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Renate Merck: Der letzte Cut
Die Filmfrau Renate Merck ist gestorben. Ein Nachruf
»Die beiden waren vom Packen so k. o., die haben mich beim Umzug 1986 gebeten, dass ich sie in den Odenwald fahre«, erinnert sich die Trickfilmerin und Autorin Elke Löwe beim Zusammensein nach der Urnenbeisetzung im Familiengrab. Renate Merck ist im Tod zurückgekehrt nach Hamburg-Nienstedten. 37 Jahre hat sie mitten im südhessischen Brombachtal gewohnt, in dem kleinen Dorf Birkert. Die längste Zeit davon zusammen mit ihrem Mann Helmut Herbst und vielen Katzen.
Am 4. Juli 1951 wurde sie geboren. Seit der Pubertät wurde Renate Merck von ihrer Mutter alleine erzogen, in einem schönen Haus mit Garten mitten in Nienstedten. Die Elbe ist nah, Blankenese ist der Nachbarstadtteil, hier lässt es sich leben. Germanistik und Ethnologie studierte Renate Merck an der Universität Hamburg, wollte Lehrerin werden. Neben dem Studium jobbte sie im Grindelviertel in einem Café, das Studierende in Selbstverwaltung als Kollektiv betrieben.
Über Germanistikseminare entstanden Kontakte in die Hamburger und Berliner Filmszene. Die war nicht kommerziell; viele lebten prekär von Film zu Film, mit anderen Jobs nebenher. Wenig war formal geregelt, und so begann Renate Merck als Schnittassistentin zu arbeiten, lernte die Grundlagen, das Verständnis für die Filmmontage von Helmut Herbst. Sie kamen 1979 über die gemeinsame Arbeit am Schneidetisch zusammen. Klar ist, selbst beim Essen wurde viel über Film geredet. Da saßen schon mal die französischen Regisseur*innen Jean-Marie Straub und Danièle Huillet am Küchentisch beim Teetrinken, wenn ich unangekündigt in der Wohnung über der Cinegrafik vorbeikam, im ehemaligen Fabrikgebäude in einem abgerockten Hinterhof in Hamburg-Barmbek.
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Die Filmszene war tatsächlich eine, in der es viele Freundschaften und wenige Feindschaften untereinander gab. Als es zu einem ethnologischen Filmprojekt zusammen mit Manfred Schäfer und Ingrid Kummels in das Amazonasgebiet Perus zu den Asháninca ging, war es hilfreich, dass alle vier ähnliche Vorstellungen vom Leben und Arbeiten hatten: voll reinhängen in die Forschung, in den Film, aber selbstbestimmt, kritisch gegenüber Ausbeutung und Herrschaft.
Im Haus von Renate Merck und Helmut Herbst mitten in Birkert gab es immer eine Kiste Apfelwein, falls mal Besuch kommt. Rotwein auch, dazu guten Käse, und es wurde gerne und aufwendig gekocht und gespeist. Das Haus war der Rückzugsort, der aber gleichzeitig bis oben hin angefüllt war mit Trickfilmtechnik – und mehreren Schneidetischen für den analogen Filmschnitt, so wie ihn Renate Merck über Jahrzehnte perfektioniert hat.
Bei Elfi Mikesch hat sie 1979 während des Schnitts von »Was soll’n wir denn machen ohne den Tod« auf einem Hochbett in der Wohnung der Regisseurin direkt über dem Schneidetisch gewohnt. Die weißen feinen Handschuhe angezogen, am Galgen die dort hängenden Filmstreifen sortiert, die Bobbys mit den aufgespulten Filmsequenzen, Szenen, Tonspuren auf die Drehscheiben gelegt, die Schnitt- und Klebeapparate parat. Ton und Bild mussten, getrennt geschnitten, genau parallel ablaufen, wenn der Schnitt fertig war.
Dann schnitt sie gemeinsam mit Helmut Herbst dessen Dokumentationen »Happening – Kunst und Protest« und »Zwischen den Bildern« sowie 1981 den in Nordhessen gedrehten Spielfilm über das Leben von Georg Büchner: »Eine deutsche Revolution«. Sie hat viele Filme geschnitten, die ein eher cineastisches Publikum fanden, die aber Wegmarken für das andere Kino seit den 80er Jahren sind: »40 qm Deutschland« von Tevfik Başer, »Drachenfutter« und »Abschied. Brechts letzter Sommer« von Jan Schütte, »Die Jungfrauenmaschine« und »Verführung: Die grausame Frau« von Monika Treut, »Scherbentanz« von Chris Kraus, »Der zynische Körper« von Heinz Emigholz.
Wenn es um den Spannungsbogen ging, um inhaltliche Nebenstränge, die zu viel und verwirrend waren und rausmussten aus dem Film, war dies ähnlich wie bei einem Buch; wenn die Bildersprache herausgearbeitet werden konnte, der Rhythmus stimmiger und der Erzählfluss klarer. Die Montage von Filmen, der Schnitt, ist ein unverzichtbares Stadium im Entstehungsprozess. Aber für die Zuschauenden nahezu unsichtbar.
Den Umstieg von analogem zu digitalem Film und Schnitt hat sie mit durchlebt, einen Avid-Schnittcomputer gab es auch im Haus in Birkert. Jahrelang wechselten sich die Arbeitsphasen in Hamburg und Berlin beim Schnitt am Ort der Filmproduktion ab mit Phasen der Ruhe, des privaten Lebens und der Gartenarbeit in Birkert. Wobei – so richtig privat ging es dort selten zu. Die Katzen waren es gewohnt, dass immer wieder Besuch kam, ab und an auch andere Filmschaffende im Gästezimmer wohnten und im Haus Filme geschnitten, gedanklich zerlegt und wieder neu montiert wurden.
Viele Studierende der Hochschule für Gestaltung in Offenbach waren häufig zu Gast. Helmut Herbst hatte dort bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 eine Professur für Film inne. Auch Renate Merck stand den Studierenden gerne mit kunsthandwerklichem Rat und Tat zur Seite. Und half, Filme fertigzustellen, die als Projekt schon vor dem Scheitern standen.
Als Dozentin hat sie an der Filmakademie Ludwigsburg jahrelang im Studiengang Montage/Schnitt unterrichtet und ihr Wissen weitergegeben. Monika Preischl, Archive Researcherin in der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg, bringt es auf den Punkt: »Ich habe bei meiner Editorin Renate Merck sehr viel über Bildsprache gelernt und dabei festgestellt, wie viel Energie, Liebe und Leben in Archivmaterial stecken kann.«
So hat Renate Merck fast drei Jahre lang nach dem Tod von Helmut Herbst dafür gesorgt, dass alle Filme, alles Material, die gesamte Filmtechnik, Fachliteratur an verschiedenen Orten archiviert, inventarisiert, weitergenutzt werden. Als sie damit fertig war und in eine kleine Wohnung in Eckernförde, nahe am von ihr geliebten Meer gezogen war, kam eine schwere Krankheit durch, die sie schon lange in sich hatte. Am 24. Dezember ist sie gestorben, jetzt wurde sie beerdigt. Der letzte Cut der Renate Merck. Und der tiefste.
Moritz Herbst ist der Sohn von Helmut Herbst aus erster Ehe.
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