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Feuerpause im Gazastreifen bleibt brüchig
Netanjahu droht mit Fortsetzung des Krieges, Israels Rechte jubiliert
Es muss eine unmögliche Situation für den jordanischen König Abdullah II. gewesen sein. Sein Land ist wirtschaftlich schwer angeschlagen, muss bis zu 1,3 Millionen syrische Flüchtlinge versorgen, mit stark nachlassender Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft: Immer weniger Geld muss von den Vereinten Nationen auf immer mehr hilfebedürftige Menschen in den Krisengebieten der Welt verteilt werden.
Doch US-Präsident Donald Trump scheint das nicht zu interessieren. Am Dienstag saß der König im Weißen Haus neben dem Präsidenten, während dieser der Presse erzählte, dass die USA den Gazastreifen nicht kaufen, sondern »nehmen« werden und dass es in Jordanien oder anderswo »ein schönes Stück Land« für die 2,1 Millionen Menschen im Gazastreifen gebe.
Israels Rechte versucht, Waffenruhe zu torpedieren
Israels Rechte jubiliert. 2005 hatte die Regierung von Ariel Scharon alle israelischen Siedlungen im Gazastreifen räumen lassen, gegen den enormen Widerstand der Siedlerbewegung, die bis heute von einem Wiederaufbau der Ortschaften träumt. Und die derzeit alles tut, um die Waffenruhe im Gazastreifen zu torpedieren. Das rechtsextreme Parteienbündnis Religiöser Zionismus droht, Regierungschef Benjamin Netanjahu die Unterstützung zu entziehen, falls der den Krieg beenden sollte.
Tatsächlich steht die Waffenruhe derzeit auf der Kippe. Die Hamas hat einen für Samstag geplanten weiteren Gefangenenaustausch abgesagt; beide Seiten werfen sich gegenseitig den Bruch der Feuerpause vor. 92 Menschen seien seit Beginn der Waffenruhe durch israelisches Feuer getötet worden, heißt es auf palästinensischer Seite. Israels Militär hingegen wirft der Hamas Provokationen und wiederholte Versuche vor, mit Drohnen Waffen in den Landstrich zu schmuggeln. Zuletzt drohte Netanjahu mit einer Wiederaufnahme des Krieges, falls der nächste Austausch nicht wie geplant am Samstag stattfindet. Gleichzeitig betont er seine Unterstützung für Trumps Plan.
Vorwürfe der Hamas
Die Hamas wirft Israels Regierung aber auch vor, die Einfuhr bestimmter Güter zu blockieren; außerdem bleibe die Zahl der Einfuhren hinter den Vereinbarungen zurück. Nach Angaben der Uno wurden jedoch in den ersten beiden Wochen nach Beginn der Waffenruhe am 19. Januar 10 000 Lastwagenladungen an Hilfsgütern eingeführt. Eine Ladung umfasst jeweils 20 Tonnen. Damit lagen die Lieferungen über den vereinbarten 500 Ladungen pro Tag.
Aber auch hier stößt die Uno an finanzielle Grenzen. Trumps Vorgehen gegen die US-Entwicklungshilfeagentur USAID hat auch Auswirkungen auf die Arbeit der Uno im Gazastreifen. Und wie der Präsident die Entwicklung Gazas zu einer »Riviera des Nahen Ostens« finanzieren will, ist völlig offen.
Das rechtsextreme Parteienbündnis Religiöser Zionismus droht, Regierungschef Benjamin Netanjahu die Unterstützung zu entziehen, falls der den Krieg beenden sollte.
Mindestens 53 Milliarden US-Dollar würden für den Wiederaufbau Gazas benötigt, so Uno-Generalsekretär António Gutteres in einem Bericht an die UN-Vollversammlung. Davon müssten allein 20 Milliarden in den ersten drei Jahren fließen. Seit Oktober 2023 seien 60 Prozent der Wohnungen zerstört worden. Hinzu kommen Gebäude, die in vorangegangenen Kämpfen beschädigt und nie repariert wurden, sowie die komplett marode Infrastruktur. So verunreinigen Abwasser und Meerwasser schon seit Jahren das Trinkwasser. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation waren vor Kriegsbeginn höchstens noch vier Prozent trinkbar.
Trotz der Absurdität des Trump-Plans hat dieser vor allem bei den Vereinten Nationen einen Nerv getroffen: Nach Monaten der Debatten über Kriegsverbrechen und die Frage, ob das Völkermord ist oder nicht, ist es merkwürdig ruhig um die Frage des Wiederaufbaus geworden. Weder aus den Staaten der Europäischen Union noch des Nahen Ostens sind bislang Vorschläge oder Pläne für die Bewältigung dieser Mammutaufgabe bekannt geworden. Auf Trumps Druck hin hat lediglich die ägyptische Regierung angekündigt, in einigen Tagen einen Plan vorzulegen. Sicher ist derzeit nur, dass kein arabischer Staat einen substanziellen Teil der Gaza-Bevölkerung aufnehmen will.
Politische Zukunft des Gazastreifens ungewiss
Ebenso offen ist, wie der Gazastreifen künftig regiert werden soll. Hamas und die offizielle palästinensische Regierung von Präsident Mahmud Abbas hatten sich Anfang Dezember auf die Bildung eines Gremiums aus unabhängigen Experten für die Regierung Gazas geeinigt. Doch seitdem war davon nichts mehr zu hören. Da die Hamas notorisch intransparent agiert, ist derzeit auch unklar, was aus der Hamas-Regierung geworden ist. Sowohl Ismail Hanijeh, Chef des Hamas-Politbüros, als auch der Gaza-Chef Jahja Sinwar sind tot. Es ist nahezu unmöglich, die derzeitigen Kommandostrukturen zu entschlüsseln.
In Israel indes ist die öffentliche Meinung derzeit eindeutig: Man möchte, dass die Regierung alle Geiseln so bald wie möglich nach Hause bringt, der Krieg endet. Gleichzeitig ist die Unterstützung für Trumps Vorschlag laut Umfragen groß. Das sollte indes nicht überbewertet werden. Traditionell flachen solche »Euphorie-Spitzen« in Israel sehr schnell wieder ab.
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