Palästina-Solidarität – aber nicht auf Arabisch

Die Berliner Polizei geht mit verstärkter Repression gegen pro-palästinensische Versammlungen vor

Am 8. Februar 2025 demonstrierten rund 300 Menschen für eine Feuerpause in Gaza und gegen Waffenlieferungen nach Israel – ihnen wurde die arabische Sprache in Reden und Sprechchören polizeilich verboten.
Am 8. Februar 2025 demonstrierten rund 300 Menschen für eine Feuerpause in Gaza und gegen Waffenlieferungen nach Israel – ihnen wurde die arabische Sprache in Reden und Sprechchören polizeilich verboten.

Fast in einem eins zu eins trafen Demonstrant*innen und Polizist*innen am Samstag auf dem Wittenbergplatz in Schöneberg aufeinander. Rund 250 Beamt*innen waren im Einsatz für eine Demonstration mit rund 200 bis 300 Teilnehmer*innen, wie die Berliner Polizei mitteilt.

Die Kundgebung trug den Titel »Stoppt die Aggression in Jenin!« Damit ist eine Stadt im besetzten Westjordanland gemeint, in dem die israelische Armee aktuell ihren Einsatz ausweitet. Zuletzt zerstörte das israelische Militär unter anderem ein Flüchtlingscamp in der Stadt. Angesichts dessen forderten die Demonstrant*innen die deutsche Regierung auf, keine Waffen mehr nach Israel zu liefern. Ihr Protest wurde jedoch bereits im Vorfeld stark eingeschränkt und nach knapp einer Stunde von der Polizei aufgelöst – weil Arabisch gesprochen wurde.

Anfang der Woche kündigte die Berliner Polizei heftige Auflagen für die Veranstaltung am Wittenbergplatz und zwei weitere pro-palästinensische Proteste an: Redebeiträge sowie Parolen dürften nur auf Deutsch und Englisch gesprochen werden. Pro 100 Teilnehmer*innen erlaubte sie nur eine Trommel. Der Pressesprecher der Berliner Polizei Florian Nath sagte zudem der »Berliner Morgenpost«, dass die Polizei im Vorfeld Teilnahmeverbote im mittleren einstelligen Bereich ausgesprochen habe, die »bis auf Weiteres für jede Versammlung mit Bezug zum Nahost-Konflikt aus dieser Richtung« gelten sollen. Des Weiteren musste die Veranstaltung, die als Demonstration angemeldet wurde, als stationäre Kundgebung auf dem Wittenbergplatz bleiben.

Rund 40 Teilnehmer*innen ließen sich nach Auflösung der Veranstaltung am Samstag auf dem Platz direkt vor dem Luxuskaufhaus KaDeWe nieder – das zeigen ein Video vom Fernsehsender RBB sowie ein Video auf Instagram. Darin ist zu sehen, wie Polizeibeamte die sitzenden Menschen abführen. In dem Video sind auch zwei Situationen zu sehen, in denen Polizeibeamte zwei Frauen so kräftig stoßen, dass sie auf den Boden fallen. Die Frauen leisten unmittelbar vor dem Stoß keinen Widerstand.

Auch die Durchsage der Polizei anlässlich der Räumung ist auf den Videos zu hören. Eine Sprecherin sagt, dass die Polizei wegen Verstößen gegen die Auflagen die Veranstaltung auflöst. »Es wurden Redebeiträge, Sprechchöre und Musikdarbietungen auf arabischer Sprache gehalten«, sagt die Polizeisprecherin. Diese Handlungen stünden mit dem »Friedlichkeitsgebot des Versammlungsfreiheitsgesetztes« in Widerspruch, sagt sie. Daher sei die öffentliche Sicherheit gefährdet.

Auf die Frage hin, ob Ukrainisch auf pro-ukrainischen Demonstrationen oder Hebräisch auf pro-israelischen demnächst von der Polizei verboten werden, kann eine Sprecherin der Polizei auf »nd«-Anfrage keine Auskunft geben. Sie sagt, dass jede Beschränkung einer Veranstaltung eine »individuelle Prüfung« erfordere und sie deshalb nicht sagen könne, ob das Verbot der arabischen Sprache für künftige pro-palästinensche Demonstrationen gelte. »Die Notwendigkeit der Beschränkungen kann bis auf Weiteres Anwendung finden«, sagt sie. Die Beschränkung vom Samstag, die die arabische oder auch hebräische Sprache ausschließt, sei von der Polizei als das »mildeste Mittel« angesehen wurden, um die Versammlungsfreiheit zu schützen.

Eigentlich haben die Polizeibeamten auf Demonstrationen Übersetzer*innen vor Ort, um strafrechtlich relevante Aussagen zu prüfen. Warum spricht die Polizei also jetzt ein Sprachverbot aus?

Eine Antwort könnte ein Tweet der Berliner Polizei auf der Plattform »X« liefern. Demnach soll es bei einer Versammlung im Bezirk Mitte am 1. Februar zu »möglicherweise strafbaren Ausrufen für in Deutschland verbotene Terrororganisationen« gekommen sein, die der Staatsschutz derzeit prüfe, wie die Behörde mitteilt. Außerdem teilt die Polizeisprecherin »nd« mit, dass die Nutzung von Trommeln »insbesondere bei Ausrufen von Parolen mit strafbaren Inhalten« oder während polizeilicher Lautsprecherdurchsagen »in der Vergangenheit vermehrt gezielt zur Erzeugung einer Lärmkulisse verwendet« wurde, bei der viele Äußerungen nicht mehr verständlich gewesen waren.

Grundsätzlich verboten sind das Verbrennen von Fahnen oder Aufrufe zur oder die Verherrlichung von Gewalt, Antisemitismus und die Propaganda für Organisationen wie die Hamas oder Samidoun sowie das Verwenden von Kennzeichen dieser Organisationen. Die umstrittene Parole »From the river to the sea, Palestine will be free« hatte das Bundesinnenministerium 2023 als Kennzeichen der Hamas eingestuft und damit verboten – derzeit prüft der Bundesgerichtshof noch die Strafbarkeit. Die Polizei verweist in ihrer Antwort darauf, dass bei Demonstrationen, »insbesondere im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt«, seit dem 7. Oktober 2023 über 9000 Strafermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Dies sei »absolut atypisch« für Versammlungen.

»Man kann beim Verwaltungsgericht prüfen lassen, ob ein Verbot der arabischen Sprache gegen Grundrechte verstößt – aber so eine Prüfung kann sich Monate oder Jahre lang ziehen.«

Alexander Gorski Strafverteidiger

Und wie steht es um die Grundrechte? Artikel 3 des Grundgesetzes besagt, dass niemand wegen seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft oder seiner politischen Anschauungen benachteiligt werden darf. Der Strafverteidiger Alexander Gorski unterstützt Menschen, die wegen Straftaten mit pro-palästinensischem Bezug in Deutschland vor Gericht stehen. Im Gespräch mit »nd« sagt er, man könne beim Verwaltungsgericht prüfen lassen, ob ein Verbot der arabischen Sprache gegen Grundrechte verstoße – »aber so eine Prüfung kann sich Monate oder Jahre lang ziehen«, erklärt Gorski.

Die Nahost-Expertin Kristin Helberg sprach im Interview mit der »Berliner Zeitung« jüngst über den Umgang der Polizei mit der palästinasolidarischen Bewegung. Die Meinungsfreiheit werde ihrer Meinung nach »wie selten zuvor eingeschränkt, weil bestimmte Parolen oder Begriffe von der Politik als Hamas-Kennzeichen oder antisemitische Äußerung deklariert werden, obwohl ihre Verwendung im jeweiligen Kontext betrachtet werden muss und sie nicht als pauschal antisemitisch zu bewerten sind«, sagt Helberg. Von Seiten der pro-palästinensischen Bewegung laute der Vorwurf insbesondere gegenüber der Berliner Polizei, »dass sie den Handlungsspielraum, den sie eigentlich hätte, nicht ausreichend nutzt, um zu deeskalieren, sondern sehr schnell interveniert und dabei massiv und gewaltbereit auftritt«, so die Journalistin.

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