Behördenbriefe lösen Panik bei Geflüchteten in Deutschland aus

BAMF bewirbt »Unterstützungsprogramm« zur Rückreise nach Griechenland

Insassen eines Flüchtlingslagers in Griechenland beim Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Sommer in Malakasa, nördlich von Athen
Insassen eines Flüchtlingslagers in Griechenland beim Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Sommer in Malakasa, nördlich von Athen

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verschickt derzeit flächendeckend Briefe an Asylsuchende, die zuvor in Griechenland als Flüchtlinge anerkannt wurden. Darin werden sie aufgefordert, sich für ein angebliches Unterstützungsprogramm in Griechenland zu registrieren, dokumentierte vergangene Woche die Plattform »Frag den Staat«. Die Schreiben versprechen demnach eine Abholung an einem griechischen Flughafen, Unterkunft mit Vollverpflegung für bis zu vier Monate in dem Land, Beratung, Sprachkurse und Arbeitsmarktunterstützung.

Die Briefe werden teilweise wie Abschiebebescheide per Postzustellungsurkunde verschickt und enthalten einen QR-Code für einen Online-Fragebogen, der laut BAMF innerhalb einer Woche ausgefüllt werden soll – wobei nicht deutlich wird, dass dies freiwillig ist, berichtet die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl.

Besonders problematisch: Die Briefe gehen nicht nur an Ausreisepflichtige, sondern auch an Personen in laufenden Asylverfahren – darunter Schutzbedürftige wie alleinerziehende Mütter. Ihnen wird suggeriert, dass ihr Antrag in Deutschland »aller Voraussicht nach« abgelehnt werde. Dies versetze viele Betroffene in Panik, erklärt Pro Asyl.

Dass Menschen trotz griechischer Flüchtlingsanerkennung woanders einen weiteren Antrag stellen, liegt im dortigen Sozialsystem begründet. Anerkannte werden in Griechenland häufig ohne Zugang zu Sozialleistungen mittellos auf die Straße gesetzt. 2024 stellten 25 112 Menschen, die zuvor in Griechenland anerkannt wurden, in Deutschland einen Asylantrag. Die Praxis wird als Sekundärmigration bezeichnet.

Bislang galten Abschiebungen nach Griechenland als menschenrechtswidrig und waren auch gerichtlich untersagt. In zwei Urteilen des hessischen Verwaltungsgerichtshofs von August 2024 heißt es jedoch, dass junge, gesunde, alleinstehende Männer gegen ihren Willen dorthin überstellt werden können. Sie könnten sich durch irreguläre Jobs in der »Schattenwirtschaft« über Wasser halten, so die Begründung.

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Beide Urteile werden in Revision am 16. April 2025 verhandelt. Das BAMF hat seine Praxis aber schon jetzt radikal geändert: Während die Bundesbehörde im ersten Halbjahr 2024 nur 3,6 Prozent der Asylsuchenden mit griechischer Anerkennung ablehnte, erhielten von Juli bis Oktober 2024 plötzlich 87,1 Prozent einen Abschiebungsbescheid.

Das fragwürdige BAMF-Schreiben bewirbt ein Programm namens Helios+, das seit 6. Februar 2025 in Griechenland existiert. Anerkannte Asylsuchende konnten im bereits existierenden Vorgängerprogramm Kurse, Arbeitsmarktunterstützung und unter bestimmten Voraussetzungen Mietzuschüsse erhalten – wenn sie eigenständig eine Wohnung fanden. Jedoch kann Helios+ nur etwa 1000 Menschen pro Jahr unterstützen. Angesichts von über 40 000 Personen, die laut Pro Asyl allein 2024 in Griechenland Schutz erhielten, ist das unzureichend.

Auf Nachfragen von »Frag den Staat« bestätigten das BAMF und das Bundesinnenministerium außerdem: Es gibt zu Helios+ keine deutschen Vereinbarungen mit griechischen Behörden oder der Internationalen Organisation für Migration, die das Programm in Griechenland umsetzen soll.

Laut einem unveröffentlichten internen BAMF-Schreiben soll es aber ein bislang unbekanntes »Überbrückungsprogramm« geben, im ersten Jahr EU-finanziert, danach von Griechenland. Zielgruppe seien »Alleinstehende zwischen 19 und 49 Jahren, deren Schutzerteilung höchstens zwei Jahre zurückliegt«. In den wenigen bekannten Fällen, in denen Asylsuchende in Deutschland ein Formular zur Teilnahme an dem »Überbrückungsprogramm« ausfüllten, habe das BAMF ohne Begründung mitgeteilt, dass sie »die Voraussetzungen nicht erfüllen«.

»Alles nur ein großer Bluff?«, fragt deshalb Pro Asyl. Klar sei jedoch: Angesichts der extrem begrenzten Kapazitäten von Helios+ werde auch das vom BAMF angesprochene »Überbrückungsprogramm« nur wenig Unterstützung bieten können.

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