Nach 30 Jahren Exil: Komitee-Gruppe kommt vor Gericht

Prozessbeginn gegen die militanten Linken Peter Krauth und Thomas Walter

Broschüre zum gescheiterten Anschlag auf den Rohbau des Abschiebegefängnisses in Berlin-Grünau zu Ostern 1995
Broschüre zum gescheiterten Anschlag auf den Rohbau des Abschiebegefängnisses in Berlin-Grünau zu Ostern 1995

Im Oktober 1994 verübte das »K.O.M.I.T.E.E.« einen Brandanschlag auf das Kreiswehrersatzamt in Bad Freienwalde. Die Tat richtete sich gegen die deutsche Unterstützung der türkischen Militärpolitik und die Unterdrückung des kurdischen Befreiungskampfes. Im April 1995 plante die Gruppe, ein im Bau befindliches Abschiebegefängnis in Berlin-Grünau zu sprengen, um ein Zeichen gegen die deutsche Abschiebepolitik zu setzen. Ein »Osterei«, schrieben Sympathisant*innen später in einer Broschüre zu dem Anschlag, der jedoch scheiterte, weil eine vorbeifahrende Polizeistreife die Vorbereitungen entdeckte.

Hinweise am Berliner Tatort führten zur Identifizierung von Peter Krauth, Thomas Walter und Bernhard Heidbreder als Verdächtige für den Anschlag. Die drei traten daraufhin eine Flucht an, die am Ende Jahrzehnte dauern sollte. Schließlich landeten sie in Venezuela. Dort bauten sie sich ein neues Leben auf und engagierten sich in lokalen Gemeinschaften. Auskunft darüber gibt der 2019 erschienene Film »Gegen den Strom«, der einen Besuch des Polit-Rappers Mal Élevé bei Walter und Krauth begleitet.

Bereits 2014 wurde Heidbreder auf Geheiß des Bundeskriminalamtes (BKA) und Interpol in Venezuela festgenommen, jedoch nicht nach Deutschland ausgeliefert – die Vorwürfe, darunter Brandstiftung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, waren nach venezolanischem Recht verjährt. Acht Jahre später hat die dortige Flüchtlingskommission auch einen Asylantrag von Walter und Krauth positiv beschieden. Für Heidbreder kam die Entscheidung aus 2022 zu spät: Der 60-Jährige starb im Jahr zuvor an Krebs.

Mit dem Flüchtlingsstatus hat Interpol die vom BKA für Walter und Krauth hinterlegten internationalen Haftbefehle gelöscht. Der deutsche Generalbundesanwalt fahndete jedoch weiter. Zwar waren auch in Deutschland nahezu alle Vorwürfe verjährt – übrig blieb allein die »Verabredung zu einem Sprengstoffanschlag« mit einer 40-jährigen Verjährungsfrist bis 2035. Eine Beschwerde der Anwält*innen von Walter und Krauth gegen diesen Paragrafen 30 Strafgesetzbuch, der die bloße Verabredung zu einem Verbrechen weitaus höher bestraft als die tatsächliche Vorbereitung der Tat, nahm das Bundesverfassungsgericht nicht an.

Eine Beschwerde, dass die bloße Verabredung weitaus höher bestraft wird als die tatsächliche Vorbereitung der Tat, nahm das Bundesverfassungsgericht nicht an.

Während ihrer Flucht hatte das BKA umfangreiche Fahndungsmaßnahmen gegen die drei unternommen. Drei weitere Personen wurden eine Zeitlang zu Beschuldigten. Auch die Schwester eines Beschuldigten wurde mehrere Wochen in Untersuchungshaft genommen, obwohl sie ein Alibi für den Tatzeitraum vorweisen konnte. Mehr als 20 Personen wurden polizeilich oder direkt von der Bundesanwaltschaft für Aussagen vorgeladen, eine von ihnen kam für vier Monate in Beugehaft. Eine weitere Person konnte sich zwar erfolgreich gegen eine Aussagepflicht wehren, doch musste sie erst Durchsuchungen und Überwachungsmaßnahmen ertragen, bis das Gericht ihr recht gab. Ein anderes Mal wurden Gespräche von Anwält*innen abgehört und rechtswidrig aufgezeichnet.

Mitte der 2000er Jahre überwachte das BKA Linksradikale, die nach Kolumbien reisten. In Ägypten ließen die deutschen Fahnder das Hotelzimmer einer vermeintlichen Kontaktperson verdeckt nach Mobiltelefonen durchsuchen. Als ein Besucher 2006 im Historischen Museum in Berlin von einem öffentlich zugänglichen Rechner die BKA-Internetseite mit dem Fahndungsaufruf für die drei Deutschen aufrief und dort sieben Minuten verweilte, hielten die Ermittler*innen ihn für einen »bislang unbekannten Tatbeteiligten«. Sie zapften den Computer im Museum an, installierten eine Videokamera und legten sich wochenlang auf die Lauer – erfolglos. Selbst die Presse wurde nicht verschont: Die Redaktionsräume der »Taz« wurden durchsucht und eine Redakteurin, die über den Fall berichtet hatte, über Jahre von der Polizei überwacht.

Während der intensiven Fahndungsmaßnahmen befanden sich die drei Gesuchten offenbar längst in Lateinamerika. Zu Details hielten sich Walter und Krauth auch gegenüber einem Auslandskorrespondenten der »Süddeutschen Zeitung« bei dessen Besuch in Venezuela bedeckt. Walter erklärt aber, dass die Flucht gegen Ende der 1990er Jahre stattfand und ohne Hilfe von Personen, die finanzielle Unterstützung, Unterkunft und Verbindungen anboten, nicht möglich gewesen wäre.

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Anfang dieses Jahres hat der Generalbundesanwalt – zunächst überraschend – Anklage im Zusammenhang mit dem geplanten Anschlag von 1995 gegen Krauth und Walter erhoben. Dahinter steckte ein Deal mit den deutschen Behörden, wie die Verteidiger der beiden schließlich öffentlich machten: Sie würden sich den deutschen Behörden stellen und dafür eine Bewährungsstrafe erhalten. Noch in dieser Woche sollen sie mit einem Flug aus Caracas nach einer Zwischenlandung in Madrid und anschließender Begleitung durch BKA-Beamt*innen in Berlin eintreffen.

Schon am Montag beginnt dann der Prozess vor dem Kammergericht in Berlin. Nicht nur der Generalbundesanwalt dürfte auf ein Geständnis zu den Anschlägen auf das Kreiswehrersatzamt und den Abschiebeknast gespannt sein. In Zeiten extrem verschärfter staatlicher Migrationsabwehr und Militarisierung sind die Hintergründe zum »Osterei« von 1995 auch für heutige linke Bewegungen interessant.

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