Kampf in Frankfurt: Union Berlin gegen den DFB und die Eintracht

Beim 1. FC Union macht sportlich wenig Hoffnung, dafür geht es mit voller Kraft gegen ein »politisches« Urteil

Mit aller Gewalt geht Union Berlin auch gerade gegen den DFB vor, der nach Ansicht des Vereins unrechtmäßig in den Abstiegskampf eingreift.
Mit aller Gewalt geht Union Berlin auch gerade gegen den DFB vor, der nach Ansicht des Vereins unrechtmäßig in den Abstiegskampf eingreift.

Schlechter kann es kaum werden. Das ist aktuell das einzig Positive beim 1. FC Union. Wer gehofft hatte, die Berliner seien mit dem desaströsen 0:6 in Dortmund am Tiefpunkt angekommen, musste sich am vergangenen Sonntag in der Alten Försterei erstaunt die Augen reiben. Eine Woche nach der höchsten Niederlage ihrer Bundesliga-Geschichte reichte diesmal ein einziges Tor, um ganz Köpenick in Schockstarre zu versetzen. Die Aufsteiger von Holstein Kiel – angereist als Tabellenletzter, schlechtestes Auswärtsteam und mit den meisten Gegentoren – feierten mit dem 1:0 ihren ersten Bundesliga-Sieg in der Fremde überhaupt.

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Irritierender Trainer

Leichter wird es in den kommenden Wochen für Union jedenfalls nicht: Nach dem Gastspiel an diesem Sonntag bei Eintracht Frankfurt warten mit Bayern München, dem SC Freiburg und VfL Wolfsburg sowie Bayer Leverkusen und dem VfB Stuttgart ebenfalls nur Gegner, die alle noch um europäische Startplätze spielen. Zumindest irritierend wirkte da die trotzige Ankündigung von Coach Steffen Baumgart: »Fakt ist: Wir werden auf die Art weiterspielen.« Fakt ist auch: Die mit dem Trainerwechsel erhoffte Trendwende führte in die falsche Richtung. Baumgart brauchte für sechs Niederlagen nur neun Spiele, Vorgänger Bo Svensson immerhin 15.

»Jetzt erst recht!« Mit diesen Worten beschrieb Rani Khedira die Einstellung des Teams gegen Kiel. Der Vizekapitän sprach dabei nicht von Wiedergutmachung für die Blamage bei der Borussia. Zusätzliche Motivation sollte eine andere Niederlage bringen. Am vergangenen Freitag hatte das Bundesgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) das Urteil des Sportgerichts des Verbandes bestätigt: Das 1:1 vom 14. Dezember zwischen Union und Bochum samt Feuerzeugwurf aus dem Berliner Fanblock auf VfL-Torhüter Patrick Drewes kurz vor Spielende wird mit 2:0 für Bochum gewertet.

Für den Verband ist der Fall damit beendet. Zumindest sind all seine rechtlichen Instanzen durchlaufen. »Der DFB wird sich nicht weiter zu dem Thema äußern«, hieß es auf »nd«-Nachfrage in einer Mitteilung aus der Frankfurter Zentrale, in der gleichzeitig die Unabhängigkeit der »Sportgerichtsbarkeit des DFB« nochmals betont wurde. Warum, das wird nicht klar. Als Antwort auf gestellte Fragen war dieser Hinweis jedenfalls nicht zu verstehen. Es sei denn, der Verband sieht diese Aussage als unantastbar wie Artikel 1 des Grundgesetzes mit seiner Ewigkeitsgarantie.

Präzedenzfall

Nun werden andere diese Fragen beantworten müssen. Die wichtigste: Warum wurde mit den Urteilen ein Präzedenzfall geschaffen? Genau das haben beide Rechtsorgane des DFB nämlich getan. Bislang wurde nach der ebenso einfachen wie logischen Regel entschieden: Wird ein Spiel durch den Schiedsrichter regulär beendet, gilt entweder der Endstand oder es wird, wie in der Vergangenheit schon praktiziert, ein Wiederholungsspiel angesetzt. Kann eine Partie nicht zu Ende gebracht werden, entscheidet eine Wertung über den Ausgang. Ob sich daran wirklich etwas ändert, wird die nahe Zukunft zeigen: Der 1. FC Union bringt diesen Fall vor das Ständige Schiedsgericht – und kündigte an, »parallel auch die Möglichkeit der Einleitung zivilrechtlicher Schritte« zu prüfen.

Ankündigungen, ordentliche Gerichte entschieden zu lassen, ließen auch den DFB schon schlecht aussehen, wie im Fall der umstrittenen Lizenzvergabe an RasenBallsport Leipzig beispielsweise. Nicht nur im Fußball steht die Sportgerichtsbarkeit auf wackligen Füßen. Überall sind es dann meist die großen Themen, die in solchen Fällen verhandelt werden. Auch jetzt: Nach beiden Urteilen machte Unions Präsident Dirk Zingler deutlich, was seiner Meinung nach auf dem Spiel steht: »die Integrität des Wettbewerbs«.

Asoziales Verhalten

Der 1. FC Union sieht das ursprüngliche Fehlverhalten beim VfL Bochum, weil der Klub, dessen Torwart nach dem Feuerzeugtreffer zumindest dem ein oder anderen Anschein nach nicht weiterspielen konnte, trotz gemeinsamer Absprachen mit Gegner und Schiedsrichter zur regulären Beendigung des Spiel dagegen später Einspruch einlegte. Somit will sich der VfL einen Vorteil verschaffen. Und das auch zu Lasten Dritter: Holstein Kiel und der FC St. Pauli, Bochums Konkurrenten im Kampf gegen den Abstieg, hatten ebenfalls Einspruch eingelegt. Auf rechtlicher Ebene streiten die Berliner mit guten Argumenten, moralisch haben sie sich leider disqualifiziert. Noch immer gibt es keine Entschuldigung für den Feuerzeugwurf. Warum nicht? »Wir können uns nicht für eine andere Person entschuldigen«, teilte Union mit. Ja, der Verein will nicht haftbar gemacht werden für etwas, was er nicht verhindern kann. Etwas souveräner und vor allem sozialer darf er sich aber schon verhalten, wo er doch »das Werfen von Gegenständen auf den Rasen« selbst als »asozial« beschreibt.

»Wir waren heute Zeuge eines Verfahrens, in dem erstmalig das Fehlverhalten eines Zuschauers zu einer Spielumwertung geführt hat«, sagte Dirk Zingler nach der Verhandlung vor dem DFB-Bundesgericht. Das ist richtig – und kann fatale Folgen haben. Künftig kann also irgendein Fan aus irgendeinem Block irgendetwas auf irgendeinen Fußballer werfen – und so ganz konkret das Ergebnis bestimmen? Zugleich schwächt das Urteil die Unparteiischen massiv: Wird künftig jede Tatsachenentscheidung im Nachhinein angezweifelt und angefochten? Die Autorität der nicht selten schon genug verunsicherten Schiedsrichter wird damit jedenfalls nicht gestärkt.

Keine Solidarität

Einen Tag nach dem Urteil des DFB-Bundesgerichts ging Union mit einer ausführlichen Erklärung des Präsidiums noch mal in die Offensive, um »unsere Position möglichst differenziert darzulegen und die Vorgänge auch den Menschen verständlich zu machen, die selber nicht an der Verhandlung teilgenommen haben«, wie der Verein »nd« mitteilte. Wenn auch in der Aussage gleich, sind die Darlegungen in jedem Fall interessant. Die Öffentlichkeit suchen die Köpenicker bewusst, denn trotz der großen Relevanz dieses Themas hielten sich Unterstützung und Solidarität durch andere Vereine bislang in Grenzen.

Vielleicht sucht der Verein auch noch eine andere, kritischere Öffentlichkeit – die aktiven Fans. Wie wirkungsvoll Proteste in den Stadien sein können, zeigte der erfolgreiche Kampf gegen den Einstieg eines Investors bei der Deutschen Fußball-Liga. Neben anderen bedenklichen Sanktionspraktiken des DFB versucht der Verband ja nun auch in diesem Fall, Fanverhalten auf fragwürdige Weise zu bestrafen. »Die Umwertung sportlicher Ergebnisse zur Bestrafung des Fehlverhaltens von Zuschauern oder aus generalpräventiver Motivation ist ein falscher und gefährlicher Ansatz«, kritisiert der 1. FC Union zurecht. Ob es derlei überzeugende Argumente sind oder nur Selbstzweifel: Der DFB will anscheinend so wenig Öffentlichkeit wie möglich. Schließlich sei ja die Verhandlung vor dem DFB-Bundesgericht öffentlich gewesen, da hätte jeder »mithören« können, teilte der Verband »nd« mit. Zu hören war da, wie Anton Nachreiner »eine Grundsatzentscheidung« gefordert hat – als Vorsitzender des DFB-Kontrollauschusses. Das ist es wohl, was den 1. FC Union von einem »politisch« motivierten Urteil reden lässt.

Möglicherweise hat der DFB seiner umstrittenen Sportgerichtsbarkeit nun selbst Schaden zugefügt. Einen Schlussstrich, zumindest vorerst, will Dirk Zingler ziehen. Unions Präsident fordert vollen Fokus auf den Fußball, um den »Klassenerhalt auf dem Rasen zu schaffen«. Nichts schwerer als das – wie fast alle bisherigen Spiele unter Trainer Baumgart und die kommenden Gegner ahnen lassen. Und wie die anfangs erwähnten Worte von Rani Khedira nach dem Spiel gegen Kiel zeigen, beeinflusst auch der Trubel drumherum die Fußballer.

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