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Die Kraft der Selbstermächtigung
Powerfrauen: Was Rita Süßmuth, Simona Stoytchkova und Jana Ringwald eint
Heute ist ein guter Tag, das Patriarchat abzuschaffen« lautet der Titel eines im vergangenen Jahres erschienenen Buches, in dem sieben Feminist*innen der dritten Generation über ihre persönlichen Erfahrungen und Strategien wider nach wie vor fest zementierte patriarchale Strukturen berichten, darunter eine muslimische Feministin, eine Pfarrerin, eine Aktivistin und eine ein*e nonbinäre Science-Fiction-Autor*in.
Tatsächlich, man muss nicht auf den 8. März warten, um endlich volle Gleichberechtigung der Geschlechter weltweit durchzusetzen. Immerhin ist der Frauentag, seit über einem Jahrhundert international begangen, mit mächtigen Demonstrationen vor allem in den Ländern des globalen Südens, hierzulande endlich ins öffentliche Bewusstsein gerückt, wird von den (West-)Medien nicht mehr zugunsten des sogenannten Muttertages verschwiegen. Aber auch das 25. Jahr im 21. Jahrhundert begann mit einer unerledigten, mit dem Bruch der Ampel-Koalition erneut ins Schubfach verschwundenen Forderung: Streichung des Frauendiskriminierungsstrafparagrafen 218. Es ist zu befürchten, dass sie dort unter Kanzler Friedrich Merz noch ewig schlummern wird.
Die heftigen Widerstände in der männerdominierten CDU gegen jegliche Selbstbestimmungsaufbrüche von Frauen kennt kaum jemand besser als Rita Süßmuth, über drei Dezennien Mitglied dieser Partei. Die Grande Dame der westdeutschen Frauenemanzipation, auch wenn sie sich selbst nicht als solche sieht oder gar als Feministin bezeichnen würde, mischt sich auch mit 87 in gesellschaftliche Debatten ein. »Denn tatenlos mit den Händen im Schoß auf das Ende warten – das werde ich nicht tun. Im Gegenteil«, bekennt sie in ihrem neuen Buch, eine Anstiftung zu Mut, adäquat zu Kants Aufforderung, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Rita Süßmuth hat auch im Alter »Lust am Denken, neuen Horizonten und neuen Lösungen«. Sie ist als eine Politikerin bekannt, die klare Worte nicht scheut, weshalb sie oft auch in ihrer eigenen Partei aneckte. Ihr Lebensmotto entlieh sie sich indes ausgerechnet von einem »alten weißen Mann«, dem britischen Kriegsminister und Kriegspremier Winston Churchill: »Einmal mehr aufstehen als hinfallen.« Nein, den Mund halten ist ihr Ding nicht: »Ich suche die Veränderung zum Besseren.«
Rita Süßmuth weiß, dass viele Menschen verunsichert sind, Angst haben ob der neuen Bedrohungen, der Kriege und Klimakatastrophe, Inflation und Rezession, vors Verlust von Arbeitsplätzen und Wohlstand. Und vor den »Wahnsinnigen, in deren Hände diese Welt mittlerweile geraten zu sein scheint«, Populisten und Rechtsextremen, »die mit billigen Rattenfänger-Parolen den Unbedarften und Furchtsamen in allen Ländern Europas ihre undemokratischen und unmenschlichen Politikkonzepte schmackhaft machen« wollen. Statt zu jammern und zu resignieren, fordert sie: »Versinken wir nicht in Selbstmitleid und Verlustängsten. Denn wir alle können etwas tun – jeder an seinem Platz.«
Rita Süßmuth hat in ihrem ereignisreichen Leben vielfach bewiesen, dass dies möglich ist. Die 1937 in Wuppertal geborene Tochter eines Schulrats war nach dem Studium der Philologie, Geschichte und Pädagogik in Münster, Tübingen und Paris zunächst an diversen Pädagogischen Hochschulen der Bundesrepublik tätig. Als sie sich nach ihrer Promotion um eine Universitätsstelle bewarb, wurde sie bedrängt, zugunsten eines Mannes und Familienvaters zurückzutreten; sie sei noch ledig, habe keine Kinder zu versorgen, und wenn sie Mutter werde, würde sie eh aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Ein unerhörtes Ansinnen, befand Rita Süßmuth – und setzte sich mit ihrer Bewerbung durch.
Als Professorin an der Universität Dortmund gehörte sie dem wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Familie an, das sie ab 1985 selbst für drei Jahre leiten sollte. Von 1982 bis 1985 war sie Direktorin des Instituts »Frau und Gesellschaft« in Hannover. Ihr Eintritt in die große Politik erfolgte relativ spät, umso nachhaltiger die Spuren, die sie als CDU-Bundestagsabgeordnete, als Ministerin und Bundestagspräsidentin hinterließ, sei es sei mit ihren Bemühungen um eine Reform des Paragrafen 218, die Förderung von Vereinbarkeit von Familie und Beruf, finanzielle Entlastung und Anerkennung für Erziehungs- und Familienarbeit, für eine Frauenquote oder mit dem Vorschlag einer Diäten-Nullrunde für Parlamentarier respektive für Asyl, Zuwanderung und Integration.
In ihrem neuen Buch kommt Süßmuth auf die Entfremdung der Parteien vom realen Leben zu sprechen. »Sie scheinen ihre Bindungskraft für die Menschen in unserem Land verloren zu haben.« Weshalb sie sich wünscht: »Wir brauchen mehr Vertreter aus Berufen wie Metzger, Krankenpfleger, Anwalt, Erzieher, Unternehmer oder Maschinenschlosser im Parlament.« Rita Süßmuth, die mit ihren inzwischen verstorbenen Parteikollegen Lothar Späth und Heiner Geißler im Herbst 1989 den allmächtigen Bundeskanzler Helmut Kohl zu stürzen versuchte (den Oggersheimer rettete die Sehnsucht von Millionen Ostdeutschen nach D-Mark und »Wiedervereinigung«), entdeckt aber auch Zeichen der Hoffnung. Das Engagement auf den Straßen für Klimaschutz und Frieden, gegen AfD und völkische Extremisten mache Mut.
Man muss nicht mit allen Kommentaren der Rita Süßmuth einverstanden sein (etwa ihrem Urteil zu den Hintergründen des Ukraine-Krieges, dessen Beginn hier mit dem 20. statt dem 24. Februar 2022 falsch angegeben ist; S. 36) – die Lektüre ihres autobiografisch unterfütterten Mut- und Muntermachers ist sehr zu empfehlen.
Der westdeutschen Professorin und Politikerin Gewissheit »Ich glaube an den Menschen und seine Kraft zur Veränderung« resultiert unter anderem aus dem demokratischen Umbruch im Herbst 1989 in der DDR, den Rita Süßmuth euphorisch würdigt. Von diesem geprägt wurde Simona Stoytchkova, aufgewachsen in einer Plattenbausiedlung in Ostberlin und heute in der Chefetage eines weltweit operierenden Finanzunternehmens tätig. »Eine absolute Ausnahme in der Welt der Nadelstreifen«, wie der Verlag ihren Lebensbericht bewirbt. Führungskräfte aus dem Osten Deutschlands sind im vereinten Deutschland nach wie vor eine Seltenheit, vor allem wenn sie weiblich sind.
Simona Stoytchkova hat bei der Deutschen Bank, Morgan Stanley, Lehman Brothers und der Société Générale gearbeitet und ist Deutschland-Chefin der IG Europe GmbH. Bis zu diesen Spitzenfunktionen (in Institutionen, die allerdings nicht alle für vorbildliche Geschäftsgebaren bekannt sind), war es ein langer, harter Weg für die Ostdeutsche, die nach ihrem Studium (nicht an einer Elite-Universität!) zunächst reihenweise Absagen auf ihre Bewerbungen im Bankenmilieu bekam. »Mir hat der Stallgeruch gefehlt«, urteilt sie im Rückblick. Die Tochter eines Ingenieurs und einer Apothekerin ostdeutscher Herkunft musste nach 20 Jahren Arbeit im Ausland, wo sie, so in London, »the German« oder, in Paris, »l’ Allemande« genannt wurde, erleben, in der Bundesrepublik als »die aus dem Osten« zu gelten. Einem Stigma gleich, das viele andere Ostdeutsche aus eigenem Erleben kennen dürften.
Simona Stoytchkova setzte sich durch. Grundlage ihres Erfolges seien nicht nur die sie unterstützenden Eltern gewesen, die trotz klammem Geldbeutel den Schüleraustausch in den USA und das Studium in London bezahlten, sondern auch ihre Erlebnisse und Erfahrungen als ein »Wendekind«. »Als Heranwachsende lernte ich, mit wenig auszukommen, mit viel Kreativität die alltäglichen Probleme zu lösen. Ich spürte keinen Mangel, ich kannte es einfach nicht anders. Ich lernte, was mein Vater mir aufgab zu lernen: niemals aufzugeben.« Wie die anderen schätzungsweise 2,5 Millionen »Wendekinder« habe sie die Selbstermächtigung, die Kraft der Kollektivität und die Lust an unmittelbarer Demokratie und Entscheidungsfreudigkeit im »kurzen Jahr der Utopie« der Noch-DDR erfahren, aber auch die Ängste und Verunsicherung der Erwachsenen nach der Vereinigung, als 80 Prozent der Ostdeutschen im erwerbsfähigen Alter arbeitslos wurden. Sie dankt ihrer Mutter, einer in der DDR sozialisierten, selbstbewussten, emanzipierten Frau, die mit ihrer Stärke, ihrem Pragmatismus einen maßgeblichen Anteil daran hatte, »dass ich die Führungskraft geworden bin, die ich heute bin. Auch heute noch halte ich mich an ihre persönliche Drei-Minuten-Weisheit: Erlaube dir, zu jammern und dich selbst zu bemitleiden, aber immer nur drei Minuten lang, und sobald die drei Minuten um sind, fange an, lösungsorientiert zu handeln.«
Auch dies ein Ergebnis ihrer ostdeutschen Prägungen: Simona Stoytchkova überraschte ihre jeweiligen Teams immer wieder mit unkonventionellem Leitungsstil, expliziter Aufforderung, eigenständig zu denken, Kritik vorzubringen und Visionen mitzuentwickeln. Die heute 45-Jährige setzt sich aktiv für Diversität und Inklusion im Finanzgeschäft ein, für die Einbeziehung von Menschen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Hintergründe sowie aus diversen sozialen Milieus, inklusive nicht-binärer Menschen.
»Mein Name ist Jana Ringwald. Ich bin Cyberstaatsanwältin. Mein Beruf spielt sich im Verborgenen ab«, liest man eingangs des hier vorzustellenden dritten Buches einer Powerfrau. Berufsmäßig zur Verschwiegenheit verpflichtet, kann die Autorin natürlich keine Klarnamen nennen, über Fälle und Verhandlungen nur in dem Maße berichten, wie diese öffentlich wurden. Es ist ein atemberaubender Job, den sie hat. Und einer, in denen Frauen auch nicht gerade überrepräsentiert sind. Jana Ringwalds Stolz ist mehr als berechtigt: »In den zurückliegenden Jahren durfte ich an einigen der spektakulärsten Ermittlungserfolge der internationalen Cybercrime-Bekämpfung mitwirken. An der Abschaltung multimillionenschwerer Darknet-Marktplätze und Schadsoftware-Botnetze, am Takedown weltführender illegaler Krypto-Mixing-Dienste und der Sicherstellung inkriminierter Kryptowährungen in dreistelliger Millionenhöhe.«
Jana Ringwald ist Oberstaatsanwältin bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und vertritt das Bundesministerium der Justiz im European Judicial Cybercrime Network bei Eurojust in Den Haag. Im November 2023 erhielt sie den Emotion-Award in der Kategorie »Frauen in Digitalisierung«.
Die Autorin bekennt, nicht Informatik studiert zu haben. Was sie mit einem von ihr Angeklagten eint, der in seiner Hauptverhandlung anmerkte: »Ich habe keine Bücher gelesen, ich habe alles im Netz gelernt.« »Es hätte die Aussage so vieler Cybertäter sein können«, kommentiert Jana Ringwald. Es handelte sich in diesem Fall aber um einen Betreiber von Wall Street Market, der den gesamten Darknet-Marktplatz programmiert hatte.
Nein, leicht liest sich dieses Buch nicht, dessen Sujets hochkomplexe technologische Prozesse und juristische Finessen sind. Mit einem Augenzwinkern gesteht Jana Ringwald, dass ihr das »digitale Neuland« auch eher in der Art der »Sesamstraße« nahegebracht worden sei, »zutreffend und dennoch verständlich«.
»Das Internet begeistert uns und macht uns Angst. Denn wir können nicht mehr kontrollieren, was es an neuen Kräften freisetzt, die unsere Verlässlichkeiten infrage stellen wie kaum etwas zuvor«, schreibt Jana Ringwald. »Es macht Angst und ist gleichzeitig ein riesiger Chancen- und Optionenraum.« Letzteres leider eben auch für Kriminelle. Ihr Buch versteht sie als ein Plädoyer gegen die Angst vor dem Cyberraum und als Offerte, die Prozesse darin mitzugestalten und zu aller Gunsten zu entscheiden. Ihre Mahnung: »Daten, Tools und technische Lösungen müssen uns dienen. Und nicht wir ihnen.« So ist auch das Buch von Jana Ringwald, wie das von Rita Süßmuth und Simona Stoytchkova, eine Ermunterung an alle Mädchen und Frauen, das scheinbar Unmögliche zu wagen und an die Schalthebel der Macht in Wirtschaft und Gesellschaft zu streben – um diese freundlicher, humaner und gerechter zu gestalten.
Rita Süßmuth: Über Mut. Vom Zupacken, Durchhalten und Loslassen. Bonivatius, 159 S., geb., 18,50 €.
Simona Stoytchkova: Die aus dem Osten. Als Wendekind ins Big Business. Murmann, 232 S., geb., 25 €.
Jana Ringwald: Digital. Kriminell. Menschlich. Eine Cyberstaatsanwältin ermittelt. Murmann, 216 S., geb., 25 €.
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