Das Koalitionsorakel

Sarah-Lee Heinrich wagt einen Ausblick auf die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen von Union und SPD

Wie schlimm kann es werden? Die Vorsitzenden von Union und SPD Friedrich Merz und Lars Klingbeil nach den Sondierungsgesprächen von Union und SPD.
Wie schlimm kann es werden? Die Vorsitzenden von Union und SPD Friedrich Merz und Lars Klingbeil nach den Sondierungsgesprächen von Union und SPD.

Der Ausgang der Bundestagswahlen und der Beginn der Sondierungen 2021 waren prägend für mich. Ich war kurz davor, Bundessprecherin der Grünen Jugend zu werden. Wir verfolgten die Sondierungen von innen und außen und fragten uns, was nach der GroKo-Zeit Neues auf uns zukommen würde. Wir waren richtig aufgeregt! Nun, das Ende vom Ampel-Lied kennen wir ja.

Nach dieser Erfahrung spüre ich diesmal keine besonderen emotionalen Regungen aufgrund der Regierungsbildung. Ich rechne damit, dass alles ähnlich bleibt, wie es unter der Ampel schon war. Die 500 Milliarden sind natürlich eine kleine Überraschung. Aber die Notwendigkeit der Investitionen in den Standort Deutschland sind so relevant, dass jede Regierung, die damit beauftragt ist, eine florierende Wirtschaft zu ermöglichen, das früher oder später gemacht hätte.

Um nicht den x-ten Text zur Notwendigkeit einer grundsätzlichen Reform der Schuldenbremse zu schreiben, möchte ich etwas Experimentelles versuchen. Ein Koalitions-Orakel! Ich schreibe diesen Text am Freitag und weiß dementsprechend noch nicht, was am Ende der Sondierungen herauskommen wird.

Es könnte aber sein, dass beim Erscheinen am Montag schon Ergebnisse vorliegen. Falls ja, bin ich gespannt zu sehen, ob ich irgendwo richtig lag. Hier sind meine Top 3 predictions für die Sondierungen:

Umbenennung des Bürgergelds

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es keine großen Änderungen am Bürgergeld geben wird. Das liegt nicht daran, dass ich der SPD große Widerständigkeit bei dem Thema zutraue – ganz im Gegenteil. Aber vieles, was bei der Verschärfung von Sanktionen verfassungsrechtlich möglich ist, hat die Ampel bereits erledigt. Das Existenzminimum kann nicht so einfach unterschritten werden. Deswegen tippe ich darauf, dass das Bürgergeld umbenannt wird, ohne allzu viele Inhalte des Programms zu verändern. Das passt gut zu dem jetzigen Versuch der Union, ihre Wahlversprechen unauffällig abzuräumen und dabei so zu tun, als würde sie gerade nicht das genaue Gegenteil von dem tun, was sie versprochen hat, weil sie das alles sowieso nicht halten kann. Die Umbenennung, mit kleinsten Änderungen, wird sie als großen Neuanfang verkaufen.

Offene Tür für die Wehrpflicht

Die Union wird die Wiedereinführung der Wehrpflicht auf die Tagesordnung setzen. Die SPD-Verhandlungspartner werden sich sträuben, möchten aber auch nicht als naive Pazifisten dastehen. Ein Prüfauftrag wird dabei herausspringen. Er wird mit der Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Debatte blumig umschrieben werden. Die SPD wird versuchen ein paar Anreize und Geld für den Freiwilligendienst herauszuschlagen und das als großen Erfolg zu verkaufen.

Zusatz-Prediction: Die CDU wird, sobald es einen äußeren Anlass gibt, in der Koalition darauf drängen, die Umsetzung der Wehrpflicht tatsächlich umzusetzen. Und ich fürchte, dass sie dabei Erfolg haben wird.

Kein höherer Mindestlohn, dafür Senkung der Einkommenssteuer

Die SPD wird die populäre Forderung eines höheren Mindestlohns noch einmal sehr prominent stellen. Die Union wird aber dabei bleiben, dass die Mindestlohnkommission »unabhängig« bleiben solle. Da sich die CDU nicht als diejenigen kritisieren lassen wollen, die arbeitenden Menschen eine gute Entlohnung für ihre Leistung nicht gönnen, werden Einkommenssteuersenkungen vorgeschlagen. Vor allem für mittlere Einkommen, aber auch leichte Senkungen für niedrige wird es geben. Die Menschen im Niedriglohnsektor haben davon zwar so gut wie nichts, aber so eine Reform wird sich als Entlastung für die Bürger verkaufen lassen.

Mal sehen, wie es am Ende ausgehen wird.

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