Pechstein beendet Karriere: Langer Kampf gegen die ISU ist vorbei

Die Eisschnellläuferin verkündet ihren Rücktritt und fühlt sich rehabilitiert nach der Einigung mit dem Weltverband, der sie zu Unrecht gesperrt hatte

Gelöst: Claudia Pechstein auf dem Weg zur Pressekonferenz im Berliner Müggelturm
Gelöst: Claudia Pechstein auf dem Weg zur Pressekonferenz im Berliner Müggelturm

Sehen so Triumphzüge aus? Am Montagvormittag wähnt man sich im Saal »Hauptmann« des Berliner Müggelturms eher auf einer Siegesfeier als auf einer Pressekonferenz. Die Sonne strahlt durch die Panoramafenster, mehr als 100 Menschen sind gekommen, nicht nur Reporter, sondern auch allerlei Ost-Prominenz: Box-Trainer Ulli Wegener, Puhdys-Gitarrist Dieter »Quaster« Hertrampf, Moderator Jürgen Karney. Sektgläser klirren, Blitzlichter zucken, immer wieder wird applaudiert, in der Mitte Claudia Pechstein. Sie lächelt siegessicher.

53 Jahre alt ist die Eisschnellläuferin, eine Kämpfernatur, sie will heute ihren letzten großen Erfolg als Athletin zelebrieren. »Ich bin frei«, sagt sie in die Menge, »frei von diesem Fall.« Hinter der fünfmaligen Olmpiasiegerin liegen 16 Jahre eines erbitterten Rechtsstreits mit der Internationalen Eislauf-Union (ISU), von der sie 8,4 Millionen Euro Schadenersatz wegen einer zu Unrecht erteilten Dopingsperre forderte. Ende Februar wurde mit dem Weltverband eine Einigung erzielt, über deren Details Stillschweigen vereinbart ist.

Ja, sie fühle sich nach der Einigung voll rehabilitiert, antwortet sie einem Journalisten. »Gerechtigkeit siegt, das habe ich immer gesagt«, sagt Pechstein. 2009 hatte die Internationale Eislauf-Union die Berlinerin wegen Dopings für zwei Jahre gesperrt – aufgrund von Indizien: Bei einer Reihe von Proben ihres Blutes war der Anteil der Retikulozyten (jugendliche rote Blutkörperchen) ungewöhnlich hoch. Die Olympiasiegerin galt nach dem indirekten Beweis via Biologischem Pass plötzlich als Doperin.

Doch Pechstein wehrte sich, verwies auf eine erbliche Blutanomalie, legte Gutachten vor, die ihre These unterstützten und ging schließlich den langen Weg durch die Instanzen: Internationaler Sportgerichtshof (CAS), Schweizer Bundesgericht, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Landgericht München, Oberlandesgericht München, Bundesgerichtshof, Bundesverfassungsgericht. Nachdem sich auch das höchste deutsche Gericht 2022 auf ihre Seite geschlagen hatte, war schließlich der Weg frei für einen Vergleich mit der ISU.

»Ich habe mich schon lange nach dem Moment gesehnt, dass der Fall vorbei ist«, so beschreibt Pechstein ihren Gerichtsmarathon. Den Auftritt hoch überm Müggelsee nutzt die Polizeihauptmeisterin der Bundespolizei aber nicht nur zum Jubel über den juristischen Erfolg gegen die ISU. Sie verkündet zugleich auch das Ende ihrer außergewöhnlichen Laufbahn: »Mehr als 50 Jahre stand ich auf dem Eis, mir reicht’s dann auch langsam«, so formuliert es die Berlinerin, die einst als Eiskunstläuferin anfing. »Ich werde meine Karriere beenden.«

Zuletzt hatte sie im Januar 2024 im Weltcup auf dem Eis gestanden. Bis zu ihrer Einigung mit der ISU am 27. Februar hatte sie immer wieder angedeutet, womöglich sogar noch einen Start bei den Olympischen Winterspielen 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo anzustreben. 2022 hatte sie in Peking bei der Eröffnungsfeier der Winterspiele die deutsche Fahne tragen dürfen. Neben dem japanischen Skispringer Noriaki Kasai ist sie die einzige Winterolympionikin, die achtmal bei Olympia startete. 1992 war sie im französischen Albertville erstmals dabei und fehlte seither nur 2010 – wegen der verhängten Dopingsperre durch die ISU.

Insgesamt sammelte Claudia Pechstein neun Olympia- und 41 WM-Medaillen, sie stellte sechs Weltrekorde auf und blickt heute zurück auf 34 Weltcup-Siege. 1995 gelang ihr der erste, im November 2017 der letzte – im stolzen Alter von 45 Jahren. Nun will die Rekordolympionikin als Trainerin und Beraterin weitermachen: »Ich stehe also noch auf dem Eis, aber nicht mehr als Sportlerin.« Seit Juni vorigen Jahres fungiert Pechstein bereits als Stützpunkttrainerin in Inzell (Bayern). »Ich möchte den Eisschnelllauf wieder erfolgreich machen«, so umschreibt sie ihre neuen Ziele. Sie habe ihr Studium absolviert, sie sei jetzt Diplom-Trainerin. »Da bin ich ein bisschen stolz darauf!«, lächelt sie.

Pechstein erzählt, dass all die Prozesse nur dank vieler Spenden möglich gewesen seien. Sie werde nun ihr Versprechen halten und das Geld zurückgeben. »Ich zahle alles liebend gern zurück, jeden Cent«, sagt Pechstein. »Viele wollten, dass ich das Geld dann an soziale Zwecke spende, auch das werde ich auf Wunsch tun.« Zudem will sie ein Buch über ihr Leben schreiben, und mit Fans und Sportstars noch eine echte Abschluss-Sause feiern: nicht im Müggelturm-Saal, sondern auf dem Eis des Wellblechpalastes in Berlin-Hohenschönhausen.

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