Wieland Förster: Formung und Erfindung

Dem bildenden Künstler Wieland Förster zum 95.

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.
Kopf an Kopf: »Bernhard Minetti« in Bronze neben dem Künstler Wieland Förster
Kopf an Kopf: »Bernhard Minetti« in Bronze neben dem Künstler Wieland Förster

Biografisches, das nur ihm Verfügbare, hat er in die bildhauerische Metapher übertragen, die das Persönliche ins Allgemeingültige, das Empfinden und Erleben eines Einzelnen in die existenzielle Erfahrung vieler hebt. Leid und Liebe, der Widerspruch von Leben und Tod, von Aggression und Erleiden fanden in seinem Werk ihre Form. Seine Mahnmale widmete der Bildhauer Wieland Förster, der auch als Grafiker und Schriftsteller ein prägendes Werk vorgelegt hat, den unzähligen namenlosen Opfern in der ganzen Welt. »Formung und Erfindung werden auf den biographischen Bericht reduziert«, so führte Förster, der selbst in seinen frühen Jahren schlimmste gesundheitliche und psychische Schäden erlitten hat, 1995 in Dresden bei der Einweihung seiner Skulptur »Namenlos – Ohne Gesicht, den zu Unrecht Verfolgten nach 1945«, aus, was spätestens seit der »Passion« – sie stellt einen aufgepfählten männlichen Körper in erbarmungslos lädierter Nacktheit dar – »längst ins weltweit Menschliche gewachsen war«.

An die Opfer des Nationalsozialismus, »deren Leiden ohne Vergleich ist«, denkt er mit besonderer Achtung, denn er hat als Kind und Jugendlicher erlebt, was faschistische Diktatur ist. Dass diesen Opfern gewidmete »Große Martyrium«, das, in den 70er Jahren entstanden, wegen des Fehlens jedes politisch-sieghaften Pathos nicht in die Konzeption der damals Kulturverantwortlichen passte, erhielt erst 1994 seinen Platz an der Konzerthalle in Frankfurt/Oder: Vier kopfunter hängende Körper verschmelzen zu einem Leib, zu einem Klumpen Fleisch.

Der voll Schmerz in sich versunkene »Große trauernde Mann. Den Opfern des 13. Februar 1945 in Dresden gewidmet« – Förster hat dieses Inferno, als das barocke Dresden in Schutt und Asche fiel, selbst miterlebt – ist seit 1984 auf dem Georg Treu-Platz (an der Brühlschen Terrasse) aufgestellt, der zu einem Ort der Trauer, der Besinnung und Ehrung der Toten geworden ist. Nackt, mit angezogenen Beinen, hockt der Mann blockhaft zusammengekrümmt auf einem schmalen Sockel, die Hände vor das Gesicht geschlagen, als könnte er den Anblick dessen nicht ertragen, was da geschehen ist.

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Aus der Faszination für die Subjektivität des Menschen ist die Leidenschaft Försters zum Porträt zu erklären. »Die Menschen müssen mich berührt haben, in welcher Form auch immer, sie müssen eine Rolle in mir gespielt haben.« So hat er eine große Zahl Porträtplastiken geschaffen, von Dichtern, Komponisten, bildenden Künstlern, Dirigenten, Theaterschaffenden und Wissenschaftlern. Jeder der Porträtierten hat ein Geheimnis, sein Geheimnis. »Ohne Geheimnis, das sich in der Arbeit erst langsam enthüllt, keine Kunst«, sagt Förster.

Die zeichenhaft aufsteigende, überlängte »Nike« von 1998 ist wohl durchs Feuer gegangen, das Flügelpaar verkürzt, verbrannt, der Körper mit Narben bedeckt, und doch hat die symbolische Gestalt eine neue Freiheit gewonnen, einen atmenden Rhythmus und eine tänzerische Beschwingtheit, die aus der »Altersfreiheit« des Künstlers erwachsen ist. »Nike ’89, Sieg mit gebrochenen Flügeln« steht vor dem Landtag in Dresden, während die sich auf einer Granitsäule erhebende »Nike ’89«, zum zehnten Jahrestag des Falls der Mauer an der Glienicker Brücke eingeweiht wurde. Jener Hoffnung auf Überleben, auf Überdauern steht als letzte große bildhauerische Arbeit Försters der durch die Überdrehung des Leibes an den Füßen wie aufgehängte, gehäutete »Marsyas – Jahrhundertbilanz« gegenüber. Und diese Polarität hat den Bildhauer weiter ins neue Säkulum begleitet als noch immer offene Frage nach der Würde und Selbstbestimmung des Menschen.

In ungeheuerlicher Konzentration auf eine Sache, auf einen Gedanken, auf einen Sinn – irgendwie zu überleben, zwar hilflos ausgeliefert zu sein und dennoch zu bestehen, das ist das innere Thema von Försters stark autobiografisch geprägtem Roman »Tamaschito«, jener großangelegten Synthese von politischer Zeitdiagnose und sinnlich dichterischer Wirklichkeitsdarstellung. Weiterleben – aber unter welchen Bedingungen – oder Tod. Im letzten Durchgang ist der Mensch auf sich allein gestellt. Jede Geschichte muss offenbleiben, darf kein Ende haben, kein Geschehen ist abgeschlossen, es wirkt weiter. Die unaufhebbare Zwangssituation steigert sich zur existenziellen Kraftprobe des Einzelnen, der so erst die Klarheit über sich selbst gewinnt. Der Erzähler erzählt, um das zu verstehen, zu begreifen, abzuarbeiten, was ihn da jahrzehntelang belastet hat.

Wieland Förster zählt zu den bedeutendsten figürlichen Bildhauern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, was sich allerdings immer noch nicht in den Museumspräsentationen des ganzen Landes widerspiegelt. In einer bewundernswerten Lebensleistung hat er sich künstlerisch – aber stets auch über sich und die Welt reflektierend – verwirklicht. Gerade ist ein Fernsehteam dabei, mit ihm sein Lebenswerk aufzuarbeiten. Und wenn wir mit ihm übereinstimmen, dass Kunst höchste Form der Mahnung wie auch der Hoffnung ist, dann dürfen wir es wohl getrost mit der auch von ihm so geschätzten Schriftstellerin Ilse Aichinger halten: »Und das Leuchten der größeren Hoffnung überflutet die Angst der Welt.«

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