- Berlin
- Medizin
Brandenburg: Das Krebsgeschwür der langen Wege
Eine Stunde Fahrzeit bis zur Vorsorgeuntersuchung – und wer bringt alte Menschen hin?
Vor 30 Jahren sei ein Bronchial-Karzinom noch ein Todesurteil gewesen, erinnert sich Professor Michael Kiehl. Heutzutage überleben Patienten mit dieser Diagnose teils noch zwölf bis 15 Jahre und die Behandlungsmöglichkeiten werden immer besser, sagt Hiehl. Er ist Vorstandsvorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft onkologische Versorgung Brandenburg (Lago). Kiehl sagt es am Donnerstag, um ein Beispiel gebeten, welche Fortschritte die Krebstherapie gemacht hat.
Es gibt aber auch Entwicklungen, die Kiehl Sorge bereiten. Wenn es um Vorsorgeuntersuchungen geht, hört er von alten Menschen oft den Satz: »Ich habe keinen, der mich fährt.« Der Professor ist Chefarzt am Klinikum in Frankfurt (Oder). Wenn Personen aus abgelegenen Ortschaften im Oderbruch dorthin gelangen wollen, so beträgt die Fahrzeit durchaus mal eine Stunde.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
An diesem Freitag und am Samstag tagt im Potsdamer Dorint-Hotel der mittlerweile neunte Brandenburger Krebskongress. Es treffen sich dort mehr als 350 Teilnehmer – Ärzte natürlich, aber nicht etwa nur Spezialisten, sondern auch Hausärzte, die ja ebenfalls Krebspatienten zu versorgen haben, wie Kongresspräsident Dr. Daniel Schöndube erklärt, der am Helios-Klinikum in Bad Saarow tätig ist. Auch Krankenschwestern und -pfleger werden erwartet.
Die Lago richtet diesen Krebskongress inzwischen alle zwei Jahre aus. Schöndube und Kiehl informieren am Donnerstag über das Programm. Kiehl bewundert im Rückblick den Weitblick der damaligen Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD), die den Kongress vor 32 Jahren ins Leben gerufen habe. Heutzutage gehe es darum, mit den modernen, vielversprechenden Krebstherapien nicht nur die Einwohner der großen Städte, sondern auch die Bevölkerung der ländlichen Regionen gut zu versorgen, sagt Kiehl. Mitte der 90er Jahre erkrankte die legendäre Regine Hildebrandt übrigens selbst an Brustkrebs. Sie blieb noch bis 1999 Sozialministerin im Land Brandenburg, wollte dann keine Koalition mit der CDU und schied aus der Regierung aus. Hildebrandt erlag 2001 im Alter von 60 Jahren ihrem Krebsleiden.
Jetzt ist erstmals Sozialministerin Britta Müller (für BSW) die Schirmherrin des Brandenburger Krebskongresses. Die Tagung widmet sich diesmal schwerpunktmäßig der Behandlung alter Patienten. »Da Brandenburgs Bevölkerung immer älter wird und gleichzeitig das Krebsrisiko mit zunehmendem Alter steigt, rücken altersgerechte Krebstherapien immer stärker in den Fokus«, sagt Müller. 95 Prozent aller Krebspatienten seien älter als 45 Jahre. Ein Experte hat der Ministerin kürzlich erklärt, jeder dritte über 65-Jährige werde künftig an Krebs erkranken. Das nennt sie »beängstigend«, wenngleich die Behandlungsmöglichkeite immer besser werden.
- Im Jahr 2022 sind 9697 Brandenburger und 7766 Brandenburgerinnen neu an Krebs erkrankt.
- Krebs an Bronchien und der Lunge gehört bei Männern und Frauen in Brandenburg zu den fünf häufigsten Krebserkrankungen, bei den Männern gehört auch Prostatakrebs dazu, bei den Frauen Brustkrebs.
- Im Jahr 2023 wurden 38 283 Krebspatienten in einem Brandenburger Krankenhaus behandelt. Damit hatten die Krebspatienten einen Anteil von acht Prozent an allen Behandlungsfällen in den Kliniken.
- Die Zahl der Krebstoten in Brandenburg nimmt zu. Waren es im Jahr 2020 noch 8403, sind es im vergangenen Jahr 8435 gewesen. 56 Prozent der Krebstoten sind Männer.
- Das Durchschnittsalter der an Krebs verstorbenen Menschen betrug zuletzt 82,8 Jahre. Mehr als 35 Prozent der Krebstoten entfallen auf die Altergruppe der 80- bis 90-Jährigen.
- In ganz Deutschland leben rund vier Millionen Menschen mit Krebs. 2022 gab es 500 000 Neuerkrankungen und 230 000 Todesfälle. af
Im vergangenen Jahr sind 8435 Brandenburger an Krebs verstorben. Krebs war damit in 23 Prozent aller Todesfälle die Ursache. So ist Krebs nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache gewesen. Es gebe tolle, moderne, fantastische Therapien, schwärmt Mediziner Daniel Schöndube. Er fügt jedoch hinzu, dass diese oft Nebenwirkungen haben, die alte Patienten sehr viel schwerer verkraften als jüngere. Darum werde es bei dem Kongress in Potsdam auch um die Frage gehen: »Welche Therapien können wir alten Patienten zumuten?«
Das Stichwort lautet: Personalisierte Medizin, also eine auf den Patienten individuell zugeschnittene Behandlung. Während es diesmal besonders um alte Patienten geht, wenn auch nicht ausschließlich, soll sich der übernächste Krebskongress in zwei Jahren den speziellen Bedürfnissen weiblicher Krebspatienten widmen. Ministerin Müller erkundigt sich am Donnerstag extra danach. Es ist generell ein Problem, dass Medikamente viel zu oft auf die Biologie des Mannes zugeschnitten und für Frauen weniger verträglich und wirksam sind.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.