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»Die Verhältnismäßigkeit ist völlig aus dem Ruder gelaufen«

In einem Münchner Hochsicherheitstrakt wird gegen die gefangene Kunststudentin Hanna S. verhandelt

Hanna S. vor ihrem Kunstwerk »Verarbeitung«, einem aus Papier gestrickten Hemd.
Hanna S. vor ihrem Kunstwerk »Verarbeitung«, einem aus Papier gestrickten Hemd.

Im September hat die Bundesanwaltschaft im Budapest-Komplex Anklage gegen Hanna S. erhoben, im Dezember wurde diese vom Oberlandesgericht München zugelassen, Mittwoch startet dort der Prozess vor dem Staatsschutzsenat. Was ist der Vorwurf?

Es gibt drei Anklagepunkte: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährliche Körperverletzung und einen versuchten Mord. Bei den betreffenden Verletzungen geht es aber in allererster Linie um Platzwunden.

Wieso findet der Prozess in München statt, wo doch nach dem Tatortprinzip Ungarn das Recht hätte, Hanna S. vor Gericht zu stellen?

Für Hanna, die nun seit über neun Monaten in U-Haft sitzt, gibt es glücklicherweise keinen EU-Haftbefehl aus Ungarn.

Die Generalbundesanwaltschaft begründet ihre Anklage in Deutschland auch mit einer besonderen Bedeutung des Verfahrens. Worin soll die denn liegen?

Das Bild Deutschlands im Ausland werde durch solche Taten angeblich ruiniert. Das ist ein ganz katastrophaler Satz. Man sieht daran, wo die deutsche Justiz gerade den Hauptfeind sieht. Es fahren jedes Jahr Hunderte Neonazis – auch aus Deutschland – nach Budapest zu diesem »Tag der Ehre« und begehen dort Straftaten. Aber das scheint das Bild Deutschlands im Ausland nicht zu schädigen. Das ist völlig absurd.

Sie haben die Körperverletzungen angesprochen. In Ungarn werden die Geschädigten als unbescholtene Handwerker dargestellt …

Das ist meines Wissens grundfalsch. Alle Personen, die in irgendeiner Art und Weise geschädigt worden sein sollen, waren Teilnehmer an diesem »Tag der Ehre«, der ja nichts anderes als ein Nazitreffen ist. Darunter waren u.a. Rechtsrocker und Mitglieder einer Organisation, die zur Jagd auf hilfsbedürftige Flüchtlinge an der serbisch-ungarischen Grenze aufgerufen hat.

Interview

Der Musiker und Filmschaffende Jakob G. ist in den Solistrukturen für seine Partnerin Hanna S. aktiv. Er engagiert sich auch für weitere Betroffene im sogenannten »Budapest-Komplex«.

Würde Hanna S. in Deutschland für Taten in Ungarn schuldig gesprochen, ist dann eine weitere Anklageerhebung in Ungarn vom Tisch?

Es gibt den juristischen Grundsatz, dass man nicht zweimal für denselben Vorwurf angeklagt werden kann, dies gilt aber explizit nicht für eine kriminelle Vereinigung. Die erneute Verhaftung von Tobi, nach 22 Monaten Haft in Ungarn, lassen hier doch massive Zweifel aufkommen.

Die »linksextremistische Vereinigung«, der Hanna S. angehört haben soll, lehne laut Anklage das staatliche Gewaltmonopol ab, ihre Mitglieder glauben nach dieser Lesart nicht an den demokratischen Rechtsstaat. Sieben Beschuldigte haben sich aber kürzlich gestellt und fordern wie Hanna S. einen rechtsstaatlichen Prozess in Deutschland …

Ich finde es extrem mutig, sich in die Hände eines Staates zu begeben, der es nicht mal geschafft hat, eine Position gegen Auslieferungen nach Ungarn zu beziehen, und ich wünsche den Menschen alles erdenkliche Glück, dass das gut ausgeht. Einer von ihnen ist Zaid, der als anerkannter Flüchtling keine deutsche Staatsbürgerschaft hat und für den das gegebenenfalls nicht gilt. Wir sollten alles tun, um seine Auslieferung zu verhindern.

Der Chef des ungarischen Presseamtes poltert in sozialen Medien gegen die ebenfalls in Budapest angeklagte EU-Abgeordnete Ilaria Salis – ein klares Indiz für politische Verfolgung. Was kann man dazu über die deutsche Justiz sagen?

Die Verhältnismäßigkeit ist in dem sogenannten »Budapest-Komplex« auch in Deutschland völlig aus dem Ruder gelaufen, nicht nur mit dem Anklagepunkt »versuchter Mord«, den ich ganz klar als politisch motiviert einstufen würde. 555 Rechtsextreme werden mit offenem Haftbefehl gesucht, aber auf Linke wird eine Hexenjagd veranstaltet. Hanna hat studiert, hat einen riesigen Freundeskreis, ist sozial eingebunden, mit Beziehung und Job. Trotzdem wird eine Fluchtgefahr konstruiert, weshalb sie weiter in U-Haft bleiben muss. Am Wochenende vor ihrer Verhaftung ist der SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden von vier jungen Faschos zusammengeschlagen worden. Aber da wird keine kriminelle Vereinigung gesehen, die Angreifer sind nicht in U -Haft und das wird wahrscheinlich von einem stinknormalen Amtsgericht verhandelt werden.

Die gegen Hanna S. angesetzten Verhandlungstermine sollen in einem Hochsicherheitssaal stattfinden. Wie bewerten Sie das?

Es ist ein sprengstoffsicherer, unterirdischer Bunker in der JVA Stadelheim. Das zeichnet ein ganz dämonisches Bild von Hanna, damit wird eine unfassbare Gefahrenlage konstruiert. Da fühle ich mich auch als Unterstützer kriminalisiert. Wir haben in Nürnberg ein wahnsinnig breites Bündnis mit einer Kunstakademie, Amnesty International, Naturfreunden, Gewerkschaften und weiteren politische Organisationen auf die Straße gebracht. Dazu wird nun konstruiert, dass wir vorhätten, den Prozess zu stören.

Hanna S. wurde Anfang Mai in einem Nürnberger Stadtteil festgenommen. Wie lief das ab?

Sie wurde offenbar sehr gut ausgekundschaftet. Hanna ist morgens mit ihrem Hund zum Joggen gegangen und wurde auf der Straße festgenommen. Zehn Minuten später wurde ich dann von der »Soko Linx« und ein paar bayerischen USK-Beamten geweckt. Dann gab es über sieben Stunden Wohnungsdurchsuchung und das alles. Über Stunden wurden Teile unseres Viertels abgeriegelt.

Ihre Verlobte ist 30 Jahre alt und Kunststudentin. Was können Sie noch über sie berichten?

Hanna ist ein politischer Mensch und setzt sich für andere ein. Ihr Hauptding ist die Kunst, die ist auch hochpolitisch, da hat sie auch schon Preise gewonnen. Bekannt ist ihr Fußabtreter, der aus Frauenhaaren gewebt ist. Es gibt ein Endloswerk, mit einer Kette aus Papiergliedern gefaltet, die aus Gesetzestexten oder Aussagen von Politiker*innen gemacht ist. Jedes Glied steht aber auch für eine im Mittelmeer auf der Flucht ertrunkene Person. Und es gibt ihre Arbeit zu Todesopfern rechter Gewalt nach 1945, wo sie für jede Person eine Art Lochkarte mit Fäden daran angefertigt hat. Würde dieses monumentale Werk aufgebaut, bräuchte es einen Raum mit einer Länge von über 100 Metern.

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Kann sie im Gefängnis auch in irgendeiner Weise ihrer Kunst nachgehen?

Sehr, sehr eingeschränkt. Es ist eine Stärke von Hanna, aus wenigen Möglichkeiten und Mitteln trotzdem tolle Kunst zu schaffen. Sie nutzt die Dinge, die ihr vor Ort zur Verfügung stehen, aber ihre Werke kommen nicht aus der JVA heraus, denn es könnte angeblich eine versteckte Botschaft damit transportiert werden.

Wie geht es Ihnen und anderen Unterstützenden mit der Situation?

Wir können uns einmal im Monat sehen, aber nie zu zweit, sondern als Besuch mit zwei weiteren Menschen, plus Staatsschutz und Schließerin. Das ist alles nicht so einfach. So komisch es klingt, freue ich mich jetzt auch, dass der Prozess losgeht, weil es dann auch irgendwann vorbei sein wird. Grundsätzlich sind wir aber sehr stabil, stützen uns alle gegenseitig. Diese Solidarität rettet auch ganz vielen Leuten draußen den Arsch.

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