Ukrainische Roma im Exil wollen sich vernetzen

Vertreter berichten in Göttingen über Diskriminierung in ihrem Heimatland

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Ukrainische Roma, die in die EU geflohen sind, wollen sich vernetzen und spezifische Hilfen anbieten.
Ukrainische Roma, die in die EU geflohen sind, wollen sich vernetzen und spezifische Hilfen anbieten.

Die nach dem russischen Angriff aus der Ukraine nach Deutschland und in die Europäische Union geflüchteten Roma wollen sich besser vernetzen. In Göttingen gründeten im Exil lebende Roma-Vertreter am Dienstag den Verein »Ukrainian Roma Advocacy Alliance« (Aura). »Viele ukrainische Roma im Ausland wissen gar nicht, was es hier für Hilfsangebote gibt«, sagte Aura-Vorstandsmitglied Janush Panchenko zu »nd«. »Wir wollen über diese Angebote informieren und uns auch bei unseren Gastgeberländern für die Interessen der ukrainischen Roma einsetzen.« Geplant seien auch Projekte in den Bereichen politische Bildung, Kultur, humanitäre und rechtliche Hilfe. In Deutschland will der Verein unter anderem eng mit der Gesellschaft für bedrohte Völker zusammenarbeiten.

Panchenko ist Historiker und Ethnograf. Er war Leiter eines Jugendzentrums für Roma in Kachowka in der Region Cherson, als der Krieg große Teile seiner Heimatstadt zerstörte und die russische Armee die Stadt besetzte. Panchenko setzte sich zunächst im eigenen Land dafür ein, dass humanitäre Hilfe an die gesamte Zivilbevölkerung verteilt wurde. Aus Sicherheitsgründen musste er die Ukraine verlassen und engagiert sich seitdem aus dem Exil für Roma dort.

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In der Ukraine leben Panchenko zufolge rund 400 000 Roma, viele von ihnen in der an Ungarn grenzenden Region Transkarpatien. Mehrere zehntausend Roma sind seit Kriegsbeginn in andere europäische Länder geflüchtet, etwa 20 000 davon nach Deutschland. Große Gemeinschaften der ukrainischen Roma leben im Raum Hamburg und im Rheinland.

Bereits vor dem Krieg seien die Roma in der Ukraine eine benachteiligte Volksgruppe gewesen, berichtete Natali Tomenko. Die ebenfalls dem Aura-Vorstand angehörende Frau stammt aus Krementschuk. Sie ist Grafikdesignerin und Künstlerin, 2019 kuratierte sie eine Ausstellung über die Ermordung der Roma in der NS-Zeit.

Die Diskriminierung der ukrainischen Roma betreffe etwa den Zugang zu Bildungseinrichtungen und der Gesundheitsversorgung. Sie litten zudem unter Armut und einem fehlenden Zugang zu Arbeit und Wohnraum. »Wie in anderen Ländern ist der Antiziganismus auch bei uns weit verbreitet«, sagten Tomenko und Panchenko. Auch ein »überproportional hoher Anteil« der Binnenvertriebenen in der Ukraine seien Roma. Trotzdem kämpften viele Roma in der ukrainischen Armee gegen die russische.

Sarah Reinke, Leiterin der Menschenrechtsarbeit bei der Gesellschaft für bedrohte Völker, warnte unterdessen vor einer Abtretung besetzter ukrainischer Gebiete an Russland. Dies habe dramatische Folgen für die Minderheiten in der Ukraine, besonders für die Roma, die Krimtataren und die nordasowschen Griechen. Vertreter der US-Regierung von Präsident Donald Trump hatten zuvor erklärt, eine Rückkehr der Ukraine zu den Grenzen von 2014 nach einem Friedensabkommen sei unrealistisch.

»Was ein Leben auf einem von Russland annektierten Gebiet bedeutet, erfahren die Krimtataren seit 2014 am eigenen Leib«, sagte Reinke. Willkürliche Festnahmen, Hausdurchsuchungen, extrem lange Haftstrafen für politische Gefangene, ein Ende der Presse-, Meinungs- und Glaubensfreiheit sowie die Abhängigkeit der Justiz vom Willen der Moskauer Statthalter hätten auf der Krim zu einer Atmosphäre der Angst geführt. Dramatisch sei auch die Situation der nordasowschen Griechen. Mehr als 80 Prozent ihrer Siedlungen in der Region Donezk im Osten der Ukraine seien von Russland besetzt und viele ihrer Kulturgüter unwiederbringlich zerstört worden. Die Volksgruppe der nordasowschen Griechen hatte Ende des 18. Jahrhunderts auch die inzwischen weitgehend zerstörte Stadt Mariupol gegründet.

Janush Panchenko äußerte sich mit Blick auf die am Dienstag begonnenen Gespräche zwischen Delegationen der USA und Russlands zur Beendigung des Ukraine-Krieges zurückhaltend. »Was dabei herauskommt, hängt von Trump ab«, sagte er. »Ich hoffe, es wird ein guter Deal für die Ukraine.«

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