in der Form erst seit 1994, sagt Drohsel. »Danach ist strafbar, wenn der Jugendliche unter 16 Jahren und der Täter über 21 Jahre alt ist und bei sexuellen Handlungen die fehlende Fähigkeit des Jugendlichen zur sexuellen Selbstbestimmung ausgenutzt« wurde.

Die Edelweißpiraten und Andreas Robert K. sind in dieser Zeit der Polizei bestens bekannt. In einer Ermittlungsakte über die Edelweißpiraten werden verschiedene Verfahren zusammengeführt, ermittelt wird wegen Graffiti sowie einer jugendtypischen Sachbeschädigung. Der Polizei sind mehrere der Jugendlichen namentlich bekannt, auch Elternhinweise sind in der Akte abgeheftet. Ein Beamter meldet, dass er in der WG der Edelweißpiraten, dem Zuhause von K., nach einem von den Eltern als vermisst gemeldeten Jugendlichen gesucht hat. Nachdem der Junge bei seinen Eltern aufgetaucht ist, wird die Ermittlung eingestellt.

Mehrmals wird K. in der Polizeiakte namentlich erwähnt und auf Fotos identifiziert. Besonders brisant: Eine der Zeuginnen, die im September 1994 K. beim Berliner Landeskriminalamt auf Bildern erkennt, ist selber Polizistin. Sie wird namentlich als Christine Schinke geführt und zwei Jahre lang als Spitzel gegen die linke Szene eingesetzt. Sie sagt aus, K. sei ihr »als Anführer der Edelweiß-Piraten« bekannt.

Spätestens nach der ausführlichen Veröffentlichung über K. in der »Interim« hätte die Polizei mithilfe der Ermittlungsergebnisse aus dieser Akte mögliche Zeugen und Betroffene von sexuellem Missbrauch ausfindig machen und befragen können. Nun ist es vermutlich zu spät, vor Gericht den Vorwürfen von dutzendfacher sexueller Belästigung und Missbrauch an Kindern und Jugendlichen nachzugehen. Wohl deshalb warnen damals Betroffene nun per Brief vor K.

1 Name geändert

Fabian Kreuzberg war als Teenager von 1993 bis 1995 selbst bei den Edelweißpiraten aktiv und bemüht sich heute um die Aufarbeitung des damals Geschehenen.

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