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Taiwan bleibt auf dem Tisch
Beim Nationalen Volkskongress wird die Wiedervereinigung ein Thema sein
Wäre China ein Land mit freier Presse, wäre im Vorfeld dieser Tage wohl viel Kritik zu lesen gewesen: über die Jugendarbeitslosigkeit von um die 20 Prozent, oder das Abebben der Wirtschaft rund um die Wachstumserwartung von nur noch rund fünf Prozent. Auch über die seit Jahren strenger werdende Kontrolle der Gesellschaft gäbe es wohl Texte, ebenso wie zu den Protesten im Land. Vielleicht würde die Presse sogar fragen: Hat Chinas Regierung den Kontakt zur Bevölkerung verloren?
Dieser Tage gäbe es jedenfalls Anlass, solche Fragen zu stellen. Denn seit Dienstag tagt der Ein-Parteien-Staat im Rahmen des mehrtägigen Nationalen Volkskongresses, wo die Kommunistische Partei die Marschroute für das kommende Jahr vorgibt. Auch diesmal wird wieder der Herrscher Xi Jinping bejubelt, die Stärkung der Wirtschaft betont und auch der Nationalismus bedient, etwa durch das Versprechen einer »Wiedervereinigung mit Taiwan«. Kritische Stimmen sind auch zu dieser Angriffsdrohung nirgends zu lesen.
Die Tatsache, dass bei diesem Thema jede abmildernde Stimme fehlt – und anders als bei ökonomischen Fragen auch niemand gegen diese Angriffsgelüste auf die Straße geht –, könnte vermuten lassen: China wird Taiwan bald angreifen. Jedenfalls lässt Xi Jinping die chinesische Volksbefreiungsarmee schon länger auf eine Invasion des Inselstaats Taiwan vorbereiten. Am Mittwoch wurde zudem eine Erhöhung des Wehretats um 7,2 Prozent verkündet. Vielerorts sieht man es als Frage der Zeit, ehe China attackiert. Auch die Sprache der Offiziellen ist über die vergangenen Jahre immer deutlicher geworden.
Ist die Zeit eines Angriffs also bald gekommen? Einige Beobachter gehen davon aus, unter anderem der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter. Ende vergangener Woche erklärte der gegenüber dem Deutschlandfunk, ein Deal zwischen den USA und Russland rund um ein Ende des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hätte praktisch direkte Auswirkungen auf Chinas Verhalten in Ostasien. »Taiwans Schicksal wäre besiegelt«, sagte Kiesewetter.
Der Hintergrund: Die von Peking aus regierte Volksrepublik China – meist nur China genannt – nennt nicht nur das chinesische Festland ihr eigen, sondern erhebt auch Anspruch auf die von der Republik China regierte Insel Taiwan. Seit dem Ende des Chinesischen Bürgerkriegs 1949 – als sich die Nationalisten um Chiang Kai-shek vom Festland auf die Insel Taiwan zurückgezogen hatten, wo sie eben ihre Republik China etablierten – hält dieser Konflikt an.
Die auf dem Festland regierende Kommunistische Partei akzeptiert keine Zweistaatenlösung. Seit Taiwan ab Ende der 1980er Jahre von einer Militärdiktatur zu einer Demokratie wurde, trifft dies umso weniger zu. Immer wieder kommen aus Peking Drohungen zur »Wiedervereinigung«, was in Taiwan nach Invasion klingt.
Falls Russland nun durch einen Deal mit US-Präsident Donald Trump besetzte Territorien der Ukraine praktisch behalten kann, könnte sich China zu einem Angriff auf Taiwan ermutigt fühlen.
Doch nicht alle Beobachter sehen diesen direkten Zusammenhang. Claus Soong etwa, Sicherheitsexperte am Thinktank Mercator Institute for China Studies (Merics), weist Kiesewetters Behauptung zurück: »Das ist wie, als wenn man Äpfel und Birnen vergleicht. Beides sind Früchte. Aber die Unterschiede sind groß und die Fälle schwer vergleichbar.«
Der wichtigste Unterschied sei die geopolitische Bedeutung, die die Ukraine und Taiwan jeweils für die USA haben. Während die USA die Ukraine zumindest unter Trump als vor allem europäisches Problem betrachten, nämlich als mögliche Frontlinie zwischen Russland und der EU, sei Taiwan aus US-Perspektive viel wichtiger. Der Inselstaat im Pazifik befindet sich in einer strategischen Lage vorm chinesischen Festland, dem größten geopolitischen Rivalen der USA.
Mit Taiwan lässt sich der Zugang der chinesischen Marine zu den Weltmeeren blockieren. Und die USA wollen auch unter Trump, dass sich daran nichts ändert, Taiwan also nicht unter die Kontrolle Festlandchinas fällt. In Peking wiederum ist dies bekannt. Im Vergleich zu Russlands Angriffen auf die Ukraine glaubt Claus Soong zudem: »China hat so viel zu verlieren, viel mehr als Russland.« 1,4 Milliarden Menschen brauchen Einkommen und Essen. So sei China viel stärker vom Welthandel abhängig.
Vor einem Angriff auf Taiwan werde China daher bis auf Weiteres eher zurückschrecken. Nicht nur, weil schon wirtschaftliche Sanktionen das Land schmerzen würden, zumal in der derzeit schwierigen ökonomischen Lage. Sondern auch, weil die USA im Fall eines chinesischen Angriffs auf Taiwan vermutlich nicht nur zusehen würden. Auch aus Japan kam zuletzt schon die Andeutung, dass man sich im Fall eines Krieges auf der Seite Taiwans sehen würde.
Schließlich betont Chinas Regierung nicht nur immer wieder die Notwendigkeit einer »Wiedervereinigung mit Taiwan.« Auch dass China eine Nation sei, die den Frieden liebe, wird gern erwähnt. In einem Land mit freier Presse würde der Widerspruch zwischen Friedfertigkeit und Kriegsdrohung ausführlich diskutiert werden. Aber auch ohne die entsprechenden Leitartikel könnten Menschen dies erkennen. Zum Beispiel dieser Tage, wenn beim Nationalen Volkskongress in Peking sowohl über Taiwan als auch über Frieden wieder viel gesprochen wird.
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