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Das Märchen vom bösen Onkel Trump

Die Militär-Union wird in Brüssel seit vielen Jahren forciert

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 5 Min.
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj war beim EU-Gipfel in Brüssel willkommener als zuletzt im Weißen Haus bei Donald Trump.
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj war beim EU-Gipfel in Brüssel willkommener als zuletzt im Weißen Haus bei Donald Trump.

Der treffendste Kommentar zum EU-Gipfel wurde bereits vor dem Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs veröffentlicht. Die »Financial Times« machte am Mittwoch klar, dass es bei dem Brüsseler Gipfel um mehr geht als ein paar Milliarden Euro für Aufrüstung. »Europa muss seinen Wohlfahrtsstaat beschneiden, um einen Kriegsführungsstaat aufzubauen«, forderte die Zeitung. Anders gesagt: Ohne Kürzungen der Sozialausgaben kann der Kontinent nicht verteidigt werden.

Folgt man dieser Einschätzung, dann wurden am Donnerstag die Weichen gestellt für eine Kriegsunion, die ihre sozialstaatlichen Errungenschaften, wo noch vorhanden, für ihre Rüstungskonzerne und Armeen weiter schleifen wird. Im Lichte dieser Sichtweise klingt das Gipfel-Statement von Noch-Kanzler Scholz wie eine Drohung: »Wir müssen auch langfristig zur Veränderung des Regelwerks in Europa kommen.«

Der Grundstein für diese Änderungen des Regelwerks wurde nun in Brüssel gelegt. Auf dem »Europäischen Rat zur Verteidigung und Unterstützung der Ukraine«, so der offizielle Titel, war man sich weitgehend einig, dass Europa aufrüsten sollte. In der gemeinsamen Abschlusserklärung forderten die Staaten die EU-Kommission auf, eine Änderung des EU-Stabilitätspakts auszuarbeiten. Zukünftig sollen Verteidigungsausgaben nicht mehr auf die im Pakt festgelegte Schuldengrenze angerechnet werden. Die zuvor von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagenen 150 Milliarden Euro für die Aufrüstung aus dem EU-Haushalt wurden noch nicht gebilligt, aber »zur Kenntnis« genommen.

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Rüstung ist ein lukratives Geschäft für private Investoren

Für Martin Schirdewan, den Vorsitzenden der Linksfraktion im EU-Parlament, geht der Beschluss in die falsche Richtung. »Anstatt Lösungen für die drängenden Herausforderungen unserer Zeit zu finden, errichtet die EU höhere Mauern rund um Europa und investiert hunderte Milliarden in die Rüstungsindustrie. Es ist höchste Zeit für einen fundamentalen Politikwechsel. Nur durch strategische Unabhängigkeit in den Schlüsselindustrien, Infrastruktur und öffentlicher Daseinsvorsorge kann die EU ihre Zukunft sichern«, so Schirdewan zu »nd«.

Da Donald Trump den Europäern die transatlantische Partnerschaft gekündigt hat und nun einen Moskau-freundlichen Kurs fährt, sehen sich viele Staatenlenker unter Zugzwang. Und so sollen neue EU-Finanzierungsinstrumente die massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben ermöglichen – eine beispiellose Umleitung öffentlicher Gelder. Neu auch, dass die »Verteidigung der Außengrenzen«, insbesondere im Osten, als Sicherheitspriorität definiert wird – mit allen denkbaren Konsequenzen für Migrations- und Asylpolitik. Und man will mehr private Investitionen in die Rüstungsindustrie. Wenn Investments in Waffen lukrativ sind, werden Kapitalanleger nicht lange zögern. Anstatt in klimafreundliche Technologien legt man sein Geld künftig also in Fabriken für Kellerdrohnen und Raketen an. Jeder Krieg erhöht dann das »Return of Investment«.

Die EU steckt in geopolitischem Dilemma

So weit, so schlecht: Tatsächlich steckt die EU in einem geopolitischen Dilemma: Hatte von der Leyen ihre EU schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs auf einen transatlantischen Kurs getrimmt, so wirkt sie nun hilflos entschlossen, ohne die US-Amerikaner weiterzumachen – und Europa aufzurüsten. Bereits im Vorfeld des Gipfels hatte sie die Diskussionsgrundlage geliefert und angekündigt, 800 Milliarden Euro zu mobilisieren, »um die Verteidigungsfähigkeit Europas zu stärken« und die Unterstützung für die Ukraine zu sichern. »Rearm Europe« nennt sich ihr Programm, also »Wiederbewaffnung Europas«. Die Präsidentin weiß auch, wofür die Milliarden ausgegeben werden sollen: »Luft- und Raketenabwehr, Artilleriesysteme, Raketen und Munition, Drohnen und Drohnenabwehrsysteme.«

Wobei schon die Wortwahl »Rearm« irreführend ist. Europa muss nicht wiederbewaffnet werden, es ist bereits hochgerüstet. Und der desolate Zustand der russischen Armee zeigt sich täglich in der Ukraine. Merkwürdigerweise bleibt auch die Kommission konkrete Zahlen über die russische Gefahr schuldig. Neben dem Umstand, dass Russlands Armee einen Großteil ihrer gepanzerten Fahrzeuge in der Ukraine verloren hat und mit ihnen zehntausende Soldaten, sind die Russen auch in fast allen anderen Waffenkategorien unterlegen. Eine Greenpeace-Studie vom November 2024 machte dies deutlich. »Selbst die europäischen Nato-Staaten für sich genommen liegen in Militärbudget, Truppenstärke und Großwaffensystemen vor Russland«, urteilt Greenpeace. So verfügen die europäischen Nato-Partner ohne die USA über mehr als 2000 Kampfflugzeuge, Russland hingegen über knapp 1000. Bei Kampfpanzern stehen mehr als 6000 europäische Panzer 2000 russischen gegenüber. Europäische Nato-Staaten zählen 15 399 Artilleriesysteme, Russland lediglich 5399. Wobei sich das Missverhältnis noch vergrößert haben dürfte, da Russlands Rüstungsindustrie enorme Schwierigkeiten hat, ohne westliches Know-how moderne Waffen zu produzieren und die Armee an der Front immer noch viel Material verliert. Die Europäer haben also kein Rüstungsproblem, sondern ein Koordinierungsproblem. Doch am Donnerstag erzählte man sich gegenseitig das Märchen von der eigenen Unterlegenheit. Gerade für Staaten wie Frankreich, Italien oder Deutschland mit ihren starken Rüstungskonzernen ein durchaus lukratives Ammenmärchen.

Zu den am Donnerstag verbreiteten Märchen gehörte auch, dass es Donald Trump war, der den Anstoß für »Rearm« gegeben habe. Tatsächlich betreibt man in Brüssel seit Jahren Projekte zur gemeinsamen Aufrüstung. Bereits im Vertrag von Lissabon verpflichten sich die EU-Mitgliedsstaaten dazu, »ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern«. Von der Leyen schuf bereits in ihrer ersten Amtszeit eine neue Generaldirektion für Verteidigungsindustrie und Weltraum (DEFIS). Das war noch vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine. In dieser Legislatur gibt es mit dem Litauer Andrius Kubilius erstmals einen EU-Verteidigungskommissar. Die amtierende polnische Ratspräsidentschaft hat sich die Aufrüstung der EU auf die Fahnen geschrieben. »Wir brauchen konzertierte und ehrgeizige Maßnahmen zur europäischen Verteidigung, die die Bemühungen der Nato ergänzen«, heißt es im Präsidentschaftsprogramm der Polen. Sprich: eigene Strukturen schaffen parallel zu denen der Nato. Um das zu erreichen, wollte Polen eine »tiefgreifende Debatte über die Finanzierung der Verteidigung in der EU« vorantreiben. Die Debatte läuft jedenfalls in die von Polen gewünschte Richtung. Nicht erst seit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus.

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