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Der Keil in der Dresdner Erinnerung

Ein Kriegsschicksal wie kein anderes? Wie die sächsische Stadt an die Luftangriffe vom 13. Februar 1945 erinnert

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Menschenkette richtete sich ursprünglich gegen die rechte Vereinnahmung des 13. Februar in Dresden, steht aber mittlerweile selbst in der Kritik.
Die Menschenkette richtete sich ursprünglich gegen die rechte Vereinnahmung des 13. Februar in Dresden, steht aber mittlerweile selbst in der Kritik.

Als der Architekt Daniel Libeskind im Jahr 2002 seinen Entwurf für die Umgestaltung des Militärhistorischen Museums in Dresden vorlegte, wagte er einen radikalen Schritt. Der US-amerikanische Architekt wuchtete einen mit Paneelen aus Aluminium verkleideten Keil in das 1876 errichtete Arsenalgebäude, der den Bau um zwei Etagen überragt. In der Stadt mit ihrem ausgeprägten Faible für historische Gemäuer sorgte das teils für Entsetzen. Manche Besucher, erinnert sich Gerhard Bauer, hätten gesagt: »Jetzt zerstören die Amerikaner Dresden zum zweiten Mal.«

Bauer, wissenschaftlicher Leiter des Museums, steht in einem Raum in der Spitze des Keils. Draußen geht der Blick auf die ins Elbtal gebettete Stadt, drinnen wird an deren »erste« Zerstörung durch Amerikaner und Briten erinnert: Luftangriffe, bei denen zwischen dem 13. und 15. Februar große Teile der Innenstadt dem Erdboden gleichgemacht wurden und die, wie eine Historikerkommission 2010 feststellte, 25 000 Menschen das Leben kosteten.

Libeskind hat das schreckliche Ereignis in der Architektur aufgegriffen. Der Keil weist auf jene Stelle, wo die ersten Leuchtmarkierungen für die Bomberflotte gesetzt wurden. Seine im Winkel von 40,1 Grad zueinander stehenden Schenkel greifen den »Trichter der Zerstörung« auf. Form und Richtung des Keils, so der Ausstellungsführer, beschrieben den »bis heute prägenden Bezugspunkt kriegerischer Gewalterfahrung« von Dresden.

Wie prägend der 13. Februar auch Jahrzehnte später für die Stadt ist, lässt sich jeweils an den Jahrestagen besichtigen. Es gibt Gedenkveranstaltungen unterschiedlichster Art, Kranzniederlegungen, Konzerte. Das Erinnern an die Kriegszerstörung sei in Dresden so ausgeprägt wie in keiner anderen Stadt, sagt Christine Bücher, Museumsführerin im Militärmuseum. Sie stammt aus Jülich, einer Stadt ganz im Westen der Republik, die im November 1944 bei einem verheerenden Luftangriff zu 97 Prozent zerstört wurde. Ein größeres, offizielles Gedenken? »Gibt es nicht«, sagt sie.

Dresden ist nicht die Stadt mit den meisten Toten bei einem Bombenangriff; die gab es in Hamburg. Es ist nicht die Stadt mit den meisten Opfern in Relation zur Bevölkerungszahl (Pforzheim), die prozentual am stärksten zerstörte Stadt (Würzburg), jene mit der größten Bombenlast (Berlin). Es ist aber die Stadt, deren Schicksal wie das keiner anderen zum Inbegriff für Zerstörungen durch einen entfesselten Bombenkrieg wurde. Die Grundlage dafür, sagt Bücher, habe bereits die NS-Propaganda gelegt, die Dresden zur »unschuldigen« Stadt stilisierte und die Opferzahl grotesk übersteigerte. Die DDR griff im Kalten Krieg die Formel vom »angloamerikanischen Terrorangriff« auf: »Auch da konnte die Zahl der Toten nicht hoch genug sein.« Bücher wird bei Führungen bis heute mit Zweifeln konfrontiert, ob es wirklich »nur« 25 000 Opfer gegeben habe: »Als ob diese Zahl nicht schrecklich genug wäre.« Bauer beobachtet, dass nicht wenige Dresdner dem »Alleinstellungsmerkmal« einer einzigartigen Zerstörung anhängen. »Sie sind gekränkt, wenn man am Mythos kratzt«, sagt er. »Dabei können wir Historiker gar nicht anders.«

Die Ausstellung zeigt drei Objekte, die im Raum in der Spitze des Keils auf Holzpaletten liegen: Dresdner Gehwegplatten, die von Brandbomben durchschlagen wurden; Gehwegplatten aus der polnischen Stadt Wielún, die am 1. September 1939, dem ersten Tag des Zweiten Weltkrieges, von der deutschen Luftwaffe angegriffen wurde; schließlich eine zerbrochene Skulptur aus Sandstein. Sie stammt vom Waisenhaus in Rotterdam, das im Mai 1940 von den Deutschen bombardiert wurde. Ein Foto zeigt, was nach der Beseitigung der Trümmer von der Stadt übrig blieb: eine kahle Fläche, aus der nur die Ruine einer Kirche aufragt. Wenn sie Gruppen hierherführt, »ist die Reihenfolge wichtig«, sagt Bücher. »Erst wurde Wielún zerstört, dann Rotterdam und erst dann Dresden.«

Das Arrangement der 2011 eröffneten Ausstellung soll den 13. Februar in einen größeren historischen Zusammenhang stellen. Gezeigt wird, dass Dresden keineswegs ein einzigartiges Schicksal erlitt – und dass die Angriffe auf die Stadt Ergebnis eines von Deutschland ausgegangenen Vernichtungsfeldzugs waren. Schon 2009 hatte Helma Orosz, damals CDU-Oberbürgermeisterin der Stadt, die Formulierung gebraucht, wonach 1945 ein Krieg »in unsere Stadt zurückkehrte«, den zuvor Deutsche in die Welt getragen hätten. Sie reagierte damit auf anhaltende Bestrebungen von Neonazis, das Datum zu vereinnahmen – die wiederum erleichtert wurden dadurch, dass es in Dresden nur ein »stilles Gedenken« an die Opfer der Luftangriffe gab, ohne dass über deren Vorgeschichte gesprochen wurde. Die rechtsextreme Szene nutze das. Mit »Trauermärschen« für die deutschen Toten, zu denen bis zu 8000 Szenemitglieder aus ganz Europa anreisten, suchten sie die Kriegsschuld Deutschlands zu relativieren. In dem zynischen Begriff »Bomben-Holocaust« setzten sie die Luftangriffe auf Dresden sogar mit der Vernichtung der europäischen Juden gleich.

Die Vereinnahmung des Gedenkens stieß in jenen Jahren auf vielfältigen Widerstand. Das Bündnis »Dresden nazifrei« organisierte Proteste und Blockaden. Die Stadt ersann eine Menschenkette, mit der die Innenstadt symbolisch vor den Rechten geschützt wurde. Ein »Mahngang Täterspuren« lenkte den Blick auf die Rolle Dresdens im NS-System. Hier fand eine der ersten Bücherverbrennungen statt, eine der ersten Ausstellungen über »Entartete Kunst«, hier lief die Rüstungsproduktion auf Hochtouren, auch dank vieler Zwangsarbeiter. Die Stadt sei nicht unschuldig, sondern ein »Knotenpunkt im Nationalsozialismus und im Vernichtungskrieg« gewesen, sagt Kathrin Krahl, Bildungsreferentin bei der Stiftung Weiterdenken.

Krahl hat 2014 eine Ausstellung mitorganisiert, die ebenfalls den Blick weiten sollte. Sie hieß »Neunzehn Namen aus Neunzehntausend« und stellte exemplarische Biografien von Menschen vor, die bei den Luftangriffen auf Dresden ihr Leben verloren. 19 000 der durch die Historikerkommission festgestellten 25 000 Opfer waren namentlich bekannt. Zeitweise wurden deren Namen am Jahrestag der Zerstörung öffentlich verlesen, ohne jede Differenzierung. Man habe suggeriert, dass »am 13. Februar alle Toten gleich waren«, sagt Krahl. »Aber das stimmt ja nicht.« Die Ausstellung von »Weiterdenken« stellt etwa einen Professor vor, der die Gleichschaltung der Dresdner Universität vorantrieb, und einen Pfarrer, der sich im Widerstand engagierte, tschechische Kommunisten, die in Dresden auf ihre Hinrichtung warteten, und einen holländischen SS-Mann. Unter den Toten, sagt Krahl, waren »Menschen, die schon zuvor Repressionen erlitten hatten, und andere, die damals Fasching feierten und von denen trotz des faktisch verlorenen Krieges keiner die weiße Fahne gehisst hat«.

Elf Jahre später ist die Ausstellung in den Räumen der Stiftung erneut zu sehen, und wer die Debatten um den 13. Februar in Dresden verfolgt, hat nicht den Eindruck, dass ihr Anliegen überholt ist. Zum mittlerweile 80. Jahrestag gibt es erneut viele Veranstaltungen, die an die Opfer des 13. Februar erinnern. Krahl hat dabei den Eindruck, dass Forderungen wieder lauter werden, der deutschen Opfer zu gedenken, und spricht von einem »restaurativen Diskurs«. So drängte die AfD im sächsischen Landtag dieser Tage auf ein »angemessenes« Gedenken an das »furchtbare Leid und die sinnlose Zerstörung unserer Landeshauptstadt« und fordert das Land auf, Geld für ein »zentrales Denkmal an prominenter Stelle« bereitzustellen, das es bisher nicht gebe.

Zu beobachten sind in der Stadt zwei gegenläufige Entwicklungen. Einerseits gibt es weiter das Bemühen, die geschichtsrevisionistische Vereinnahmung des 13. Februar zu erschweren. So wird ein zentraler Gedenkort verändert: ein 1965 eingeweihtes Rondell auf dem Heidefriedhof, wo auf 14 Stelen die Namen von Vernichtungslagern wie Auschwitz und Orten deutscher Kriegsverbrechen wie Oradour neben dem Namen Dresden stehen. So werde die Stadt »mit Stätten nationalsozialistischer Kriegsverbrechen gleichgesetzt« und ihre Rolle innerhalb des NS-Terrorregimes »ignoriert und verharmlost«, erklärt die Stadt. Eine ergänzende Tafel soll das ändern.

Zugleich werden Forderungen wieder lauter, der deutschen Opfer zu gedenken. Es gibt am Samstag erneut einen »Trauermarsch« und zuvor eine mehrtägige »Mahnwache« von Nazis – und es gibt eine Menschenkette, die in der Kritik steht, weil sich dort immer wieder auch Rechtsextreme einreihen und es keinen zeitlichen Zusammenhang zum Nazi-Aufmarsch mehr gebe. Im offiziellen Aufruf heißt es zwar, man gedenke neben der Zerstörung Dresdens auch »des unermesslichen Leides, das die nationalsozialistische Gewaltherrschaft über die Menschheit gebracht« habe. Allerdings sei »der 13. Februar der ungünstigste Tag, um der NS-Opfer zu gedenken«, sagt Krahl. »Man kann etwas Richtiges nicht am falschen Tag tun«.

Auch Anne Herpertz lehnt die Menschenkette ab. Diese sei ein »Gedenkritus, der nichts Antifaschistisches hat und den Dresdner Opfermythos verfestigt«, sagt die Sprecherin von »Dresden wi(e)dersetzen«. Das Bündnis mobilisiert zu Widerstand gegen die rechten Gedenkveranstaltungen und den Nazi-Aufmarsch. Was das städtische Erinnern anbelangt, hat die 27-jährige Stadträtin eine radikale Forderung, die freilich ebenfalls schon vor zehn Jahren im Titel eines Buches artikuliert wurde: »Gedenken abschaffen!« Sie wolle kein privates Trauern um gestorbene Angehörige unterbinden, betont Herpertz. Es gehe ihr vielmehr um die »strukturelle Frage, ob wir deutscher Opfer gedenken müssen«. Wo der Fokus in Dresden liege, zeige die noch immer sehr unterschiedliche Gewichtung von Gedenktagen. Im Vergleich zum 13. Februar seien der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar und das Erinnern an die Reichspogromnacht am 9. November »nachrangig«, sagt Herpertz: »Im öffentlichen Gedenken beginnt und endet die NS-Zeit mit der Bombardierung Dresdens.«

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